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Christine Ax - Mass Customization für das Handwerk

Die Fragen stellte Angelika Petrich-Hornetz

Christine Ax entwickelte in jahrelanger Arbeit und mit dem Anspruch der Nachhaltigkeit in entsprechend sorgfältiger Planung ein Konzept, online Maßschuhe einzukaufen. Die Verknüpfung von High-Tech und Handwerk in höchster Qualität ist dabei wahrlich keine leicht Übung. Der Ansatz des Mass-Schuhnetzwerkes, das einem breiteren Publikum Maßschuhe zu einem vernünftigen Preis anbieten will gibt Anlass zur Hoffnung. Nicht nur für Schuhmacher und ihre Kunden, sondern auch generell für das geplagte Handwerk scheint dies ein interessantes Modell zu werden. Das individuelle, auf Kundenwünsche abgestimmte Produkt zieht durch die Arbeit von Frau Ax wieder im Handwerk ein.

Wirtschaftswetter Frau Ax, wie kamen Sie auf die Idee zu "Massschuh.de" ?

Christine Ax: Für den kurz vor dem Abschluss stehenden, siebenjähren Entwicklungsprozess von Massschuh.de waren folgende Motive der hinreichende Grund:

Einmal die Tatsache, daß ich sehr sensible Füße habe und schon immer darunter gelitten habe, dass Schuhe entweder schön waren oder passten.. Und wenn zufällig beides stimmte, dann habe ich diese Schuhe viel getragen mit dem Ergebnis, dass sie erschreckend schnell kaputt waren oder schäbig aussahen.
Und dann hasse ich es, mich von diesen wunderbaren Liebelingsschuhen zu trennen..., kurzum, es ist der ganz normale weibliche Schuhwahnsinn ; )

Und dann die Tatsache, dass neue Technologien es heute möglich machen die kundenindividuelle Fertigung von Schuhen, Kleidern oder Möbeln zu unterstützen und damit auch preiswerter zu gestalten. Die hiermit verbundenen Chancen wollte ich vor allem dem Handwerk zugänglich machen. Schon während meines Studiums war ich von der Vision der "Small Scale Technologies" fasziniert.
Die Regionalisierung der Produktion von Schuhen ist in jeder Hinsicht nachhaltiger als das zur Zeit gängige Produktionsmodell. Sie ist umweltfreundlicher und sozialer. Sie ermöglicht, dezentral Arbeitsplätze zu schaffen. Sie ist entlang des Lebenszyklus arbeitsintensiver und sie unterstützt eine neues ressourcenschonendes Konsummodell: Besser statt mehr!

Wirtschaftswetter Erklären Sie uns bitte kurz, wie Ihr System funktioniert.

Christine AxAusgehend von der erfolgreichen Erprobung einer Scanner- und CAD-gestützten Leistenkonstruktion (auf dem Leisten wird der Massschuh gebaut) haben wir eine integrierte Lösung entwickelt, eine internetbasierte Systemlösung für die Maßschuhfertigung, die sowohl für den Kunden als auch für die Hersteller die zentrale Kommunikations- und Produktkonfigurationsplattform ist. Dies ist technologisch derzeit eine echte Neuheit und das Handwerk dürfte der Industrie damit zur Abwechslung einmal den Rang abgelaufen haben. Wir sind Spitze!
Das System Massschuh.de besteht aus einem Front-End für die Kunden. Der Kunde findet mittels einer Suchmaschine einen Maßschuhmacher. Er findet zudem eine kleine Auswahl an Maßschuhen, die die Schuhmacher anbieten. Der Kunde kann sich zukünftig (ab Oktober) im Internet zusätzlich mit Hilfe eines Produktkonfigurators von der Variantenvielfaltüberzeugen, die die Massschuh.de-Schuhmacher anbieten.
Um einen Maßschuh zu erhalten, muß der Kunde allerdings einen Schuhmacher zunächst persönlich aufsuchen. Wir halten eine komplett internetbaiserte Maßschuhfertigung für Unsinn. Maßschuhe entstehen - genau wie Kunst - im Auge des Betrachters und im Gespräch zwischen Schuhmacher und Kunde. Ein Maßschuhkunde erwartet zurecht 100% Zufriedenheit, die Passform betreffend und eine Mitsprache beim Aussehen bezüglich Leder, Farbe, Details, Spitzenform, Absatzform etc.. Hat der Kunde einen persönlichen Leisten, dann sind auch Nachbestellungen möglich. Der Kunde kann über das Internet auch sehen, wann sein Schuh fertig ist, wir nennen das Order-Tracking.
Für die an der Herstellung des Maßschuh.de-Produktes beteiligten Partner, wie Schuhmacher, Leistenbauer, Schäftemacher, Endmontage und Zulieferer, ist die Plattform das Arbeitsmittel. Alle für die Herstellung der Maßschuhe notwendigen Daten und die Kommunikation zwischen den Partnern bis hin zur Kundenverwaltung finden auf der Plattform statt. Das ist für alle Partner effizient und rationell.

Wirtschaftswetter: Für welchen Hersteller ist es interessant, sich bei dem Unternehmen zu beteiligen, welche Voraussetzungen muss dieser mitbringen, bzw. müssen geschaffen werden?

Christine Ax: Unsere Zielgruppe ist der Fachmann, der Schuhmacher. Es sind zwar Kooperationsmodelle zwischen Schuhherstellern, Handel und Masschuh.de denkbar. Wir glauben allerdings inzwischen zu wissen, - es gibt genügend gescheiterte Versuche der Industrie und des Handels, die wir analysiert haben - dass beim Thema Schuh letztlich der Maßschuhmacher notwendig bleibt.
Auch wenn ein großer Teil der Kunden mit einer Maßkonfektion zufrieden zu stellen ist (Maßkonfektion = Zugriff auf vorgefertigte Leisten in verschiedenen Weiten) ist die Zahl der Kunden, die eine echte Anpassung an der Leistenform benötigen doch sehr groß.
Wer keinen Maßleisten herstellen kann und Maßschuhe verspricht, riskiert u. U., dass die ganze Branche und letztlich das neue Konsummodell "Masscustomization" in Misskredit gebracht wird. Das zentrale Know-how der Maßherstellung liegt in der Leistenkonstruktion und die Rationalisierungspotentiale liegen in der CAD-gestützten Leisten- und Schaftkonstruktion und -fertigung.
Ich empfehle den Gurus in dieser Branche den Mund nicht so voll zu nehmen und den Faktor Mensch sowohl auf der Kundenseite als auch bei der Herstellung des Maßschuhs nicht immer weiter zu unterschätzen. Die Industrie sollte sich auf das konzentrieren was sie am besten kann: standardisiert arbeiten und ggf. auch noch Maßkonfektion mit anbieten. Ich empfehle Kooperationsmodelle mit kleinen kompetenen Produktionsstätten: Solche Netzwerke sind die Zukunft.

Wirtschaftswetter: Für welche Kunden ist Ihr Angebot definiert und was haben diese davon?

Christine Ax: Unsere Zielgruppe sind Menschen, die auch heute schon bereit sind, hochwertige Schuhe zu kaufen und jetzt für einen kleinen Aufpreis Maßschuhe erhalten können. Unsere Schuhe sind für jeden, der wirklich rechnen kann, eine gute Wahl. Sie sind qualitativ hochwertig, so dass man sie viele Jahre tragen kann. Und je länger sie getragen werden, desto mehr werden sie geliebt.
Maßschuhe zu tragen ist auf Dauer nicht wirklich teurer. Ich empfehle für den Alltag und für ganz besondere Gelegenheiten die klassischeLinie als Maßschuhe. Und für den Spaß Modisches. Maßschuhe sind vor allem auch eine Wohltat für die Füße, die Knie und den Rücken. Wer im Alter mobil sein möchte, braucht die richtigen Schuhe. Frauen sind in diesem Punkt manchmal etwas leichtfertig, wenn sie nicht wissen, was sie ihren Füßen nachhaltig antun...

Wirtschaftswetter: Wird sich Mass Customization Ihrer Meinung nach langfristig durchsetzen?

Christine Ax: In den nächsten zehn Jahren wird sich in diesem Bereich sehr viel tun. Es ist derzeit ein Nischenprodukt, aber diese Nischen wachsen und vermehren sich. Der Übergang von einer handelsbasierten Konsumwelt zu einem "lagerlosen" Konsummodell ist nur ein Szenario für das obere Marktsegement, etwa 10-20 Prozent. Es gibt allerdings eine sichtbare Freude an mehr Individualität, an Wellness, an Qualität und an Kultur.
Ich fürchte in diesem Zuammenhang am meisten industrielle Anbieter, die Maßschuhe oder Maßanzüge versprechen, aber nur Maßkonfektion liefern und damit viele Menschen enttäuschen, die echte Maßprodukte suchen oder benötigen. Ich denke da z.b. an einen finnischen Fabrikanten der letztlich mit viel Trara in Hamburg eröffnet hat und drei Monate später schließen musste, weil viele Kunden mit der Passform nicht glücklich waren.

Wirtschaftswetter: Warum ist MC gerade für die Textil- und Lederwarenbranche so interessant?

Christine Ax: Das Produktionsmodell ist effizient. Es gibt weniger "Abschriften", d.h. die Lager müssen nicht ständig durch Preisreduktionen geräumt werden. Das Risiko und die Kapitalbindung sind geringer und es werden nicht so viele Flächen benötigt. Und die sind in guten Lagen sehr teuer. Ich denke jedoch, dass beide Konsummodelle neben einander stehen können und beide Zukunft haben.
Die Trends am Markt unterstützen zudem Mass Customization. Es findet preislich eine Polarisierung nach oben und nach unten statt. Die demographische Entwicklung spielt uns ferner in die Hände und der Wunsch nach Individualsierung unterstützt die Herstellung kundenindividueller Produkte sehr stark. Auch für den Textilbereich gilt, was ich zuvor gesagt hatte: Vor allem die kleinen Anbieter, die wirklich individuell beraten und sorgfältig fertigen, haben hier eine Chance und sollten sie nutzen.

Wirtschaftswetter: Ausblick auf die Zukunft: Welche Entwicklung, Herstellerverfahren und Kundenwünche sehen Sie im Bereich Fußbekleidung und auch allgemein im Handwerk auf uns zukommen?

Christine Ax: Wenn ich mir die Schuhmode von heute ansehe, sehe ich vor meinem inneren Auge eine große Zahl von Frauen, die ihn Zukunft entweder orthopädisches Schuhwerk tragen müssen oder aber auf der Suche nach guten Maßschuhmachern und Maßschuhmacherinnen sein werden. Das gilt auch und vor allem für die Turnschuhgeneration. Der Orthopädieschuhmacher und der Maßschuhmacher haben hier eine solide Zukunft und beides ist ein Handwerk, dass man verstehen muss. Mit oder ohne Eintrag in die Handwerksrolle.

Frau Ax, wir danken Ihnen für das Interview.


2003-09-05 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text © Angelika Petrich-Hornetz

und Gesprächspartnerin Christine Ax

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