Eindrücke einer MBA-Studentin aus Detroit 5.Teil
von Ines Kistenbruegger
2003-11-17, Detroit
Sturmböen.Es stürmt. Es regnet. Die Bäume haben urplötzlich keine Blätter mehr. Die Blätter liegen jetzt zusammengekehrt auf der Straße. Eine Reihe von Blätterhaufen. Eigentlich nicht gekehrt, gut ausgerüstete Männer unserer Nachbarschaft benutzen Laubbläser. Gestern habe ich die ersten Schneeflocken gesehen. Ich vermute, der Herbst wird gerade vom Winter abgelöst. Es ist so kalt.
Nächsten Donnerstag ist Thanksgiving und alle meine Bekannten hier in Detroit bereiten sich auf ein paar freie Tage vor. Und natürlich auf eine besinnliche Familienfeier bei der mindestens ein ganzer Truthahn der allgemeinen Familiendankbarkeit zum Opfer fällt.
Thanksgiving bedeutet vier Tage frei, hintereinander. Allerdings ist dann das Wochenende mit eingerechnet. Für die armen Amerikaner, die keine sechs Wochen Urlaub kennen, sondern mit einer Urlaubszeit von zehn Tagen pro Jahr zu kämpfen haben, ist das viel. Allerdings tun sich die Amerikaner nicht unbedingt leid, wenn sie hören, dass wir in Deutschland sechs Wochen Urlaub pro Jahr kennen. Als ich dies neulich in einer Diskussionsrunde erwähnte, wurden mir zum Teil unverständliche Blicke zugeworfen: Kein Wunder, dass es der deutschen Wirtschaft so schlecht geht, wie soll die Produktivität hochgehalten werden, wenn nie gearbeitet wird. Was machen die Deutschen bloß mit so viel Freizeit? Wird doch langweilig.
Thanksgiving leitet die Weihnachtszeit ein.
In meinem Lieblings-Café (ich sollte eigentlich sagen, in einem der Standorte meiner Lieblings-Café-Kette) tragen die Bedienenden bereits Weihnachtsmannmützen und das bereits seit zwei Wochen. Die Holiday-Season einleiten, das ist der Zweck der Mützen. Ich habe einen jungen Mann, der mir jeden Tag meinen Latte zubereitet, gefragt. Diese vorweihnachtliche Zeit stört mich allerdings gar nicht. Es wirkt im Moment alles (noch) sehr dezent. Nicht aufdringlich. Immerhin ist nächste Woche Thanksgiving und alle freuen sich auf die paar freien Tage. Allerdings ist dieser Truthahnmassenmord doch recht erschreckend. Es gibt tatsächlich Truthähne zu kaufen für 39 cent pro Pfund. Allerdings dürfen dann pro Person nur maximal zwei Stück verkauft werden. Wahrscheinlich hat das etwas mit einer karitativen Maßnahme zu tun: Jeder soll sich einen Truthahn zu Thanksgiving leisten können und auch bekommen.
Wer nicht kochen kann, kauft den Vogel gekocht, oder fritiert. Es gibt hier Riesenfriteusen, in die man einen ganzen Vogel hineinwerfen kann.
Dies soll angeblich eine Spezialität der nördlichen Michigan-Gegend sein. Mich hat diese Kochmethode noch nicht überzeugt. Ein normaler Truthahn wiegt mindestens zehn Pfund. Das sind keine 5 kg. Amerikaner benutzen nicht das metrische System. Aber das vergesse ich immer wieder gerne.
Neulich musste ich auf einer Waage stehen. Beim Arzt. Ich sah die Skala: 122 Pfund und habe einen halben Herzanfall bekommen. Ich dachte: fünf Kilo zugenommen und das in nur drei Monaten in den USA. War aber nicht so schlimm. 122 Pfund sind nämlich nicht 61 kg, sondern nur etwas mehr als 55kg. Ich war so erleichtert. Jetzt kann ich zumindest auch bei den amerikanischen Thanksgiving-Spezialitäten zuschlagen: Kartoffeln mit Marshmallows überbacken. Hurra.
2003-11-17 von Ines Kistenbruegger, Wirtschaftswetter
Text: ©Ines Kistenbruegger
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