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Notizen aus den USA

Eindrücke einer MBA-Studentin, 3.Teil

Kritik, ein heißes Eisen

von Ines Kistenbruegger

2003-10-22
Warum Amerikaner keine Kritik vertragen
Nun lebe ich schon seit fast zwei Monaten in den USA. Genauso lange studiere ich hier und stelle fest, dass ich mit mehr kulturellen Unterschieden zu kämpfen habe, als ich erwartet hätte. Einmal mehr bin ich in das Fettnäpfchen der kulturellen Missverständnisse getreten.

Wir sollten gestern unsere MBA-Vorlesungen bewerten. Unsere Professorin fragte nach Kritik und Anerkennung. Hätte ich geahnt, wohin mich meine Kritik führt, hätte ich lieber den Mund gehalten. So wies ich darauf hin, dass meiner Meinung nach, zu viele Fragen in den Vorlesungen zwei- oder dreimal gestellt würden, und zwar manchmal sogar direkt hintereinander. Ich verkniff mir extra die Bemerkung, dass es sich dabei hier und da um völlig überflüssige Fragen handelte, weil die Antworten ohnehin entweder direkt im Buch nachlesbar oder bereits im Kursmaterial zusammengefasst zu finden sind.

Jedenfalls fühlten sich meine MitstudentInnen hochgradig angegriffen und waren prompt beleidigt. Mir wurde vorgeworfen, ich schränke ihr Recht auf Lernen ein. In einem Land wie den USA sei es wichtig, sich durch Präsenz hervorzuheben , damit man im alltäglichen Wettbewerb mithalten könne!

Erst da habe ich begriffen, es ist unhöflich und beleidigend, einen Amerikaner zu kritisieren. Bereits vorher hatte ich bemerkt, wie großzügig Amerikaner mit Lob und Komplimenten umgehen. Jede Tätigkeit wird erst einmal in höchsten Tönen gelobt, Begriffe wie „wonderful“, „gorgeous“, „fantastic“ gehören zum alltäglichem Sprachgebrauch.

Wenn sich zwei Frauen treffen, läuft die Unterhaltung in der Regel folgendermaßen ab:
- Hallo Susan, wie geht es dir?
- Oh, wonderful, und dir? Ich liebe den Mantel, den du trägst.
- Oh vielen Dank, den habe ich im Schlussverkauf bei Banana Republic gekauft. Aber Dein neuer Haarschnitt ist fantastisch. Zu welchem Friseur gehst du?

Jede Unterhaltung, gerade zwischen Frauen, fängt erst einmal mit dem Austausch von Komplimenten an. Wehe, man gibt ein Kompliment nicht direkt zurück oder bedankt sich nicht überschwänglich! Damit gilt man dann als arrogant und unfreundlich oder ist sofort als Ausländer ausgemacht worden.

Amerikaner machen keine Fehler, daher sind diese auch nicht zu kritisieren. Die meisten Amerikaner sehen sich als Opfer der Umstände. Und diese Tendenz beziehungsweise Praxis gibt es inzwischen auch in Deutschland. Doch hier scheint es ein Gesetz zu sein. Hat man zum Beispiel in einem Multiple Choice Test eine Frage falsch beantwortet, dann war entweder die Frage widersprüchlich formuliert oder der Professor hatte andere Interpretationsansätze. Amy, meine amerikanische Freundin aus dem Wirtschaftkurs, sagte neulich passend zu diesem Thema: „Mittlerweile scheint es wichtiger zu sein, nicht die Gefühle des Studenten zu verletzen, anstatt ihm/ihr etwas beizubringen“.

Später am Tag ging ich mit meiner neuen amerikanischen Check Card einkaufen. Die Kassiererin, offensichtlich neu, hatte nicht viel Ahnung davon, wie die Kasse zu bedienen ist. Nach dem sie es zehn Minuten langalleine vergeblich probiert hatte und die Schlange hinter mir immer länger wurde, rief sie sich Hilfe. Nun standen zwei Frauen an der Kasse, hantierten mit meiner Check Card herum und hatten schließlich einen Betrag von meiner Karte abgebucht, leider den falschen.

Glücklicherweise wusste die zweite Angestellte, wie dieser Betrag zu stornieren ist. Der zweite Versuch klappte dann gar nicht mehr. Meine Karte wurde abgelehnt.
- „Entschuldigen Sie, Ihre Karte funktioniert nicht mehr, ich brauche eine andere“.
- „Was ist denn passiert?“
- „Der Automat akzeptiert die Karte nicht. Das passiert manchmal“.
- „Es ging doch beim ersten Mal, woran kann das liegen?“

Ich merkte, wie die sich Verkäuferin bereits angegriffen fühlte und ihr Gesicht einen leeren Blick bekam, der bei Amerikanern üblicherweise zu finden ist, wenn sie kritisiert werden. Ich hätte wie eine gute Amerikanerin einfach meine zweite Kreditkarte (oder dritte oder vierte) herausholen sollen und dies natürlich ohne irgendwelche Rückfragen. Da offensichtlich meine Karte Schuld war, brauchte sich die Verkäuferin nicht mit irgendwelchen Fragen zu beschäftigen.
- „Das passiert manchmal, wir wissen nicht warum, fragen sie Ihre Bank“.

Somit musste ich meine Kreditkarte herausholen und damit bezahlen. Insgesamt hatte ich fast 30 Minuten an der Kasse zugebracht. Mittlerweile waren die Leute in der Schlange hinter mir zu den zahlreichen anderen Kassen abgewandert. Diese waren natürlich alle offen und mit Personal besetzt. Wartende Kunden liegen in der Verantwortung des Geschäftes. Verzögerungen aufgrund von unzuverlässigen Kreditkarten nicht.

Später nach einem Telefonat mit der Bank habe ich dann erfahren, dass nur bis zu einem täglichen Höchstbetrag von $ 300 abgebucht werden kann. Und Stornierungen sind nicht direkt wirksam. Ach so, dachte ich nach dem Telefonat, das nächste Mal muss ich besser aufpassen. Damit ich nicht wieder das Kassenpersonal und mich in Verlegenheit bringe, wenn mein Tageslimit der Check Card überschritten ist.

Das ganze Theater brachte mich also einen ordentlichen Schritt weiter zu einem besseren kulturellen Verständnis. Jetzt muss ich mir nur noch ein paar überschwengliche Komplimente einfallen lassen, wenn ich nachher Magda und Amy treffe. Wollte Magda sich nicht einen neuen Mantel kaufen? Ich hoffe sie trägt ihn, dann habe ich etwas bei der Begrüßung zu sagen.


2003-10-22, Ines Kistenbrügger, Wirtschaftswetter
Text: ©Ines Kistenbrügger
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