Aus der Reihe: LEOkulinarisch*
von Christian Pentzold
Wie kam das Boeuf Stroganoff zu seinem Namen? Oder der Pfirsich Melba? Warum ist etwas klar wie Kloßbrühe? LEO geht dem kulinarischen Wortschatz auf den Grund und erläutert Speisennamen und entsprechende Redensarten, getreu dem Motto: Wissen geht durch den Magen. Eine kleine Serie von Christian Pentzold.
Die Geschmäcker der Gestecker sind verschieden, weiß der erzgebirgische Volksmund. Und nicht nur das einfache Volk kann man da als aussagekräftigen Zeugen heranziehen. Nein, auch allerhöchste Kreise ziehen die diversen kulinarischen Vorlieben. Im Kleinen Muck etwa wird von einem Sultan erzählt, welcher nur mit den Herzen weißer Tauben verköstigt wurde. Am burgundischen Hof sollen Raffinessen wie vergoldeter Pfau serviert worden sein und noch heute, so wird vor und hinter Palastmauern jedenfalls geraunt, lasse sich H.M. The Queen höchstselbst jede Kartoffel auf kugelrundes Einheitsmaß zurechtschnipseln.
Bismarck, eiserner Kanzler, wo sauer doch angeblich so lustig macht: Bismarck-Schnaps, Bismarck-Wasser, Seezungenfilet à la Bismarck, Bistecca alla Bismarck (Steak mit zwei Spiegeleiern, aber klasse klingt's dennoch) und natürlich der Bismarck-Hering - ohne spezifische Vorlieben scheint der Eiserne Kanzler gewesen zu sein.
Dass der preußische Junker, Freiherr und spätere Fürst von Bismarck-Schönhausen (von welchem sich lange der Kalauer hielt, er werde schön hausen) den Freuden des Lebens nicht abgeneigt war, zeigt schon sein, mit Verlaub, gesund zu nennender Appetit.10 Eier zum Frühstück, schon mal 150 Austern zum Diner, 5000 Flaschen Champagner zum, nein, im Leben und zum Lunch Kaviar, Räucheraal, Königsberger Klopse, pommersches Gänsefett, Hausmacherwurst, Kartoffelsalat und Heringe. Denn von diesem Arme-Leute-Essen war der Fürst besonders angetan. Sauer eingelegt war es die Leibspeise des Kanzlers. "Wenn der Hering genauso teuer wie Hummer wäre, gälte er mit Sicherheit in den höchsten Kreisen als Delikatesse", soll er sogar einmal angemerkt haben. So dauerte es denn auch nicht lang, dass sich der Stralsunder Fischkonservenfabrikant Johann Wiechmann durch das freimütige Bekenntnis ermutigt fühlte, Seine Hochfürstliche Durchlaucht "alleruntertänigst" darum zu bitten, seine Heringe zukünftig mit der Bismarckschen VIP-Garnitur (nach Sibylle Riley-Köhn) verzieren zu dürfen. Gefragt - getan. Und seit dieser Zeit tragen sauer eingelegte Ostseeheringe den fürstlichen Namen.
Ein Toast auf den Earl oder umgekehrt? Einer älteren Namengeschichte können sich hingegen zwei belegte und zusammengeklappte Toastscheiben rühmen, besser bekannt als Sandwich. Auch wenn die Entstehung unrühmlich gewesen ist, jedenfalls für den Patron: Sir John Montagu, 4th Earl of Sandwich.
Diesen soll, wie es sich für einen richtigen Adligen des 18. Jahrhunderts gehört, eine der grassierenden Maladien heimgesucht haben, namentlich das Glücksspiel (von Geliebten wird aber auch gemunkelt). Jenes war eine der Modeerscheinungen der Zeit. Venedig war berühmt dafür, in Versailles verspielte Marie Antoinette mehr als ein Vermögen und auch der Earl soll ein wahrer Zocker gewesen sein. Seine Leidenschaft soll ihn denn auch dazu gebracht haben, nicht einmal mehr zum Essen sich vom Spieltisch zu erheben.
Um nicht wegen des ungelegen eintretenden Hungertodes eine Glückssträhne zu verpassen, orderte er aber besagte Toastscheiben (Schwarzbrot scheint in England bis auf den heutigen Tag unbekannt). Et voilà - das Sandwich war geboren. Im Übrigen: Der Graf soll in Wahrheit gar kein so übler Kerl gewesen sein, jedenfalls nicht übler als die anderen. Arbeitsam soll er gewesen sein, viermal Minister und so arm, dass er nichts zum Verspielen gehabt hätte. Wo kommen nur immer solche bösen Gerüchte her? (Nebenbei: Sandwich ist bei weitem nicht der einzige englische Adlige, dessen Name auch ein Gericht zieren darf. Erinnert sei da an Beef Wellington oder Lady Curzon Schildkrötensuppe. Die Herzöge von Marlborough hat es gleich doppelt getroffen - Hummer Churchill und Zigaretten, in leicht abgewandelter, nennen wir's amerikanisierter, Form.)
Da kräuseln sich die Haare vor Frohlocken beim Herzog von Choiseul. Bleiben wir zum Ende beim Hochadel. Diesmal aber nicht schnöde Schnitten oder miefiger Fisch. Nein, sondern die Krone der Konfekt-Schöpfung, die Praline. Regensburg, 1663. Es tagt der "immerwährende Reichstag" (ein früher Beleg der inflationären unbegründeten Superlative).
Zu Gast ist auch César, duc de Choiseul, comte du Plessis-Praslin, Maréchal et pair de France. Um den Diplomaten und Beobachtern die langwierigen Verhandlungen (der Name verspricht da einiges) erträglicher zu gestalten, servierten die Patisseure "Reichstags-confect" aus Mandeln, Datteln und Marzipan. Dieses Naschwerk scheint jedoch dem Franzosen nicht gereicht zu haben. Sein Koch gab deshalb dem Ganzen noch den letzten Pfiff und überzog alles mit der gerade in Umlauf gekommenen Schokolade. Der Herzog gab dafür dann auch seinen Namen her. Überliefert ist zudem eine andere Geschichte, welche einem ungeschickten Küchenjungen die zufällige Erschaffung der Praline durch ein Malheur andichten will.
Es sei wie es will: Wohlschmeckend ist alles - Bismarck-Hering, Sandwich, Praline. Vielleicht aber nicht unbedingt zusammen.
Literaturtipp:
Englische Kochrezepte und Speisekarten in Vergangenheit und Gegenwart
Eine linguistische Analyse zur Fachsprache der Gastronomie
von Sibylle Riley-Köhn
Frankfurt: Lang 1999
2003-11-04 by Christian Pentzold, Wirtschaftswetter
Text ©Prof. Dr. Christian Pentzold
*Anm. der Redaktion: Die studentische Zeitschrift LEO (Lingua et Opinio), in der dieser Artikel erstveröffentlicht wude, erschien 10 Jahre lang
Illustration: ©Angelika Petrich-Hornetz
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