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Langeweile in Brighton

a cup of tea, Link to Wirtschaftswetter

Die Winter verbringen wir in Brighton. Diese Langeweile! Nur reiche Leute. Belauern sich, warten, dass jemand was tut oder sagt, das ihn als Neureichen outet. Dann wird geklatscht und geschnitten. Und die Langeweile geht von vorne los.
Anfang des Jahres, Januar 2009, haben wir, Bert und ich, was erlebt: Wir fuhren nach London, verschenkten unseren Mercedes an zwei Punks in Campten Town und setzten uns in den Flieger nach Deutschland. Am Frankfurter Flughafen angekommen kauften wir uns einen alten, gebrauchten Peugeot, denn wir hatten was vor. Bert musste fahren, in meinen Kreisen fährt eine Dame nicht, na schön, sonntags, wenn das Wetter es zulässt, vielleicht mal das Cabriolet, aber das ist auch schon das höchste der Gefühle.
Bert schimpfte, denn er hatte noch nie so eine klapprige Kiste gefahren. Bert ist mein Zwillingsbruder, mein siamesischer Zwillingsbruder, nach der Geburt hat man uns erfolgreich getrennt, an den Daumen waren wir zusammengewachsen, aber wie ich ja gerade erwähnte, es war gelungen, daumenerhaltend zu operieren. Wir fuhren nach Göttingen. Dort besichtigten wir mehrere Wohnungen, da wir eine davon zu kaufen beabsichtigten. Am besten gefiel uns die Wohnung, in der einst Lord Thomas Swanton (er war zu dieser Zeit noch Student) und Lichtenberg lebten. Nebenbei bemerkt: Lichtenberg gilt als der Verfasser des am 17.Mai 1766 anonym erschienenen Werks Versuch einer natürlichen Geschichte der schlechten Dichter, hauptsächlich der Deutschen. Aber wie gesagt, kann auch Tratsch sein.
Wir kauften jene Wohnung, zwar bestand sie nur aus sechs Zimmern, aber wir hatten ja was vor. Wir zogen uns arm an. Bald hatten wir viele Freunde gefunden, Studenten und Studentinnen, auch arm. Abends saßen die bei uns, erzählten ganz schöne Geschichten. Die arbeiteten nachmittags, nach ihrem Studium. So was aber auch! Unfassbar und aufregend zugleich, was die erzählten! Da musste man zu einer bestimmten Zeit kommen zu dieser Arbeit und durfte erst wieder gehen, wenn die vorher vereinbarte Zeit rum war. Und was man da machen musste ..., nein, das erspare ich Ihnen jetzt. Bert stand der Mund offen. Immer. Ich riss mich zusammen, wollte uns nicht verraten, tat so, als würde ich die Sache mit der Arbeit kennen, brühte uns Earl Grey Tea auf.
Übrigens: einen Liebhaber hatte ich dann auch. Einen armen Studenten. Hübscher Bengel, süße vierundzwanzig Jahre alt. Sie haben Verständnis, dass ich über mein eigenes Alter schweige! Abends, wenn die Temperatur in unserer bescheidenen Behausung unter den Gefrierpunkt fiel, kauerten wir im Kaminzimmer, frierend, weil ich behauptete, wir hätten kein Geld zum Heizen. Wir kuschelten uns also zusammen in eine alte Wolldecke, mein Liebhaber und ich, oder aßen in der Küche Nudeln ohne alles ... na, schön, Salz gab es. Nachts schliefen wir unter drei Federdecken, die man mir in der katholischen Kleiderkammer geschenkt hatte.
Herrlich dieses Leben! Aufregend! Lovely Jubbly! Terrific!
Aber ich will dem Geschehen voraus nehmen, dass das Glück bald vorbei war.
Bert und ich verrieten uns! Besser gesagt: Unsere Unterwäsche, die wir im Waschsalon um die Ecke zu reinigen pflegten, verriet uns. Sie trug ja das Siegel Royal Warrant Holder Association! Wir hatten nicht bedacht, wie das auf die Menschen hier wirken könnte.
Ich will Ihnen den unschönen Teil unseres Abenteuers en Detail ersparen. Man jagte uns davon, als Bert einmal versehentlich zwei unserer Unterhosen in einer Maschine des Waschsalons vergaß. Die Aufsicht muss sie gefunden haben. Die Sache sprach sich sofort rum, wir waren innerhalb von vierundzwanzig Stunden erledigt und mussten fliehen.
Jetzt sitzen wir wieder in Brighton auf der beheizten Sonnenterasse.
Diese Langeweile!

Stichwörter: BRIGHTON * MERCEDES * LORD SWANTON * EARL GREY TEA * ROYAL WARRANT
von Marie-Antoinette*

Zu allen Mini-Stories der Reihe: Privat-O-Mat


2009-10-04 Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer
Stichworte: siehe oben, *der Name ist der Redaktion bekannt
Illustration: ©ap
Fotos Themenbanner: ©Cornelia Schaible

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