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Filmtipp: Blindsight

Dokumentarfilm mit Audiodeskription

von Anne Siebertz

Stellen Sie sich vor, Sie gehen ins Kino, um einen Dokumentarfilm über Bergsteiger zu sehen. Wahrscheinlich würde man wunderschöne Bilder erwarten, und wenn man dann noch weiß, dass der Film in Tibet spielt, sind die Gedanken an die einzigartige Kulisse des Himalaya nicht weit. So weit, so gut. Was aber denken Sie, wenn Sie sehen, dass gut die Hälfte der Kinobesucher mit einem weißen Stock ausgerüstet ist? Gehen Menschen mit Sehschwächen ins Kino?, fragen Sie sich dann möglicherweise.

Ja, natürlich, kein Problem. Es ist vielleicht wenig bekannt, aber durchaus üblich, dass bestimmte Filme mit einer so genannten Audiodeskription produziert werden. Im Kino wird der Film ganz normal gezeigt und zusätzlich wird das Geschehen auf der Leinwand „eingesprochen“. Entweder ist die Audiodeskription, akustischen Untertiteln vergleichbar, direkt mit dem Film verbunden für alle hörbar oder steht nur für die Zielgruppe über Kopfhörer bereit. Das mag sich etwa so anhören: „Sabriye, Mitte Dreißig mit langen, mittelblonden Haaren steht am Flughafen und begrüßt Erik. Er hat kurzes, dunkles Haar und ist etwa Dreißig.“ Oder: „Gemeinsam bewältigen sie den steilen Pfad. Links von ihnen ist das schneebedeckte Himalaya-Gebirge zu sehen, rechts ist ein steiler Abgrund. Sabriye stolpert, fängt sich aber wieder“.
Auch für Sehende bieten diese Informationen einen angenehmen Filmgenuss, denn sie bekommen gewissermaßen eine Interpretation der Bilder mitgeliefert.
Bei dem Film „Blindsight“ lohnt sich die in der Herstellung aufwändige Audiodeskription doppelt: Der Film handelt von einer Gruppe blinder Jugendliche in Tibet, die einen Aufstieg auf den Gipel des LhakpaRi (7100 Meter) wagen.

Was sich wie ein unmögliches Wagnis anhört, ist in Wirklichkeit eine wohl durchdachte Idee der blinden Sozialarbeiterin Sabriye Tenberken. Schon seit Jahren widmet die Deutsche, die im Alter von 12 Jahren erblindete, ihre ganze Kraft und Arbeit blinden Kindern in Tibet. Vor einigen Jahren gründete sie im tibetischen Lhasa die Schule „Braille without Borders“. Deren Ziel ist die Selbstintegration blinder Menschen in die tibetische Gesellschaft. Trotz des hohen Anteils von Erblindungen in dieser Region werden die Betroffenen in ihrer Umgebung stigmatisiert. Als Arbeitskraft werden sie als wertlos angesehen.

Als Sabriye von dem berühmten, ebenfalls blinden, Bergsteiger Erik Weihenmayer hörte, der gemeinsam mit einem Bergsteigerteam den Gipfel des Mount Everest bezwungen hatte, kam ihr die Idee, ein solches Projekt auch einmal mit den Kindern der Schule umzusetzen.

Sechs Jugendlichen im Alter von 14 bis 19 Jahren ermöglichte sie schließlich diesen beschwerlichen Weg zum persönlichen Gipfel ihres Lebens. Zuvor stand ein Übungstraining mit Kletterübungen am Hang, Wandern durch Geröll und Ausdauertraining auf dem Programm. Für die ungewöhnliche Expedition konnte Sabriye Tenberken Erik Weihenmayer und ein komplettes Team an fachkundigen Begleitern gewinnen: einen Arzt, einen erfahrenen Bergführer, Erik als Bergsteiger, eine Sozialarbeiterin, eine Extremsportlerin, den Mitbegründer der Schule sowie ein klettererfahrenes Filmteam, das die Gruppe begleitete.

Ergebnis dieser ungewöhnlichen wie auch wagemutigen Expedition ist der Dokumentarfilm „Blindsight“. Über viele Wochen hat das Filmteam jeden Einzelnen der Gruppe begleitet: in der Schule, bei der Arbeit, in seinem Heimatort. Und zuletzt bei der Expedition. So ist der Zuschauer nicht nur hautnah am Abenteuer Bergsteigen dabei, sondern bekommt auch Einblick in das einfache Leben in den Bergdörfern Tibets und Chinas, der Heimat der Jugendlichen. Mit den Augen des Filmteams erlebt er auch den 19-jährigen Tashi, als Kind vom chinesischen Vater nach Tibet verkauft und dort nach belastenden Erfahrungen als Straßenkind zu der Schule gekommen, auf der Reise in seine 1000 Kilometer entfernte Heimatstadt in China. In einer armseligen Hütte trifft er seinen Vater und seinen Bruder und erfährt, dass seine Mutter verstorben ist. Für ihn, wie auch für die anderen fünf Teilnehmer ist die Expedition eine Reise zu den Grenzen der eigenen Persönlichkeit. Den Gipfel erreicht er nicht. Dennoch ist er an seinem persönlichen Ziel angekommen. Zurück in der Schule ist aus dem verstörten Jugendlichen ein aufgeweckter junger Mann geworden. Man sieht ihm an, dass er sein Ziel, eine Massagepraxis für blinde Masseure zu eröffnen, bald erreichen wird.

Die Dramaturgie des Dokumentarfilms nährt sich weniger aus beeindruckenden Panoramabildern des Mount Everest als aus den Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander. Zwischen den Sehenden und den Nicht-Sehenden prallen unterschiedliche Zielvorstellungen aufeinander. Während für die kundigen Bergsteiger nur der Gipfel zählt, ist es für Sabriye und ihre Schützlinge eher das Zusammensein in der Gruppe, das zählt. In dramatischen Situationen, die sich wegen der dünner werdenden Luft in großer Höhe ergeben, steht allein das gemeinschaftliche Erlebnis im Vordergrund. Und das ist für die Blinden Gipfel genug.


2008-02-23 Anne Siebertz, Wirtschaftswetter
Text: ©Anne Siebertz
Fotos, Banner: ©Astrid Wehling, Angelika Petrich-Hornetz
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