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Die starke Wirkung des Seeklimas

von Dr. Elisabeth Kärcher

Der Nordseewind jagt über die Dünen der ostfriesischen Insel, füllt die Luft mit Meeressalz und zerzaust Heckenrosenbüsche wie Haare. Die Nacht nach mehreren Stunden Spaziergang in dieser Luft wird für die Mutter eines asthmakranken zweijährigen Jungen eine schlaflose Nacht, so oft benötigt das Kind Medikamente und kommt dennoch nicht zur ruhigen Atmung. Schließlich ruft sie den Notdienst an.

Als die Ärztin erscheint, nickt diese nur: „Heute bin ich die ganze Nacht von einem Kind mit Luftnot zum anderen unterwegs.“ Mit weiteren Medikamenten wird es besser, aber viel Schlaf gibt es dennoch nicht. „Kommen Sie morgen in die Praxis“, sagt die Ärztin noch, „die Klimaanpassung dauert meist länger.“ „Aber ich dachte, jetzt nach einer Woche auf der Nordseeinsel sei man eingewöhnt“, wundert sich die Mutter und erfährt daraufhin mehr.

Am Meer schwankt die Temperatur zwischen Tag und Nacht und Sommer und Winter geringer als im Binnenland, da das Wasser bei Kälte Wärme abgibt und bei Wärme diese aufnimmt – also ausgleichend wirkt. Die Luftfeuchtigkeit ist gleichmäßiger, Luftschadstoffe und Pollenallergene niedriger als im Hinterland. Diese schonenden Eigenschaften reichen oft zur Besserung bei allergischen und Lungenerkrankungen aus.

Gleichzeitig hat das Meeresklima aber auch anstrengende Reizfaktoren: Wind und Sonne. Durchschnittlich weht der Wind in Küstennähe und den vorgelagerten Inseln der Nordsee vier bis sechs Meter pro Sekunde. Meist kommt er aus westlicher Richtung vom offenen Meer. Auch die Sonnenstrahlung ist intensiv. Sie wird in der Erdatmosphäre gestreut und zum Teil vom Boden wieder reflektiert und scheint dann über die weite Fläche von Meer und Strand aus allen Himmelsrichtungen. Da diese Streustrahlung häufig größer ist als das direkte Sonnenlicht, bräunt man auch im Schatten. Der kühlende Wind läßt die Hitze der Strahlen kaum spüren und manchen länger verweilen – und den Sonnenbrand zu spät bemerken.

Das Besondere der Küste sind die feinen Meerwassertröpfchen in der Luft, die salz- und jodhaltig auf der Zunge schmecken. Kommt der Wind von der See, ist er kräftig und die Meeresbrandung aufgewühlt, so reichert sich die Luft am meisten an. Wie ein riesiger Inhalationsraum wirkt es auf den Menschen und seine Atemwege. Der Schleim in Nase und Bronchien verflüssigt sich und kommt schneller heraus. Dazu schlagen die Reinigungshärchen in den Atemwegen rascher, die Durchblutung nimmt zu. Manchmal spürt man schon die Wirkung am Ende eines Tages am Meer. Oft dauert es aber länger, typischerweise fünf bis zehn Tage.

Dann können angesammelte Schleimberge, die bei den meisten Atemwegserkrankungen entstehen, nach oben brodeln. Eine andere Mutter drückt es so aus: „Das Klima hat hier die Auswirkungen wie bei uns zu Hause Medikamente zum Schleimlösen.“ Hat jemand Bronchien, die sich leicht verengen wie bei Asthma und manchen Formen der Bronchitis (der sogenannten spastischen oder obstruktiven Form), ziehen sie sich bei diesen ungewohnten Schleimmengen zusammen und hindern damit gleichzeitig, dass diese hinauskommen. Auch Erwachsene spüren es, aber besonders kleine Kinder.

Die Mutter des Jungen ist entsetzt: „War es also völlig verkehrt, dass wir wegen seiner Krankheit hergekommen sind?“ Das nicht, aber je länger und je kranker ein Kind ist, um so weniger Reizfaktoren verträgt es und ist beispielsweise in der schonenderen Umgebung der Ostsee besser aufgehoben. Wind- und Salzgehalt der Luft sind schwächer, die Sonne wird durch waldreichere Umgebung gemildert.

Dennoch kann richtiges Verhalten auch für Kleinkinder den Urlaub an der Nordsee verträglich gestalten und Krankheiten an den Atemwegen verbessern. Ganz allgemein gilt, dass das Reizklima am Anfang vorsichtig, dann langsam mehr und über längere Zeit genutzt werden sollte. Leider erreicht man trotzdem nicht immer Besserung, denn der Körper reagiert manchmal stärker als erwartet. Und Kinder sind ja auch im Urlaub vor Infektionen nicht sicher.

Strandhäusschen, Link Sommer-Galerie Die Mutter ist irritiert: „Und was heißt das für mein Kind und mich?“ Gerade wenn die Tage stürmisch oder sehr sonnig sind, brauchen Kinder größere Pausen als Erwachsene und nicht gleich am Anfang zu viele Stunden am Wasser. Ein fünfzigjähriger Asthmatiker berichtet: „Vor vierzig Jahren war ich hier auf der Nordseeinsel zur Kinderkur. Damals wurde ganz streng darauf geachtet, dass wir die ersten drei Tage nicht direkt ans Meer gingen.“ Das ist sicher eine harte Regel, aber ein Tag Strandpause sollte bei Kleinkindern immer sein.

Landeinwärts ist der Wind abgeschwächt, auch der Salzgehalt in der Luft nimmt rasch ab, nach zehn Metern etwa bereits um die Hälfte. Geht es dem Kind gut, kann man am zweiten Tag schon etwas mehr unternehmen, immer auch abhängig vom Wetter. Geduld ist wichtig – und Zeit. Unter vier Wochen ist bei einer Krankheit zu kurz. Wer geschwächt ist, anfällig und noch klein, paßt sich langsamer an. Ist das aber erst einmal geschafft, kann die Anregung der Atemwege bis zu einem Jahr positiv nachwirken, so dass Schleim sich leichter löst und Infekte schneller abklingen werden.

2004-06-01 Elisabeth Kärcher, Wirtschaftswetter
Text ©Elisabeth Kärcher
Foto + Banner: ©ap
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