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Editorial im Herbst und Winter 2024


Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leserinnen und Leser,

schön, dass Sie da sind. Wir sind auch wieder da, wenn auch mit deutlicher Verspätung, aber pünktlich zum 7. Oktober 2024, genau ein Jahr, nachdem der Terror in Israel in einem bisher unbekannten Ausmaß einfiel, tausende Menschen starben und bis heute immer noch hundert Geiseln von der Terrorgruppe Hamas widerrechtlich festgehalten werden.

An den Tag kann ich mich gut erinnern, weil ich nur zufällig auf den Bildschirm guckte, als es passierte und das Netz von jetzt auf gleich mit hunderten Bildern von jubelnden Geiselnehmern und Gewaltätern buchstäblich geflutet wurde, während sie ihre Opfer malträtierten und massakrierten. Fassungslos sah ich nach dem ersten Schock bei der UN nach, die doch sicher wissen würde, was nun exakt dazu zu sagen und explizit zu tun sei, oder wenigstens ungefähr. Aber es gab dort einfach nichts. Außer ein Video eines aufgeregten, palästinensichen Ministers, der in die Kamera verkündete, man hätte schließlich immer davor gewarnt.

Bis heute wird versucht, den Terror und seine Grässlichkeiten auf diese Art und Weise als angeblichen Befreiungskampf schönzureden und zu rechtfertigen, während im modernen Deutschland, das die Nazis abgeschüttelt zu haben schien, wie eine Pest, die einst ganz Ähnliches behaupteten, parallel zu diesem Grauen ebenfalls Jubel ausbrach. Man feierte Straßenfeste, weil, so sinngemäß einer Passantin "sie es geschafft haben" (über die Grenze zu kommen, zu foltern, zu vergewaltigen und zu töten). Und man feiert das bis heute, als hätte man einen Sieg in irgendeinem Computerspiel errungen.

"Strukturen" heißt unser neues Thema. Sie sind überall, auch wir selbst haben und sind gleichzeitig eine Struktur, eingebunden in unzählige weitere. Eine Struktur hatte auch der Terror gegen Israel. Die Verhandler in dem Geschehen, bei aller Kritik, haben dennoch höchsten Respekt dafür verdient, dass sie gute Arbeit geleistet haben - und damit über hundert Geiseln tatkräftig retten konnten, darunter nicht wenige Kinder, junge Frauen und Männer, die bedauerlichweise von den Anhängern des Terrors übrigens bis heute verunglimpft werden, um einmal die Atmosphäre zu beschreiben, in der wir uns heute bewegen, auch hier, in einem Rechtsstaat, in dem Gewalt und Terror spätestens seit 1945 nicht mehr Staatsräson, sondern schwerwiegende, nicht zu beschönigende Straftaten sind. Und auch das musste sehr, sehr mühsam, unter hohen Verlusten erkämpft, errungen und ausgehandelt werden.

Seit Monaten bewegt sich für die Geiseln kaum noch etwas, außer Raketen. Es wird Zeit für andere Verhandlungsstrukturen als den herkömmlichen. In die Verhandlungen sollten im nächsten Schritt endlich die Frauen, und zwar Israelinnen und Palästinenserinnen eintreten. Frauen sind selbstverständlich per se keine bessere Menschen, aber genauso selbstverständlich auch keine schlechteren. Die männlich geprägte Diplomatie wirkt aktuell wie erstarrt; man braucht jetzt Einfühlungsvermögen und die Perspektive von direkt Betroffenen in den Verhandlungen und damit auch die von betroffenen - nicht von beteiligten - Frauen.

Das kennt man auch aus anderen lebensfeindlichen Krisen. Darum gibt es, zwar noch nicht sehr lange, aber gegenwärtig immer öfter und typischerweise stets längst überfällige Beteiligungen von persönlich Betroffenen in der Beantwortung von existentiellen Notlagen, um schlicht umsetzbare und damit lebbare Lösungen hinzubekommen. Die Befreiung der noch lebenden israelischen Geiseln und die Überführung der Toten unter ihnen, für die Lebenden vor Ort kann darüberhinaus jeder Kriegstag tödlich enden, ist ein, und zwar für die ganz Menscheit, solches existentielles, wichtiges Anliegen.
Dennoch ist bis heute mit der weitestgehend fehlenden, aktiven weiblichen Beteiligung in allen Krisen, und auch in diesem sehr harten Konflikt, die Hälfte der Betroffenen ausgeschlossen, aus höchst zweifelhaften Gründen. Vermutlich handelt es sich um die üblichen Machtstrukturen, während die Gefahr besteht, dass in dieser weiter, total verfahrenen Lage, jeder noch so kleine, aber überhaupt noch mögliche Fortschritt bis auf Weiteres vollständig zu ersticken droht. Auch zeigte die vorangegangene Geiselbefreiung hinreichend, dass einzelne Schritte zur Lösung beitragen können, für die Betroffenen - und um die geht es hier wohl hauptsächlich, betonen jedenfalls alle beflissentlich.

Mit dem Versäumnis, Betroffene zu beteiligen, fehlt ein unverzichtbarer Blickwinkel, der zu einer vollständigeren Sicht und Ausgangsposition in Verhandlungen beitragen kann. In der Informatik oder Statistik würde man vielleicht sagen, dass die Datenbasis unter Verzicht auf a) diejenigen der zweiten Hälfte der Menschheit und b) die der Betroffenen unvollständig, Datenquantität und -qualität nur sehr mangel- und/oder lückenhaft vorhanden sind und ein Verhandlungsergebnis dementsprechend ausfällt. Und das, Datenmangel, klingt im 21. Jahrhundert geradezu wie ein schlechter Witz, aber befeuert wirksam emotional aufgeladenes Getöse.

Ihnen trotzdem einen hoffentlich informierten, besonnenen Herbst und Winter 2024. Wir veröffentlichen, wie gewohnt, wieder laufend bis zum 31. Dezember.

Ihre
Angelika Petrich-Hornetz

Lübeck, am 7. Oktober 2024

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