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Der Doktor und der Schmuck

Die Menschen brauchen keinen Doktor - nur manchmal einen Arzt

Kommentar zum Rücktritt des Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg


von Annegret Handel-Kempf

Guttenberg ist zurückgetreten. Die Frage bleibt, warum er sich überhaupt eine Doktorarbeit zugemutet hat: Wissenschaftliche Ambitionen kann man ihm nicht unterstellen. Zur Karriereförderung brauchte er den Titel nicht. Seinen Namen verkomplizierte der Doktor nur.

Bleibt der Wunsch nach Schmuck durch das Dr.-Attribut, der unsere Gesellschaft festhält. Auch wenn Personalabteilungen auf akademische Titel gerne instinktiv mit „überqualifiziert“ reagieren – praxisferne Bücherwürmer werden vermutet, zudem ist kein Mensch frei von Neid.

Bevor das Land jetzt daran geht, sämtliche Doktoren-Titel von Politikern und Spitzenmanagern oder - der Gerechtigkeit halber – alle in Deutschland verliehenen akademische Grade "unter die Google" zu nehmen, sollte besser in die Zukunft geschaut werden.

Gleichheit und Gerechtigkeit

Da sollten Doktoren-Titel mit ähnlich großem Zeit- und Arbeits-Aufwand im einen wie dem anderen Fach und an jeder Universität zu erlangen sein.

Da müsste überall die gleiche Zahl an vergleichbar anspruchsvollen Haupt-/Ober-/Doktorranden-Seminaren abverlangt werden.

Da dürfte es keine Titel mehr geben, die als Zierrat quasi nebenher erworben werden können: Weil ein Mediziner eben gerne ein Doktor ist und ein Jurist als Doktor ehrwürdiger wirkt, auch wenn er wegen des Titels allein keinen besseren Strafverteidiger oder Richter abgibt.

Da müssten besonders Frauen finanzielle und organisatorische Unterstützung und zusätzliche Rentenanrechnungszeiten bekommen, weil ein Doktortitel, der weitere vier bis zehn Jahre an die Uni bindet, die biologische Uhr ins Aus stürzen lässt, wenn man nicht unterdessen Kinder bekommt.

Da wird schnell klar, dass Existenzsicherung, Familie und arbeitsweltnaher Karriereaufbau miteinander nicht hinzubekommen sind, wenn man parallel selbst seine Doktorarbeit schreibt.

Da müssten Zitier-Techniken eine ordentliche Menge Staub und alte Krusten abwerfen, um direkte und indirekte Zitate zwar klar und eindeutig zu belegen, die geistige Beweglichkeit des wissenschaftlich Arbeitenden aber nicht durch bürokratische Merkwürdigkeiten zu bremsen. Und natürlich müsste die Quellennennung an allen Hochschulen und in allen Fächern einheitlich gelten und angewandt werden.

Wer braucht einen Doktor?

Menschen sind Menschen. Deshalb lernen Journalisten in ihrer Ausbildung, nie von „Leuten“ oder „Personen“ zu schreiben, sondern von „Menschen“ und vor Namen keine Doktoren-Titel zu stellen. Es sei denn, es handelt sich um Mediziner, bei denen sich der Doktor als Synonym für „Arzt“ in unsere Sprache eingeschlichen hat.

Karl-Theodor zu Guttenberg ist ein Medienmensch, aber kein Arzt. Als Zierrat in der öffentlichen Berichterstattung taugte sein Doktor mangels Erwähnung also eh nicht. Genannt werden durfte der Doktor erst, als es inhaltlich um ihn ging.

Hätte der Politiker das früher gewusst oder weniger Artikel gelesen, die handwerkliche Fehler aufwiesen, wäre er vielleicht gar nicht in Versuchung geraten, sich an das fatale Werk einer Doktorarbeit zu machen. Und er wäre heute noch Verteidigungsminister. Wozu man wirklich kein Doktor sein muss.


2011-03-03 Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf
Fotos Themenbanner: ©ap
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