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Listening

Wege aus dem Informations-Tsunami

von Angelika Petrich-Hornetz

Morgens bei Kaffee oder Tee lesen Sie die Tageszeitung. Auf dem Weg zur Arbeit mit der Bahn ein Fachblatt und Sie blättern noch einmal durch das wöchentlich erscheinende Computermagazin. Während der Arbeit lesen Sie unterschiedliche Informationen aus unterschiedlichen Quellen: am Bildschirm eine Dokumentation, einige Kapitel aus einem Handbuch, Briefe aus dem überquellenden Postfach und nicht zu vergessen unzählige E-Mails. In der Mittagspause lesen Sie zwei interessante Mitteilungen am schwarzen Brett, einen weiteren Teil Computermagazin und dazu noch die Finanznachrichten, die Sie sich extra für diesen Zweck, aus dem Internet ausgedruckt hatten.

Am Nachmittag haben Sie einen Arzttermin und erhalten dort ein vierseitiges Patienteninformationsblatt. Nach dem Termin müssen Sie noch etwas aus der Drogerie besorgen und bekommen dort von einer freundlichen Verkäuferin eine 20-seitige Kundenzeitschrift ausgehändigt. Am Informationstand in der Einkaufspassage drückt man Ihnen zwei DIN A4-Seiten in die Hand, die Sie über Verkaufsaktionen mit Showeinlage am kommenden Sonnabend in einer Einkaufspassage informieren. In der Fussgängerzone erhalten Sie einen Flyer mit Mehrwert, da dieser nicht nur für die herausgebende Kaufhauskette wirbt, sondern umfangreiches Informationsmaterial über sämtliche Servicedienstleistungen bereithält, die dieses Kaufhaus der vorhandenen und potentiellen Kundschaft zu bieten hat.

Im Zug lesen Sie den Rest Ihrer Finanznachrichten. Sie möchten eigentlich noch einmal ein paar Seiten eines Buches lesen, welches Sie sich für die immer etwas langweilige An- und Abfahrt zum Arbeitsplatz vor Jahren einmal gekauft hatten, aber dazu kommen Sie nicht mehr: Über Seite 5 der Kundenzeitschrift sind sie erfolgreich eingeschlafen.

Am Bahnhof angekommen, suchen Sie sich ein Taxi, weil der Bus Verspätung hat. Im Taxi gibt Ihnen der Fahrer eine Informationszeitschrift des Verbandes städtischer Taxifahrer, der dem Kunden die Leistungen der Taxiunternehmen der Stadt näherbringen möchte. Zu Hause angekommen, lesen Sie Ihren Kindern etwas vor, bevor diese zu Bett gehen. Nach dem Essen lesen Sie die Post, dann lesen Sie noch ein paar Seiten aus der Monatszeitschrift ihres Berufsverbandes.

Und wenn Sie jetzt nicht schon gestorben sind, dann lesen Sie noch weiter oder ihr Buch liegt auch noch in zehn Jahren auf dem Nachttisch: ungelesen.

Fällt Ihnen etwas auf? Wir lesen uns tot, immer mehr, immer häufiger, immer länger, immer unsinniger. Die Informationsflut ist innerhalb der letzten Jahre zu einem Informations-Tsunami angeschwollen, dessen vorangegangenes Beben in Form der Informationsgesellschaft und nicht zuletzt durch den Siegeszug des Internets nachgrollt. Irgendwann einmal bricht der Informations-Tsunami über jeden neuzeitlichen Menschen hinein und droht ihn unter Millionen Ausgaben ungelesenen Papiers zu vernichten.

Können Sie sich noch wage an die Vision vom papierlosen Büro erinnern? Schnee von gestern. Der Papierberg ist Dank inzwischen in jedem Büro und fast jedem Haushalt vorhandenem Drucker längst ausgeufert. Die Folgen sind hochaktuell: Zeitungsverlage klagen nicht nur über zurückgehende Werbeeinnahmen, auch die Zahl der Abonnenten und Laufkäuferschaft nimmt ab. Noch nie in der ganzen Geschichte der Menschheit ist soviel ungelesenes Zeugs im Altpapier gelandet wie heute. Wer es schafft, an den zahlreichen Prospekten, Abdrucken, Kopien und Kundenzeitschriften vorbeizukommen, kann sich abends noch an der Lektüre eines guten Buches erfreuen. Einige Totalverweigerer sind allerdings auch schon gesichtet worden.

Und wie reagieren die Verlage? Na, wie schon: Sie jammern und harren der Dinge. Im besten Fall erzeugen Sie noch mehr Print, in den unterschieldlichsten Variationen. Doch das nützt wenig, denn um dem (noch) geneigten Leser die Bewältigung des Informations-Overkills zu erleichtern gibt es durchaus andere Möglichkeiten, als lediglich noch mehr Druckerzeugnisse zu produzieren, wie aktuelle (Anmerkung: Stand 2002) Umfragen und Studien belegen:

Kultur-, Nachrichten und Informationen zum Hören - Die Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse, ermittelte in ihrer zweimal jährlich erscheinenden repräsentativen Umfrage im August 2002 , dass 52,9 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen werktags einen öffentlich-rechtlichen Radiosender hören. Die auf Telefon-Interviews basierende Media-Analyse 2002 wurde unter 61.000 Personen ab 14 Jahren durchgeführt. Interessant ist dabei der festgestellte leichte Zuwachs bei den Kultur- und Informationsprogrammen, womit sich der Trend aus den letzten Erhebungen fortsetzt, äußerte sich dazu die ARD.

Hörfunk erreicht Zielgruppen - Die Professorin für Soziologie, am Forschungsinstitut für Soziologie der Universität Köln, Christa Lindner-Braun führte eine Studie durch, die zu dem Ergebnis kommt, dass das Radio in seiner Werbewirkung in den üblichen Mediaplanungen weit unter seinem tatsächlichen Wert gehandelt wird, detaillierter:
- Verglichen mit dem Fernsehen gäbe es eine signifikant höhere Nachfrage nach Hörfunkwerbung- etwa 3,5 Stunden hören 80 Prozent aller Erwachsenen ab 14 Jahre täglich Radio
- die Programmgestaltung ist auf Hörer und Zielgruppen abgestimmt
- Jugendliche und Führungskräfte, die kauffreudigen und kaufkräftigen Zielgruppen, nennen das Radio und nicht das Fernsehen an erster Stelle der Mediennutzung
- das Radio läuft innerhalb dieser Zielgruppen weit länger pro Tag als das TV-Gerät- ein weiterer Vorteil des Hörfunks: Es kann nicht gezappt werden
- Hören erlaubt zudem die parallele Ausführung anderer Tätigkeiten, wobei die Aufnahmefähigkeit aber keinesfalls vermindert werde
- Der Informationsgrad werde nicht durch ablenkende Bilder gemindert, sondern durch Präzision der Sprache wird die Konzentration auf den Informationsgehalt gestärkt.
Als Vorteil der Radiowerbung werden zudem die niedrigen Produktionskosten genannt. Paradoxerweise führte gerade dies zum Schattendasein des Hörfunks im Bereich der Werbung, weil durch qualitativ schlechte Billigwerbung das Image verzerrt wurde, so ein weiteres Ergebnis der Studie.

Fazit: Die Vorteile und die Zielgruppen des Hörfunks werden unterschätzt. Das gute alte Radio ist nicht totzukriegen. Werden die Verlage und die Werbung die Erkenntnisse aus der Umfrage und der Studie aufgreifen und zu nutzen verstehen? Werden sie den Bedarf kaufkräftiger Zielgruppen an gehörter Information entdecken?

Eine ganze Generation läuft mit MP3 Playern herum. Auch damit kann man parallel zur Informationsversorgung staubsaugen oder Bahnfahren. Wir Oldies hören sowieso gern Radio. Während wir alle möglichen anderen Dinge erledigen, lassen wir uns gern mit der Kultur ein, leihen unser Ohr mit Vergnügen interessanten Hintergrundberichten, erfreuen uns an Präzision und Wohlklang des gesprochenen Wortes.

Wo bleiben die Ideen unserer Verleger, uns auch außerhalb des Hörfunks, mit gehörten Informationen zu beliefern, die uns einen multitasking-fähigen Alltag ermöglichen? Nicht nur MP3-Bücher, sondern auch Essays, Berichte und einzelne Artikel zum Download feilgeboten, sind in den USA längst üblich, während unsere Verlage jaulen und zuschauen wie wir die besten Jahre unseres Lebens sequenziell lesend verbringen, bis uns der Informations-Tsunami eines Tages endgültig scheidet.


2002-08-09 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz

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