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Britta Steilmann im Interview

Die Fragen stellte Angelika Petrich-Hornetz

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Wirtschaftswetter: Taugt Deutschland nicht mehr als Produktionsstandort für die Textilbranche?
Britta Steilmann: Ich kann diese Frage ausschließlich aus der Sicht der Bekleidungsindustrie beantworten. Durch den permanenten Preisverfall für Oberbekleidung in den letzten zehn Jahren und völlig veränderte Konsumenten-Ansprüche ist es selbst im Bereich der sehr hochwertigen oder Luxusbekleidungsmarken immer schwieriger, die Produktionskosten in Deutschland darzustellen. Wie in vielen anderen Industrien wird die Produktion nach Asien, Osteuropa und neuerdings auch nach Afrika verlagert.

Wirtschaftswetter: Warum werden die Löhne in dieser Branche so extrem niedrig, wer gibt diese Abwärtspirale vor?
Britta Steilmann: Angefangen wurde dieser Trend vor mehr als einem Jahrzehnt durch konkurrierende Einzelhandelsunternehmen. Heute hat der Verbraucher keine verlässliche Einschätzung mehr über den Wert von Bekleidung und deckt deshalb auch in Vertriebsformen, die nicht klassisch Bekleidung vertreiben, seinen Bedarf an Standardartikeln. Menschen wollen immer günstiger einkaufen. Das ist keine Wertung, sondern eine Feststellung über das Kräftespiel zwischen Angebot und Nachfrage. Der Trend ist sehr schwer rückgängig zu machen.

Wirtschaftswetter: Wird der allgemeine Trend, immer billiger zu produzieren, demnach ein sehr langfristiger bleiben ?
Britta Steilmann: Das steht völlig ausser Frage. Es gibt kein Anzeichen und auch keine Argumente dafür, dass dieser Trend umkehren wird.

Wirtschaftswetter: Welche Fehler machte die deutsche Textilbranche in der jüngsten Vergangenheit und wo sehen Sie noch Chancen?
Britta Steilmann: Ich glaube, man kann nicht von einem deutschen Fehler sprechen, da es in vielen westeuropäischen Ländern sehr ähnlich aussieht. Traditionelle Handels- und Industriebeziehungen brechen ab und werden zu konkurrierenden Unternehmungen. Händler werden zu Produzenten und Produzenten zu Händlern, getrieben durch den Erfolg der vertikalen Einzelhändler wie Zara und H&M.
Chancen sehe ich ausschließlich in neuen, andersartigen Partnerschaften zwischen Industrie und Handel. Das verändert aber alle Arbeitsabläufe auf beiden Seiten und setzt Zeit und Vertrauen voraus. Dass solche Partnerschaften, die immer auch ein Stück Abhängigkeit bedeuten, fruchten können, hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Es wird nur zuerst nochmals zu einer weiteren Konzentration führen, die Arbeitsplätze kostet.
Ansonsten gibt es nur Platz für ausgefeilte Nischenkonzepte, da die Finanzierung von revolutionären, neuen Konzepten im Bezug auf Bekleidung und Handel kaum Investoren anzieht und die Mehrzahl der Unternehmen in dieser Branche nicht über die nötigen Eigenmittel verfügt, um diese neuen Anforderungen selbst zu finanzieren.

Wirtschaftswetter: Ist Mass-Customization eine Chance für die Textilindustrie oder bleibt sie eher eine Randerscheinung der Branche?
Britta Steilmann: Randerscheinung

Wirtschaftswetter: H&M gab bekannt, vor allem in Deutschland expandieren zu wollen. Gibt es auf den Märkten irgendein Anzeichen für einen ernstzunehmenden Gegentrend der Billigklamotte?
Britta Steilmann: Nein, leider überhaupt nicht.

Wirtschaftswetter: Made in Germany, steht das Label vor dem Ausverkauf? Wenn ja, was schlagen Sie zur Wiederbelebung vor?
Britta Steilmann: Made in Germany spielt schon seit mehr als zehn Jahren keine Rolle mehr und ist nicht wieder zu beleben ohne völlig neue Inhalte.

Wirtschaftswetter: Sind in jüngster Vergangenheit in Deutschland mehr Unterlasser als Unternehmer zu finden, wie beurteilen Sie Standort und Investitionen?
Britta Steilmann: Nach den Euphorie-Jahren 1999 und 2000 ist das Investionsklima deutlich gedämpft. Der Standort Deutschland ist (sehr selbstverschuldet) für ausländische Risikokapitalgeber schwer einzuschätzen. Dazu tragen die politischen Debatten bei, siehe jüngste Geschichten Mannesmann und Bundesbank und natürlich der permanente Ärger der Geschwerkschaften.
Venturekapital für Handel und besonders Textil ist fast nicht zu bekommen,da diese Branchen im internationlen Ranking so schlecht abschliessen. Das ist alles sehr traurig und oftmals für den Laien auch nicht verständlich, wird sich aber in Kürze nicht dramatisch verändern, wenn wir nicht neue Wege finden,um auch gerade in diesem Segment neue Mittelstandsfinanzierungskonzepte zu erarbeiten.

Wirtschaftswetter: Die Lebensmittel-Discounter punkteten laut diverser Studien nicht nur mit niedrigen Preisen, sondern auch mit einem überschaubaren Sortiment, also Kundenorientierung im Sinne von "Kunden orientieren". Wäre das auf die Textilbranche übertragbar?
Britta Steilmann: Ich würde mir einen starken Facheinzelhandel wünschen, der für den Kunden vorselektiert. Leider ist in dem Segment nur sehr schwer Geld zu verdienen und die Tendenz, dass gerade diese Form von Einzelhandel ausstirbt, setzt sich seit Jahren fort. Sie sehen das ganz deutlich im Wandel unserer Innenstädte.

Wirtschaftswetter: Einige Kunden interessieren sich durchaus für Produktionsbedingungen, d. h. sie wechseln konsequent, sobald sie erfahren, dass z. B. Kindarbeit eingesetzt wird. Andere Hersteller arbeiten nur mit besonders guten oder allergenfreien Rohstoffen etc. Wie sieht hier der Markt bezüglich Textilien aus?
Britta Steilmann: Gute Bekleidung, da sprechen sie mit einem Veteranen. Leider ist die Tendenz bei Bekleidung nicht so klar umrissen und auch messbar wie z. B. bei Lebensmitteln. Es gibt diese Kundschaft, besonders für Kinderbekleidung , aber sie ist kein großer Markt.

Wirtschaftswetter: Wo sehen Sie die Schwerpunkte Ihrer Arbeit nach dem Ausstieg aus der Steilmannschen Geschäftsführung? Kurz gefragt, was machen Sie?
Britta Steilmann: Zum einem entwerfe und produziere ich Kindermöbel und Accessoires und habe eine kleines Kreativ-Büro rund um das Wohnen gegründet. Auf der anderen Seite arbeite ich nach wie vor als klassische Unternehmensberaterin.

Wirtschaftswetter: Haben Sie einen Tipp für unsere Leser? Welche Design-Trends für Wohnen, Interieur und Textilien beobachten Sie?
Britta Steilmann: Menschen brauchen in diesen turbulenten Zeiten einen Ort der Zuflucht, ein wirkliches Zuhause. Aus diesem Grund entwickel ich gerne mit meinen Kunden eine gemeinsame Vision von diesem besonderen Platz. Der wichtigste Trend ist deshalb die Entwicklung eines ganz eigenen Stils, der organisch und trendunabhängig wächst.


2004-04-05 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz + Britta Steilmann
Foto: ©Ines Kistenbrügger + D.S.
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Britta Steilmann im Web: Britta Steilmann Artisan Studios

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