Wirtschaftswetter-Logo         Bild Wirtschaftswetter-Lifestyle Schwerpunkt In Bewegung, Link Wirtschaftswetter-Werbung


Das Ehrenamt

Das gesellschaftlich wichtigste Ehrenamt wurde zur unbeachten Freizeitbeschäftigung umdefiniert

von Angelika Petrich-Hornetz

Der Mai ist gekommen: Die öffentlich-rechtlichen TV-Sender zelebrieren Themenwochen zur Ehre des Ehrenamtes. Auch Bundesfinanzminister Peer Steinbrück lobt kräftig und sorgt für ein paar Steuererleichterungen für Ehrenamtliche. Passend dazu rechnete die Studie Gesellschaft auf einen Blick der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) vor, Frauen und Männer in Deutschland hätten im Durchschnitt täglich 6 Stunden und 34 Minuten Freizeit. Und am Sonntag ist mal wieder Muttertag.

Seltsam, dürften deshalb gerade Mütter angesichts von so viel statistischer Freizeit denken, dass sie auch im Jahre 2009 nach Christi Geburt immer noch immense Schwierigkeiten haben, sich abends auch nur eine halbe Stunde kinder- und haushaltsfrei zu erkämpfen, bevor sie pünktlich ins Bett hechten müssen: Schließlich muss das Hotel Mama auch als erstes wieder aus den Federn jagen, um anschließend reibungslos als Hochverfügbarkeits-Service für alle funktionieren zu können.

Auch das Hotel Mama wurde jüngst von Statistikern untersucht. Sie stellten fest, dass in Deutschland immer mehr junge Frauen und (noch mehr) junge Männer immer länger zu Hause bei Muttern leben, statt auszuziehen und endlich auf eigenen Füßen zu stehen.

Mindestens seit Aristoteles* wissen wir, das kann nur an der verkommenen Jugend liegen. Oder hatte etwa auch da schon der Gesetzgeber seine Finger im Spiel wie jetzt, als in Deutschland Eltern von bis zu 25-Jährigen kurzer Hand dazu verdonnert wurden, ihre arbeitslose und damit nur allzu offensichtlich unerfolgreiche Brut selbst behalten zu dürfen. Sozusagen als Strafe für die betroffenen Mütter, denen seit Ewigkeiten die Hauptschuld am Versagen ihrer Kinder zugeschanzt wird.

Die potenziell faule Nachkommenschaft vor die Tür setzen, geht mit diesem Gesetz also nicht mehr . Damit können betroffene Eltern notorische Nesthocker nicht einmal mehr zur Selbständigkeit zwingen. Lediglich eine gut funktionierende, berufstätige Jugend scheint erwünscht zu sein. Damit ist die Jugend in Deutschland ähnlich beliebt wie etwa Einwanderer, die dem Staat schließlich auch nicht einmal mehr temporär auf der Tasche zu liegen haben. Das Land der (mindestens) zwanzig Millionen Ruheständler ist sich zumindest darin, dass es ohne ordentliche Rendite keineswegs für andere zahlen will, wieder einmal total einig.

Elternschaft ist Arbeit - für "Personal Care" haben sie angeblich trotzdem viel Zeit

Was machen also diese Deutschen eigentlich – hinter den Belgiern immerhin zweitplatziert auf der Faulheitshitliste der OECD – mit ihrer vielen Freizeit fragte, sich die Zeit erst kürzlich redlich – und fand keine Antwort.
Des Rätsels Lösung ist dabei relativ einfach. Kinder sind nach OECD-Standard ganz richtig in unbezahlte Arbeit eingeteilt, während z.B. Minijobber, die ähnlich viel wie Nur-Eltern zur Sozialversicherung beitragen, in allen Statistiken als Erwerbstätige gelten, so auch in diesem OECD-Bericht. Gleichzeitig nimmt seit Jahren die Zahl der Haushalte mit Kindern ab, also verringert sich auch die durchschnittliche Zeit, die für die unbezahlte Versorgung von Kindern aufgebracht werden muss - für alle -, rein statistisch betrachtet.

Neben der Versorgung von Kindern werden von der OECD diverse andere Beschäftigungen, darunter auch Arbeiten im Haushalt von der Freizeit abgezogen. Den größten Posten machen dabei erstaunlich hohe 45,3 Prozent eines 24-Stunden-Tages für personal care (Körperpflege) aus. In diese Kategorie, die von der Freizeit abgezogen wird, fallen Schlafen, Essen, Hygiene, Arztbesuche, Friseurbesuche und diverse andere Tätigkeiten. Die unbezahlte Arbeit indes – Putzen, Waschen, Kochen, Versorgung der Kinder und anderer Familienmitglieder, Einkaufen etc. - , macht dagegen im OECD-Durchschnitt nur noch 15,3 Prozent eines Tages aus (Deutschland 15,2 Prozent).

Dieser geringe Anteil eines Tages für unbezahlte Arbeit dürfte sich mit der Wirklichkeit von Familien, gerade mit kleinen oder mehreren Kindern kaum decken. Friseurbesuche sind keine Freizeitgestaltung? Schon das lässt erahnen, wie wenig aussagekräftig solche Durchschnittswerte sind und Folgendes vermuten:
Während viele Menschen in Deutschland offenbar über noch viel mehr als nur über sechseinhalb Stunden Freizeit täglich verfügen dürften, schuftet das Hotel Mama landauf, landab auch weiterhin kostenlos und weitestgehend unbemerkt rund um die Uhr. Eine Mutter, die tatsächlich 45,3 Prozent ihres Tages mit personal care verbringt, dürfte in der Wirklichkeit, abseits von Statistiken gar nicht so leicht zu finden sein.

Die Zahlen über die durchschnittliche Freizeit in einem Land sind damit genauso aussagekräftig wie etwa das Durchschnittsgehalt. Ähnlich, wie die Einkommensschere nicht nur in Deutschland immer weiter auseinander klafft, wird auch die Zeitschere zwischen unterschiedlichen Gesellschaftsgruppen immer größer. So rechnet die OECD vor, dass Frauen statistisch durch die bisherige Praxis der früheren Verrentung und ihrer längeren Lebenszeit insgesamt deutlich länger im Ruhestand leben als Männer. Doch im Alltag spannt sich der Bogen verfügbarer Freizeit bei Männern und Frauen tatsächlich von so gut wie gar keiner privaten Zeit für sich selbst bis hin zu hundertprozentiger Freizeit der Privatiers. Allein schon 20 Millionen Ruheständler mit 27 Millionen Erwerbstätigen in einen Freizeittopf zu werfen, dürfte wenig zur Messung tatsächlich verfügbarer Freizeit beitragen. Selbst die längeren Schlaf- und Essenszeiten der Franzosen könnten vor diesem Hintergrund möglicherweise der demografischen Entwicklung geschuldet sein. Dass es gleichzeitig für viele Erwerbstätige ziemlich normal ist, morgens ohne Frühstück aus dem Haus zu rennen, haben in der Vergangenheit andere Studien nachgewiesen.

Nicht nur die Einkommens-, auch die Zeitschere klafft auseinander

Dazwischen liegen eine Menge Variationen: Menschen mit zwei oder drei Jobs haben zum Beispiel ähnlich wenig Freizeit wie Vorstände von DAX-Unternehmen oder Ärzte im Krankenhaus. Doch Erstgenannten steht bei gleicher Zeitinvestition ein deutlich niedrigeres Einkommen zur Verfügung. Damit setzen sich die Einkommens- und Zeitscheren langfristig fort: Die Vieljobber werden mangels Einkommen auch im Alter weniger Geld zur Verfügung haben, also auch weniger Freizeit, weil sie im Alter noch arbeiten müssen, während andere die Beine hoch legen. Kinderreiche haben ebenfalls wenig Zeit – nicht nur, was ihre Freizeitgestaltung betrifft, sondern auch nur, um entgeltlich für sich selbst zu arbeiten. Darum haben viele kinderreiche Mütter und Väter häufig auch keine vernünftige Altersvorsorge.

Im Gegenzug können sich erwachsene Menschen in Deutschland durch ökonomisch geschickte Heirat und Verpartnerung in eine lebenslängliche Hinterbliebenenrente einwählen, und damit die mangelnde Freizeit von ehrenamtlichen Eltern kompensieren, so dass dann irgendwie fast 6,5 Stunden Freizeit pro Tag beim (nicht real existierenden) Durchschnittsdeutschen herauskommen.

Die schlechte Altersvorsorge betrifft vor allem Alleinerziehende. Ihr gegenüber steht die angebliche Bedürftigkeit noch relativ junger, erwachsener und kinderloser Menschen in der Hinterbliebenenversorgung, die in Zeiten, in denen immer mehr Kinder ohne verheiratete Eltern aufwachsen, zwar langsam auf Bewusstsein trifft, doch das gilt nach wie vor nicht für den Gesetzgeber.

Acht Stunden Arbeit täglich - und davor und danach nichts zu tun, dafür jede Menge Zeit – wären ein Kinderspiel für jede teilzeitschuftende Mutter, die morgens, vor der Arbeit ihre Kinder auf Schulen und Kindertagesstätten verteilt und nach der Arbeit alle zeitaufwendig wieder einsammeln muss. Das gleiche gilt übrigens auch für immer mehr Väter. Anschließend folgt der zweite Arbeitstag innerhalb von 24 Stunden: Haushalt, Einkauf, Kinder - alles unbezahlte Tätigkeiten, mit denen die Deutschen angeblich, weil rein statistisch nur noch 15,2 Prozent ihres Tages verbringen.

Selbst Schuld, wer unbezahlt arbeitet. Und Ehrenamt ist nicht gleich Ehrenamt: Die Definition von unbezahlter Kinderbetreuung als Privatvergnügen ist in Deutschland fest etabliert und bekommt die ehrenamtliche Mutter 2009 inzwischen von Männern und von Frauen gleichermaßen zu hören. Ein Wunder, dass die OECD die Versorgung von Kindern nicht gleich in die Kategorie Freizeit gesteckt hat. Schließlich haben Frauen in Deutschland auch die Möglichkeit 45 Jahre vorwiegend für sich selbst zu arbeiten oder sich möglichst reich zu verpartnern, am besten beides kinderlos: Dann würden sie weniger unbezahlt arbeiten und hätten mehr Freizeit – und das bis zum Ende ihres Lebens.

Wer also keine Freizeit hat, weil er, in der Regel immer noch sie, ehrenamtlich mit mehreren Kindern beschäftigt ist, wird wohl seine 6,5 Stunden tägliche Freizeit genauso wie das dadurch entgangene eigene Einkommen altruistisch dem Pool der Allgemeinheit und damit dem Allgemeinwohl zur Verfügung stellen. Na, wenn das kein Ehrenamt ist.

Doch was und wie sie es auch tut, macht die Mutter 2009, insbesondere in den Augen von weiblichen und männlichen Nicht-Müttern, immer noch alles falsch: Wenn sie sich nicht mit ihrem Ehrenamt begnügt, sondern über das übliche Teilzeitmaß hinaus beruflich engagiert, bleibt sie genauso angreifbar: Ja, ob das denn gut für die Kinder sei (?) - lautet eine wieder sehr beliebte, völlig sinnentleerte Frage. Doch vielleicht wird das nach wie vor mit viel zu vielen persönlichen Vorstellungen beladene Bild der Mütter in Deutschland wenigtens etwas entlarvt, wenn ausgerechnet im Monat Mai des Muttertags die erfolgreiche drei- , bald vierfache Mutter Heidi Klum den beachtenswerten Coup landet, es gleichzeitig zur Hexe auf der Titelseite des Sterns sowie in die Emma zum Pascha des Monats zu schaffen.

Ein wahrlich sagenhaftes Kunststück deutscher Medienkultur, an das wir uns noch lange immer wieder gern erinnern werden. So viel offenen Neid muss man sich schließlich erst einmal verdienen. Damit hat sich Frau Klum automatisch zur Frau des Jahres 2009 der Zeitschrift Wirtschaftswetter qualifiziert. Wir gratulieren hiermit - und wünschen ihr und allen ehrenamtlichen und erfolgreichen Müttern einen wunderschönen Muttertag - möglichst frei von Nervensägen.

Weitere Informationen:
Aus der OECD-Studie: Measuring Leisure in OECD Countries

*Zitat Aristoteles: "Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen."


2009-05-10 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Fotos Themenbanner: ©ap
Infos zu Datenschutz + Cookies

zurück zu: themen

zurück zu: Startseite

wirtschaftswetter.de
© 2003-2021 Wirtschaftswetter® Online-Zeitschrift