von Angelika Petrich-Hornetz
Am 26. März 2019 hat das EU-Parlament mit einer Mehrheit von 348 zu 274 Stimmen und ein ein paar Enthaltungen der umstrittenen Copyright-Richtlinie inklusive einem Leistungsschutzrecht für Verleger zugestimmt. Die noch ausstehende Zustimmung der EU-Staaten gilt nur noch als Formsache. Hier einige Reaktionen, ein Kommentar und ein Vorschlag, wie das seit 30 Jahren von Milliarden Menschen täglich genutzte World Wide Web noch eine Chance hat, nicht komplett in einen kommerzialisierten Markplatz für Daten und Content verwandelt zu werden.
Der Verband deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) begrüßten in einer Pressemitteilung die Entscheidung des Europäichen Parlaments bereits wenige Minuten nach der Verabschiedung, die von den Verbänden als Zustimmung zur "digitalen Zukunft von Kultur und Medien" interpretieret wird. Ausdrücklich betonen die Verbände in ihrer Aussendung das in der Richtlinie enthaltene, neue "Publishers Right", welches den Verlagen nach eigenen Aussagen erstmals die Chance böte, mit den großen Tech-Plattformen über die "Nutzung 'ihrer' Inhalte zu einem fairen Preis" zu verhandeln.
Weitere Info, zur Pressemitteilung, externer Link presseportal.de: "Verlegerverbände begrüßen Verabschiedung des EU-Urheberrechts - Bundesregierung muss Richtlinie nun schnell und sachgerecht umsetzen"
Ein Sprecher von Google antwortet auf unsere Nachfrage, dass es im Laufe der langjährigen Diskussionen zwar einige Verbesserungen [in der Richtlinie] gegeben habe, die jedoch immer noch zu Rechtsunsicherheit führen, die somit die kreative und digitale Wirtschaft in Europa beinträchtigen. Es komme nun auf die Details an - heißt es weiter. Man begrüße indes, bei der Umsetzung "dieser neuen Regeln" in den Mitgliedsstaaten der EU, mit Politikern, Verlagen, Kreativen und Rechtinhabern zusammenarbeiten zu können.
Ein Sprecher von Twitter äußerte: "Twitter hat sich von Anfang an der Debatte über die Richtlinie [EU Copyright Directive] beteiligt. Wir bleiben bei unseren Bedenken gegenüber den Auswirkungen der heutigen Abstimmung auf den offenen, kreativen und dialog-orientierten Charakter des Internets. Wir werden weiterhin mit den EU-Mitgliedsstaaten und der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, weil sich der Implementierungsprozess weiterentwickeln wird.
Die EDIMA - der Verband der Online-Plattformen und Tech-Unternehmen - erkennt in einem ersten Statement zur Abstimmung mit dem Titel "The EU Copyright Directive is not fit for digital era" zwar einige Verbesserungen in dem endgültigen Text (der am 26.03.2019 beschlossenen EU-Richtlinie. Anm. der Red.) gegenüber früheren Entwürfen an, ist jedoch damit immer noch grundsätzlich nicht einverstanden, da die Richtlinie andere EU-Rechtsvorschriften untergräbt, versucht, offenen Plattformen ein Linzenzmodell aufzuzwingen sowie die fundamentalen Rechte auf Privatssphäre und auf freie Meinungsäußerung der EU-Bürger schwächt.
Mozilla schreibt in seinem Blog zum Ergebnis der Abstimmung, Link blog.mozilla.org: "Today, EU lawmakers voted to adopt new copyright rules - on which we had been engaged for over three years ...."
Das Ergebnis ist aus unserer Sicht ein Desaster für Europa. Die helle Freude bei den deutschen Verlegerverbänden über die Durchsetzung der eigenen Interessen dagegen unüberhörbar. Gut die Hälfte einer prompten Pressemitteilung, nur wenige Minuten nach der Entscheidung herausgegeben, handelte von dem neuen "Publisher's Right", das nebenbei bemerkt wie der Name eines etwas holzigen Herren-Dufts klingt und den Verlagen nach eigenen Angaben nun erstmals die Bepreisung des Internets erlaube.
Von Autoren, und Journalisten - damit den eigentlichen Urhebern - war dort indes schon nichts mehr zu lesen. Erstaunlich, denn gerade die wurden doch im Endspurt des Gesetzesverfahrens um das EU-Copyright immer peinlicher hofiert und umworben, die krude zusammengezimmerte Reform wäre doch "nur zu ihrem Besten". Das europäische Internet ausgerechnet in den Händen von Großverlegerm als den angeblich besten Garanten für nichts Geringeres als "die digitale Zukunft", "professionelle, digitale Medienangebote" und eines "unabhängigen Journalismus"?
Dies erscheint doch als ein bisschen viel der Selbstüberhöhung einer Branche, die zwar gerne austeilt, aber ihre Kritiker genauso ernst nimmt wie Axel Voss die Youtube-Jugend. Zumal sich Großverlage längst in Medien-Konzerne verwandelt haben, die selbst als Betreiber von Online-Plattformen, -Portalen und -Medien sowie als Content- und Datenhändler inklusive Buy-Out-Verträgen für Autoren u.a. Urhebern auftreten.
Irgendwann wird es auch einigen heutigen Befürwortern im EU-Parlament dämmern, was sie damit angerichtet haben. Jetzt kann man persönlich nur noch mit der bescheidenen, eigenen Wähler-Stimme bei den Europawahlen 2019 dafür Sorge tragen, dass möglichst wenige der Abgeordneten, die für den Euxit aus dem Internet - insbesondere von freien Autoren, Journalisten und anderen Kreativen - gestimmt haben, künftig im EU-Parlament sitzen werden. Sonst könnte es im EU-Parlament womöglich bald so zugehen, wie im britischen Unterhaus nach dem Brexit.
Bei der Lektüre des jetzt verabschiedeten Textes der Copyright-Richtlinie und der Deutungen durch die Tech-Medien, dürfte vielen Lesern dann auch zu Recht auffallen, wie schwammig und rechtlich unsicher dort ganze Artikel und Begrifflichkeiten formuliert worden sind. Ob das nun nicht anders ging, sei dahingestellt, doch der konfliktreiche Inhalt wird auch mit der noch ausstehenden Endabstimmung der EU-Staaten, die als reine Formsache gilt, noch lange nicht vom Tisch sein.
Nach einer zweijährigen Umsetzungsfrist in den 27 (oder 28, siehe Brexit-Berichterstattung) dürften noch viele Jahre fortgesetzter Gerichtsentscheidungen für die Auslegung des Gesetzetextes in die praktischen Anwendung notwendig werden, die zu einem vorläufigem Stillstand rechtssicherer Rahmenbedingungen für Innovationen führen. Voräufiges Fazit: Genauso wie die fortlaufenden Versuche verschiedener Interessensvertreter, die Netzneutralität zu untergraben, sorgt die von der EU nun beschlossene Durch-Linzenzierung des gesamten World Wide Webs für die Abschaffung des freien Austausches von Wissen, Erfahrung, Informationen, Kreatiionen und - nicht zuletzt - neuen Ideen.
Selbst so harmlos wirkende Artikel wie Artikel 6, in dem es um das Vervielfältigungsrecht von "Werken" oder sonstigen "Schutzgegenständen" in "Einrichtungen des Kulturerbes" geht, bietet ein großes Potenzial für zahlreiche Dispute und Klagen. Was ist eine Einrichtung des Kulturerbes? Im Sinne des immateriellen Kulturerbes könnte man sogar Facebook als eine Einrichtung des Kulturerbes im digitalen Zeitalter auffassen. Laut Definition der UNESCO ist "Kulturerbe" u.a. eine einheitsstiftende Konzeption, die als "ideeler Besitz der gesamten Menschheit" begriffen wird, die Menschen verbindet und zusammenbringt und gleichzeitig ein Zeugnis kultureller Vielfalt darstellt. Kulturerbe kann die Form einer Tradtion, eines Brauches oder einer Technik haben, die sowohl das Merkmal der Vereinahmung des Menschen als auch das der Vereinnahmung durch den Menschen zu eigen ist. Und damit ist:
Das World Wide Web, von Tim Berners-Lee konzipiert, erfüllt seit 30 Jahren seiner Veröffentlichung sämtliche Voraussetzungen eines immaterielles Kulturerbes - inklusive seiner fortlaufenden lebendigen Weiterentwicklung, deren Fortbestand geschützt werden muss. Dass über das WWW Geschäfte getätigt werden oder sogar Maschinen bedient oder kommerzielle digitale Services angeboten werden können, steht dem nicht entgegen, denn diese entsprechen jeweils nur einem sehr kleinem Teil der vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten, und sie stehen damit außerhalb des WWW als solchem. Das World Wide Web ist und bleibt in seiner Grundstruktur nicht-kommerziell, weil es eindeutig auf den Austausch, u.a. von Informationen und Wissen zwischen Menschen abzielt, und damit ganz im Sinne des <>UNESCO-Prinzips "Wissen.Können.Weitergeben"* eine Kulturtechnik der Menschheit darstellt.
Ein Abschied von der Netzneutralität und solche regionalen Einschränkungen wie die EU-Copyright-Richnlinie greifen dieses Konzept eines weltumspannenden Netzwerks zum gegenseitigen Wissens- und Informationsaustausches direkt an, das der ganzen Menschheit gehört, und nicht einzelnen Suchmaschinen, Portalen, Zeitungsverlegern, Lobbyorganisationen, Verwertungsgesellschaften und Technik-Konzernen und auch nicht einzelnen Regierungen oder Parlamenten, wie der Öffentlichkeit weisgemacht werden soll. Wenn die EU nicht in der Lage ist, das immaterielle Kulturerbe der Gegenwart vor Zugriffen zu schützen, die seine Abschaffung mit weitreichenen Folgen für die Zukunt der Menschheit betreiben und damit inbesondere die Generation der Digital Natives vor den Kopf stößt und sie ihrer Zukunft beraubt, eigene Entscheidungen treffen zu können, muss die UNESCO ihrer Verantwortung gerecht werden und diese von der EU nun aufgerissene Lücke füllen.
Unter den 178 Staaten, die das Übereinkommen mit der UNESCO zum Schutz des imateriellen Kulturerbes ratifizfiziert haben (Deutschland 2013), wird sich hoffentlich eines schönen Tages ein Staat finden, der das Anliegen unterstützt, das World Wide Web für die Liste der immateriellen Kulturgüter zu nominieren. Ein Dienst an der Menscheit im Sinne der Bewahrung des immateriellen Kulturerbes beschränkt sich eben nicht nur auf traditionelle Tänze, einmalige Gesänge oder die hohe Kunst der Käseherstellung, sondern kann auch die Bewahrung digitaler Techniken beinhalten, jedenfalls dann, wenn sie so einmalig wie das Word Wide Web-Konzept sind, das seit 30 Jahren mehrere Milliarden Besitzer auf der Welt hat, nämlich die ganze Menschheit - und das dort zumindest angestrebte immaterielle Kulturgut "Meinungfreiheit" haben wir noch nicht einmal erwähnt.
Quelle "Wissen.Können.Weitergeben" - Quelle: unesco.de
2019-03-30, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
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