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Kopftuchstreit vor dem Bundesverfassungsgericht

Interview mit der schleswig-holsteinischen Bildungsministerin Ute Erdsiek-Rave

Die Fragen stellte Angelika Petrich-Hornetz

Hintergrund Am Mittwoch, fällte das Bundesverfassungsgericht ein salomonisches Urteil zum sogenannten Kopftuchstreit. Es verwies die Entscheidung, ob Lehrer in allgemeinbildenden Schulen ein Kopftuch tragen dürfen oder nicht in die Politik zurück. So müssen sich nun die einzelnen Länderparlamente weiter mit dem Kopftuch beschäftigen und bei Bedarf entsprechende Gesetze schaffen. Damit könnte in Zukunft in einem Bundesland das Tragen des Kopftuchs per Gesetz verboten werden, in einem anderen erlaubt sein. Baden Württemberg, so das Bundesverfassungsgericht, hätte z. Zt. keine Gesetzesgrundlage, um der Klägern, Frau Ludin, das Tragen eines Kopftuchs während des Unterrichts zu verbieten. Zur Entscheidung hatte sich zuvor u. a. auch die SPD-Politikerin Lale Akgün in einem Spiegel-Online-Interview geäußert.

Nach diesem Urteil herrscht nun weiter Unklarheit. Immerhin von vielen begrüßt wird die Feststellung, dass die Politik in die Pflicht genommen wird mit Beseitigung von offenbar existierenden Gesetzeslücken, die nicht dazu geeignet sind, Neutralitätsgebot und Religionsfreiheit gegeneinander ins Feld zu führen. Kritisiert wird hingegen einmal die Gefahr einer Prozesswelle, sowohl von kopftuchtragenden Lehrerinnen als auch von auf die Neutralitätspflicht pochenden Eltern, die bald wieder vor dem Verfassunggericht landen könnten. Zweitens droht durch die Bildungshoheit der Länder ein Flickenteppich, in dem in jedem Land eine andere gesetztliche Grundlage entworfen wird. Die schleswig-holsteinische Bildungsministerin, Ute Erdsiek-Rave (SPD), würde eine einheitliche Regelung der Länder vorziehen. Im folgenden Kurz-Interview gibt sie Wirtschaftswetter ein Statement zur aktuellen Lage.

Interview

Wirtschaftswetter: Wie wird sich die Landesregierung in Schleswig-Holstein mit diesem Urteil auseinandersetzen?

Ute Erdsiek-Rave: Wir werden die Entscheidung genau prüfen. Die Diskussion über das Urteil zeigt schon jetzt, dass es quer durch alle Parteien und Institutionen unterschiedliche Meinungen gibt. In Schleswig-Holstein gibt es keinen Anlass zu einer Adhoc-Entscheidung. Es ist uns kein Fall bekannt, in dem eine muslimische Lehrerin das Kopftuch in der Schule trägt.

Wirtschaftswetter: Sind Sie mit dem Urteil zufrieden vor dem Hintergrund, dass die eigentliche Entscheidung nun in die Länder versetzt wurde?

Ute Erdsiek-Rave: Ich schlage vor, dass sich die Bundesländer untereinander auf eine einheitliche Regelung verständigen. Es kann nicht sein, dass jedes Land etwas anderes beschließt.

Wirtschaftswetter: Ist das Tragen eines Kopftuchs im Unterricht Ihrer Meinung nach vertretbar und zeitgemäß?

Ute Erdsiek-Rave: Ich persönlich halte es für nachvollziehbar, das Tragen eines Kopftuches zu verbieten. Es drückt nicht nur eine Glaubenshaltung aus, die beeinflussende Wirkung auf die Schülerinnen und Schüler haben könnte. Es ist auch Ausdruck eines Frauenbildes, das meinem Verständnis von Emanzipation und einem modernen Verhältnis der Geschlechter widerspricht

Wirtschaftswetter: Vor welchen Debatten graut Ihnen persönlich hinsichtlich der Brisanz des Themas?

Ute Erdsiek-Rave: Vor der Debatte graut mir nicht. Sie ist notwendig. Das zeigt schon die Resonanz auf das Urteil. Ich wünsche mir allerdings, dass sie nicht fanatisch geführt wird, sondern sachlich bleibt.

Wirtschaftswetter: Ist der Laizismus eine angemessene Antwort auf die Probleme oder gibt es bessere Modelle?

Ute Erdsiek-Rave: Diese Frage stellt sich nicht, nur weil es in Karlsruhe nun dieses Urteil gegeben hat. Ich glaube in Deutschland gibt es ein sehr gutes Verhältnis von Staat und Religion.

Wirtschaftswetter: Gibt es in Schleswig-Holstein Freistellungen vom Sport - und Schwimm-Unterricht von muslimischen Mädchen?

Ute Erdsiek-Rave: Im begründeten Einzelfall kann es Freistellungen vom Sportunterricht geben. Darüber entscheiden die Schulleitungen.

Wirtschaftswetter: Brauchen wir andere und bessere Programme zur Integration als die, die wir schon haben?

Ute Erdsiek-Rave: In Schleswig-Holstein haben wir im Juni 2002 ein sehr fortschrittliches Integrationskonzept beschlossen, das alle gesellschaftlichen Bereiche umfasst. Das Konzept reicht vom Spracherwerb über interkulturelle Bildung und Erziehung, die Arbeitswelt bis hin zur gesellschaftlichen Partizipation. Dieser Weg ist richtig, denn er zielt darauf ab Migrantinnen und Migranten an allen lebensrelevanten Bereichen teilhaben zu lassen.

Frau Erdsiek Rave, wir danken Ihnen für das Gespräch.


2003-09-26, Angelika Petrich-Hornetz
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz und Gesprächspartnerin Ute Erdsiek-Rave
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