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"werkstatt" - Abschied vom Großvater in zehn Gedichten

Buchvorstellung

von Juliane Beer

Zu Ostern flatterte mir ein Gedichtband zur Rezension ins Haus, nicht, obwohl ich mich sehr wenig mit Lyrik nach der der Beat-Generation beschäftigt habe, sondern weil ich dies bislang nicht ausführlich getan habe. Es handelt sich um den zur Leipziger Buchmesse 2015 erschienen Band
werkstatt (ein abschied in zehn Bildern)
von dem 1971 geborenen, in Burgdorf bei Hannover lebenden Autor Stefan Heuer, der Lyrik, Prosa, experimentelle Kurzdramen und Rezensionen schreibt. Das Thema seines aus zehn Gedichten bestehenden Zyklus ist die Bastelgarage des Großvaters, der 2008 verstarb

Obwohl keine bekennende Freundin von Lyrik der letzten vierzig Jahre bin ich dennoch sofort interessiert, denn die eigene Familie zum Thema zu machen, und zwar so, dass auch Sippenfremde mit können, ist wohl eines der schwierigsten Unterfangen in der Literatur. Zahlreiche lesenswerte Titel, in denen jedoch mehr oder weniger drastisch die Abgründe innerhalb der Institution Familie sichtbar gemacht werden sind auf dem Markt. Dagegen gleiten Texte, in denen unkritisch erzählt wird, nicht selten ins Triviale ab.
Ich bin auf alles gefasst, mindestens aber auf einen getragenen Nekrolog.

Was für ein Irrtum. Mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit ab der ersten Zeile wird der Ort des Geschehens - die Bastelgarage des Großvaters - beschrieben, anschaulich, in knapp gehaltener Sprache ohne jeden Pathos. Es ist, als wird man in jedem Gedicht durch einen anderen Teil der Werkstatt geführt, weil man sich selbst noch einmal ein Bild machen soll, und nicht, weil man um einen Menschen mittrauern soll, den man nie gekannt hat. Wunderbar luftig hingehaucht wirken die kleinen Szenen samt Requisiten aus der Geschichte dieser Bastelgarage und ihres Eigentümers, besonders schön beschreibt Gedicht Nummer Vll, wie Spielsachen aus der Kindheit wiedergefunden werden und Heuer zeigt sich selbst, als den Jungen, der er war, ohne ins nostalgisch Kitschige zu verfallen:

Zitat: "[…] und da: grünes metall, beiges gummi, um so vieles besser als die zwillen aus dem yps-heft// automatisch schaue ich mich nach zwetschgen um, nach katzen am vogelhaus – nichts zu sehen; aber für mich ist morgen auch noch ein tag."

Sofort tauchen hier Bilder aus der eigenen Kindheit auf, überzogen von einer feinen Staubschicht, wie die auf vergessenen Spielzeugkisten. Ebenso hier:

Zitat: "[...]viel kindheit in den händen, viele stunden auf endor,[...]"

Ganz authentisch: Zahlreiche Raumfahrer stürzten auf dem bewaldeten Mond Endor ab, ohne dass die Welt ringsherum etwas ahnte.
Doch nicht durchweg geht es heiter zu. Beispielsweise lässt der Enkel das so gut wie unvermeidbare Kapitel im Leben eines 1916 geborenen Mannes nicht aus – er tut es ohne Anklage, ohne Beschönigung, er berichtet einfach:

Zitat: "[…] ein fund im rucksack das dunkelste kapitel (nicht nur) seines lebens, hier und jetzt in gestalt eines essgeschirrs der wehrmacht. geschichten, die er nur selten erzählte, kriegserklärung, die zeit als kradmelder, die toten auf den straßen, […]

Wer war da der Großvater? Wir alle haben zum Krieg unsere eigenen Bilder und Gedanken, und Heuers unaufdringlicher Stil erlaubt uns, ihnen nachzuhängen, ohne dass das Unbehagen verboten wird.
Einen Text darf man eben dann als gelungen bezeichnen, wenn er Platz für die eigenen Regungen lässt.

Alles in allem ist dieser Band ein schönes Beispiel dafür, dass ´Familie in der Literatur´ eben doch ohne das Aufdecken der ganz großen Skandale gelingen kann.
Und nebenbei: ich habe mir vorgenommen, mich in Sachen zeitgenössischer Lyrik mehr umzutun. Nach Ginsberg, de Prima, Kerouac und anderen Vertreter*innen der Beat Generation gibt es offenbar doch viel Lesenswertes zu entdecken.

Werbung + Informationen zum Buch:
werkstatt (ein abschied in zehn bildern)
Gedichte
von Stefan Heuer
14 Seiten, (Lyrikreihe, Bd. 031)
herausgegeben von Parasitenpresse, Köln


2015-04-10, Juliane Beer, Wirtschaftswetter
Text: ©Juliane Beer
Foto + Foto-Banner: ©ap
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