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Kommentar

Corona-Impfreihenfolge - Die Priorisierung fällt weg

Bundesminister Spahn (CDU) kündigt den Wegfall der Impfpriorisierung zum 7. Juni 2021 an und hält die Durchimpfung der Risikogruppen bis dato für machbar. Die Umsetzung hängt vor allem an der Verfügbarkeit der Impfstoffe. Wenn es gelingt, ist nicht nur die Sommer-Saison 2021 gerettet. Ein Kommentar zum ambitionierten Plan.

von Angelika Petrich-Hornetz

Spahns Ankündigung, den Hausärzten, die zurecht als Beschleunigungsfaktor im Impfgeschehen schlechthin gelten, mehr Spielraum einzuräumen, klingt zunächst einmal so optimistisch wie theoretisch praktikabel, steht und fällt aber vor allem mit dem Vorhandensein von genügend Impfstoff - und für den hat Spahn selbst zu sorgen.
Zuvor preschten bereits einige Bundesländer vor, wie schon so oft, und hoben ihrerseits zuvor festgelegte Impfreihenfolgen auf. Neben einer nicht nur herausfordernden Prognose für Lieferung und Verfügbarkeit von Impfstoff, müssen aber auch sämtliche, im Impfgeschehen eingebunden Akteure innerhalb von nur drei Wochen, und zwar ab sofort (!) nun noch viel mehr leisten, darunter noch mehr Bürokratie bewältigen, womit diese bereits jetzt an ihre Grenzen stoßen, ähnlich wie vor kurzem erst wieder die Intensivstationen.

Gleichzeitig wedeln die Bundesländer mit immer neuen Öffnungszenarien "rechtzeitig" zu Pfingsten und vor der Urlaubssaison, u.a. auch mit einem lokalem Entfallen von Maskenpflichten und Kontaktbeschränkungen für diese jene und welche, durch sämtliche Medien.
Das wird allerdings aktuell schon "kräftig" umgesetzt. Im öffentlichen Leben nimmt derzeit die Disziplin regelmäßig parallel zu steigenden Außentemperaturen ab. Impfverweigerer und Geimpfte erwarten für ihren persönlichen Sommer 2021 aus unterschiedlichen Gründen dabei grundsätzlich dasselbe, nämlich ihr altes Leben zurück. Im seit März 2020 neuen, kafaesk anmutenden Corona-Leben verharren damit ausschließlich die unfreiwillig Noch-Nicht-Geimpften und avancieren somit zur neuen Sandwich-Generation 2021, die trotz der nach wie vor angespannten Lagen wie gehabt gefälligst weiter funktionieren soll. Sollte Spahns Plan aufgehen, könnte es auch für sie leichter werden und damit, das ahnen wohl alle, wäre nicht nur der Sommer gerettet, sondern eine ganze Menge mehr gewonnen.

Sollte es in drei Wochen aber nicht gelingen, die Risikogruppen durchgeimpft zu haben und der Mangel an Impfstoff weiter bestehen, fiele damit am 7. Juni die bisher "von oben" regulierte und bekannte Priorisierung lediglich weg und könnte das Problem, wer zuerst kommt, schlicht "nach unten", an die Praxen weitergereicht werden. In dem Fall dürfte eine neue, ganz intransparente Art einer Impfreihenfolge "von unten" in die Lücke springen, ein Vorgang, der seit einigen Wochen bereits eingesetzt hat. In diesem Geschehen priorisieren sich diejenigen selbst in Eigenregie, die gemeinhin das Recht des Stärkeren in diesem Fall dadurch vertreten, indem sie z.B. technisch oder rhethorisch besser ausgestattet, ihre persönlichen Anliegen zielführender vorbringen können oder schlicht über die besseren Kontakte verfügen, um auf einem unregulierten Markt mit dem anhaltend knappen Gut Impfstoff erfolgreicher auftreten können als andere.

Ob damit ein Impffortschritt in der Breite, der Schutz von sozial Schwächeren, verbriefte, in jüngster Zeit viel beschworene Grundrechte, sowie die auch nicht zu vernachlässigende Stärkung von Vertrauen in die Wirksamkeit von Sozialpolitik gerade in stark betroffenen sozialen Brennpunkten erreicht werden kann, wäre dann mehr als nur fraglich.
Spahns gleichzeitiger - im übrigen seit 14 Monaten durchgehender - Appell an die Bürger:innen, sie sollen grundsätzlich geduldig sein und im Besonderen nun keinesfalls am 7. Juni die Arztpraxen stürmen, weckt zumindest gegenwärtig noch wenig Hoffnung dass er im Bild ist.
Restaurantbesuch im Sommer 2021, Link Karikatur Die Praxen werden von Impfwilligen in Wirklichkeit bereits seit Wochen gestürmt, genauso wie die Anmeldeportale der Impfzentren, in denen bei jeder einzelnen, noch so aussichtlosen Vergabe, jeweils stets zehntausende Menschen - und einige Maschinen - aktuell um die noch viel zu wenig vorhandenen Impftermine wortwörtlich kämpfen. In dieser Gemengelage scheint bereits jetzt jeder sich selbst der Nächste zu sein - und genau das wird sich weder innerhalb der kommenden drei Wochen noch ab 7. Juni ausgerechnet dadurch ändern, dass ausschließlich sämtliche Regularien wegfallen - wenn nicht gleichzeitig genügend Impfstoff, ausreichend Termine und genug Impfakteure vorhanden sein sollten.

Von einem Bundesgesundheitsminister darf man mindestens erwarten, dass dieser über das Geschehen hinreichend informiert ist und eine dementsprechend sorgfältig geprüfte Einschätzung abgibt. So muss man ihm, den Arztpraxen, den Impfzentren und Impfwilligen, die allesamt von der Qualität seiner Politik abhängig sind, heute zunächst einmal Glück wünschen, dass der von der Politik ambitionierte 3-Wochen-Plan schlicht auch umgesetzt werden kann - und es nicht wieder nur bei vollmundigen Ankündigungen bleibt, die neue große Erwartungen weckten und in der Sommer-Saison 2021 vor der Bundestagswahl, in Kombination mit ständig neuen, lebensgefährlichen Mutanten, womöglich für lediglich immer wieder neue Probleme sorgten. Genau von denen haben die Bürger:innen und Wähler:innen in der seit über einem Jahr anhaltenden Pandemie bereits wirklich genug - und die betreffen auch längst nicht ausschließlich das Thema Corona.


2021-05-18, Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto + Banner: ©Angelika Petrich-Hornetz
Illustration: ©Eat

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