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Nicht wirklich „mit leerem Tank“ in die Abschiedstournee gestartet

Tommy Haas' Abschiedstour

von Annegret Handel-Kempf

Grün wie die Hoffnung war das Outfit, das Tommy Haas trug, als er sich bei den Australian Open von seinen Träumen für diesen Grand Slam verabschiedete. Unerzwungen, doch auch irgendwie unausweichlich an diesem Punkt der über 20-jährigen Profikarriere des gebürtigen Hamburgers. Er stand 1999, 2002 und 2007 in Melbourne im Halbfinale. Nun trat der „Goldie“ zum letzten Mal als Spieler an diesem Schauplatz auf.

Bei der Pressekonferenz nach seiner Aufgabe in der Ersten Runde äußerte sich der Vollblut-Sportler freimütig: „Ich fühlte mich physisch leer. Ich hatte nichts mehr im Tank. Ich glaube nicht, dass ich je so etwas erlebt habe.“ Trotz der drei Gewinnsätze, über die bei den wichtigsten Tennis-Turnieren der Welt gespielt wird, stand der 38-Jährige dazu, ausgerechnet bei einem Grand Slam zurückgekehrt zu sein: „Ich bedauere nichts“. Noch mehr will sich der Unermüdliche jetzt um seine Fitness kümmern, um sein Abschiedsjahr zu meistern: „Es wird eine große Herausforderung.“ Die Lebewohl-Tournee der ehemaligen Nummer zwei der Welt, der das deutsche Herrentennis in der Welt immer wieder gut vertrat, allen Rückschlägen zum Trotz. Tommys klare Ansage: „Im Grunde wird jedes Event, das ich spiele, mein letztes sein.“

Doch zu Beginn von Tommys Erstrunden-Match gab der Sunny-Boy, der mit Frau und zwei Kindern in Los Angeles lebt, ein ganz anderes Bild, als das von Abschied ohne Wiederkehr, ab. Als würde die Zeit zurück gedreht. Da stand er wieder, der unbekümmerte Lausbub mit der verkehrt herum aufgesetzten Kappe, vollbepackt mit Muskeln, und lehrte seinen Gegner das Fürchten. Zunächst. Jung und frisch, ewige 19 Jahre alt oder tatsächlich schon zweimal so viel, 38 Jahre? Benoît Paire hieß sein Gegner, der mit seinem Almöhi-haften Bart wie der Ältere auf dem Platz wirkte, sich auch viel steifer bewegte. Überhaupt kam der 27-jährige merkwürdig unbewegt herüber, von einem Gegner mit all seinen Karriere-Erfolgen, vom Grand-Slam-Event, von seinem Sport. Entsprechend unangefasst locker schlug Paire auf, machte sein Ding, als würde er seine Runden auf dem Laufband absolvieren. Dem alten Hasen Haas mit seiner immer noch glühenden Tennis-Leidenschaft hatte er so erst nicht viel entgegenzusetzen: Mit 4:2 ging Tommy in Führung. Doch dann leistet sich der 38-Jährige mit seiner spielinvolvierten Auftrittsmanier, die aus einer anderen Zeit zu stammen scheint, Fehler. Er wurde ermahnt, weil er mit Ballgetrippel zu viel Zeit verstreichen ließ, bevor er aufschlug.

Tommy kämpfte. Immer wieder erfolgreich, bis zum 6:5. Am Ende ging der erste Satz dennoch an den Franzosen mit knappen 7:6.

Im zweiten Satz musste sich Haas beim Stand von 4:4 behandeln lassen. Schließlich landete der Rückhand-Crossball des Deutschen im Netz. Mit 4:6 verlor der 38-Jährige auch den zweiten Satz. Er gab auf. Seiner augenscheinlichen, muskelpaketbeladenen Stärke zum Trotz, war seine Physis zu schwach. Wozu sollte sich der neue Turnierdirektor von Indian Wells, der 2017 bewusst vor den Augen seiner Kinder seine Abschiedstournee bestreiten will, ganz kaputt machen?

Nach 15 Monaten Verletzungspause und fast schon nicht mehr zählbaren Operationen an der Schulter, auch am Fuß, bedeutete der Grand Slam in Australien das große Comeback für den einstigen Hamburger Haas. Ein Comeback, das zu Beginn von einem Traumstart für den 38-Jährigen träumen ließ. Doch es sollte nicht sein. Die Verletzungshistorie, das Alter – für Kommentator Boris Becker war die Aufgabe keine Überraschung. Sagte er. Doch der ehemalige Djokovic-Trainer sinnierte auch, während er eigentlich gerade auf Eurosport das Match seines ehemaligen Schützlings Novak gegen den Spanier Fernando Verdasco kommentierte: „Die Psychologie der Spieler ist für mich ein unerforschtes Feld: Was geht wirklich zwischen den Ohren ab?“

So lässt sich die mentale Seite des Tenniszirkus auch zusammenfassen. Dabei weiß es Becker doch genau. Riet er doch „als alter Tennisspieler“ Philipp Kohlschreiber in Melbourne, so lange wie möglich weiterzuspielen, weil Tennis einfach so wunderschön sei. Für einen wie Haas haben Tenniswettkämpfe in seinem letzten Jahr auf jeden Fall mit dem Streben nach Glück zu tun. Sonst bekämen ihn seine Fans 2017 nicht noch einmal zu sehen.


2017-03-03, Annegret Handel-Kempf, Wirtschaftswetter
Text: ©Annegret Handel-Kempf
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