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Ein sagenhaftes Puppengeschäft und ein Interview mit Joe Pine

Erlebnis-Ökonomie - Experience Economy

von Angelika Petrich-Hornetz

Für die Experience Economy - oder eingedeutscht Erlebnis-Ökonomie - gibt es mittlerweile viele erfolgreiche Geschäftsmodelle. Eines der populärsten kommt aus der Puppenbranche. Puppenhersteller verkaufen in erster Linie ihre Produkte sowie Zubehör. Das Erleben des Spiels findet indes weitgehend zu Hause, bei den kleinen Kunden, statt. Der Markt ist heiß umkämpft, alteingesessene Hersteller wie Zapf Creationen und die einst nahezu weltbeherrschende Ankleidepuppe Barbie bekommen es mit ständig neuen Konkurrenten zu tun, von denen die Braatz-Puppen bereits ebenfalls bei ihren Kundinnen als etabliert gelten, mit dem Novum, dass ihre Erscheinung dem Alter ihrer Kundinnen entspricht. Zeichnet sich hier ein Trend ab? Wenn es einer ist, dann ist er zumindest in seiner Grundidee schon etwas älter, denn entdeckt hat ihn Pleasant T. Rowland bereits in den achtziger Jahren. Deren Puppen sind alle ungefähr im Alter der kleinen Kundinnen. Getoppt wird das eigentliche Produkt jedoch eindeutig von den Läden, in denen es verkauft wird: American Girl Place.

Das Puppen herstellende Unternehmen Pleasant Company wurde 1986 von Pleasant T. Rowland gegründet, die zuvor als als Lehrerin und Publizistin von Lernmaterialen arbeitete. Sie erfand und etablierte die Marke American Girl, um Mädchen zu bilden und gleichzeitig zu unterhalten. Mit qualitativ hochwertigen Büchern, Puppen und anderem Spielzeug wurde damit Bildung in ein Spielerlebnis integriert - nebenbei Geschichte gelehrt sowie Werte vermittelt, denn die Puppen stellen Figuren aus historischen Zeiten der USA dar. Inzwischen sind viele weitere hinzugekommen, auch Puppen und Bücher über Mädchen aus vielen anderen Ländern. Das herausragende an dem ganzen Konzept ist, dass Mrs Rowland das Spielerlebnis aus dem Kinderzimmer in das Ladengeschäft holte.

Inzwischen betreibt das Unternehmen zwei große Häuser, das Stammhaus in Chicago und im Herbst wurde eine Filiale in New York eröffnet. Es sind keinesfalls einfache Spielwarengeschäfte, sondern Erlebnis-Geschäfte - ganz im Sinne der Erlebnisökonomie, die Joe Pine und James Gilmore einst beschrieben. Die Kundinnen der Puppen verbringen in den Geschäften Stunden, Tage und ganze Wochenenden. Es gibt Restaurants, ein Theater mit regelmäßigen Vorstellungen, einen Puppenfrisör und man kann Geburtstagsfeiern mit und ohne Übernachtung im hauseigenen Hotel buchen, natürlich mit Frühstück bis hin zur Vollverpflegung inklusive Festtagsmenü und Entertainment.

Ein Aufenthalt dort ist nicht gerade billig, der Erfolg gibt dem Konzept dennoch Recht. Etwa 8 Millionen Puppen (Stand 2003) wurden inzwischen verkauft und damit rangiert American Girl an zweiter Stelle hinter Barbie. Und Pleasant T. Rowland musste es wissen, das gilt auch als ein Hinweis auf ein weiteres Einstellungskriterium bei Bewerbungsgesprächen, denn Mrs. Rowland arbeitete bereits vor der Gründung ihres ungewöhnlichen Unternehmens jahrelang mit ihren zukünftigen Kundinnen zusammen. Sie brachte das Wissen, was ihre Kunden wirklich verlangen, in ihr Unternehmen ein. Das Spielen immer sehr eng mit Erleben verbunden ist, braucht man eigentlich niemanden zu erklären. Pleasant T. Rowland verkaufte ihr Unternehmen zur Jahrtausendwende für mehre hundert Millionen Dollar an Mattel.

Mrs. Rowland ist natürlich nicht das einzige Beispiel für den Erfolg von Frauen in der Erlebnis Ökonomie. Warum diese so erfolgreich sind - und andere Fragen zur Erlebnis-Ökönomie stellten wir Joseph Pine, Autor und Managementberater, der durch seine Werke zur Mass Customization und zur Experience Economy zu Weltrum gelangte und damit als Begründer und Vordenker von personalisierten Produkten und Dienstleistungen sowie dem Erlebnis als Wirtschaftsgut gilt.
Durch seine Definition von Erlebnis als einem Wirtschaftsgut stieß Pine Türen auf, die der Dienstleistungsgesellschaft vorher verschlossen waren. Zwar ist jedem Marketing-Mitarbeiter bekannt, dass man mit einem Bohrer das Loch in der Wand verkauft, doch Pine und Gilmore dachten weiter: Folgt man ihnen, verspricht der Verkauf einer Bohrmaschine das Betrachten des Bildes, welches dort hängen wird. Zitat: Experiences are as distinct from services as services are from goods" Etwas anderes, als Rabattschlachten" in den Geschäftsräumen aufzuführen, könnte zumindest nicht schaden.

Wirtschaftswetter: Mr. Pine, Ihr Buch, die Erlebnis Ökonomie, wurde 1999 veröffentlicht. Wie hat sich die Erlebnis Wirtschaft seitdem entwickelt?
Joe Pine: Mein Co-Autor, James Gilmore und ich sind überrascht gewesen, wie weit sich die Erlebnis Ökonomie in nur wenigen Jahren entwickelt hat. Wir kommen kaum hinterher, über die vielen neuen Beispiele von Unternehmen auf dem Laufenden zu bleiben, die über Produkte und Services hinausgehend Erlebnisse inszenieren. Und dies geschieht quer durch sehr verschiedene Branchen wie dem Großhandel, Dienstleistungen, Gesundheitsfürsorge, Einzelhandel und der Investitionsgüterindustrie. Wobei wir zur der Zeit der Veröffentlichung (1999) nur von einigen wenigen Beispielen in Europa wussten, sind uns inzwischen viele, viele europäische Unternehmen im Geschäft mit Erlebnissen bekannt.

Wirtschaftswetter: Gibt es Unterschiede zwischen der Erlebnis Ökonomie in den USA und Europa?
Joe Pine: Ein paar, aber es sind Unterschiede in der Abstufung, kaum in der Art. Es scheint so, als würden Europäer eher dazu neigen, natürliche und öffentliche Erlebnisse zu mögen. Jedoch sehen wir auf beiden Seiten des Atlantiks, dass Leute alle möglichen Arten von Erlebnissen bevorzugen.

Wirtschaftswetter: Einige behaupten, das Internet sei nichts anderes, als nur einer von mehreren Vertriebskanälen. Denken Sie, es existiert überhaupt so etwas wie ein E-Erlebnis als eigenständiges Geschäftsfeld oder wird in Zukunft möglich sein?
Joe Pine: Durchaus wird es das, weil es längst praktiziert wird. Amazon.com, eBay und Yahoo haben jedem gezeigt, dass E-Commerce erfolgreich sein kann, obwohl Bücher für Amazon noch nicht überall profitabel sind. Inzwischen finden wir viele Unternehmen, die auch das Internet als ein Medium für Erlebnisse nutzen. Goodyear hat eine Site, auf der man als Reifen bei einem Autorennen über die Bahn rollt. Die US-Armee benutzt ihre eigene Site, um mit Hilfe von Spielen, Bewerber zu rekrutieren. Die Informationen und Erlebnisse von New Line auf ihrer, Lord of the Rings-Site, angeboten, generierte über eine Billion Zugriffe für den ersten Film, the Fellowship of the Ring, der, bevor er gezeigt wurde, damit von den Fans bereits sehnsüchtig erwartet wurde. Und Sonys Everquest verlangt einen monatlichen Mitgliedsbeitrag für den Zutritt zu ihrer virtuellen Welt.

Wirtschaftswetter: Ist Sicherheit ein Thema für das Geschäft mit Erlebnissen?
Joe Pine: Ja, für alle Erlebnis-Anbieter, weil sie, ob virtuell oder real, eine große Verantwortung für ihre Gäste tragen, welche die Erlebnisangebote nutzen. Sie haben die Unversehrtheit und Sicherheit jedes einzelnen Kunden zu gewährleisten. Ansonsten würde sie der Markt zu Recht abstrafen.

Schon oft haben Sie darauf hingewiesen, wie außerordentlich wichtig es sei, das richtige Personal zu finden, um erfolgreiche Erlebnis-Geschäftsfelder zu entwickeln. Worin liegt nun der Unterschied zwischen Erlebnis- und Marketingmitarbeitern?
Viele Marketingleute werden sehr gut darin, Erlebnisse zu entwickeln, weil beides Kreativität erfordert. Aber diejenigen, die bezwingende Erlebnisse entwerfen wollen, müssen die Psyche ihrer Kunden verstehen und nicht nur den offensichtlich geäußerten Bedarf. Und darüber hinaus müssen sie die Struktur des Dramas kennen. Und selbstverständlich müssen sie die Bereitschaft mitbringen, auf der Bühne zu stehen.

Wirtschaftswetter: Wir bleiben beim Thema Personal. Mr. Pine, Sie gaben einmal den Hinweis: "Weisen Sie ihre Angestellten an, zu agieren" Was meinten Sie damit? Sollen wir uns nun alle in singende Kellnerinnen verwandeln?
Joe Pine: Nein, aber wir alle sollten verstehen, dass wir eine Rolle auszufüllen haben, ob es nun die "singende Kellnerin" ist oder der technische Angestellte oder der aufmerksame Sicherheitsposten. In der Erlebnis Ökonomie ist Arbeit tatsächlich Theater. Es ist keine Metapher - Arbeit als Theater - sondern ein Modell: Arbeit ist buchstäblich Theater.
Immer wenn ein Mitarbeiter vor einem Gast oder Kunden etwas tut, steht dieser Mitarbeiter auf der Bühne! Ob ihm dies bewusst ist oder nicht, ob er es gut macht oder nicht, er ist auf der Bühne und muss in einer Art und Weise agieren, die diesen Gast oder dieses Publikum beschäftigt. Folglich muss Management seine Angestellten anweisen, zu agieren und ihnen Rollen geben, die sie ausfüllen können. Es muss ihnen außerdem helfen, diese Rollen zu charakterisieren und diese dann auf der Bühne vor dem Kunden durchzuführen.

Wirtschaftswetter: Einige Kritiker sagen, das Publikum der Erlebnis Wirtschaft bleibt eher begrenzt, weil Erlebnisgeschäfte auf die Freizeit- Industrie reduziert sind. Wie antworten Sie?
Joe Pine: Ich antworte: Schauen Sie sich um! Die Freizeitindustrie mag der größte Bereich der Erlebnis Wirtschaft sein, aber es ist keinesfalls der einzige. Jedes Geschäft, welches erkennt, dass seine Angebote mehr und mehr austauschbar werden, hat die Möglichkeit umzuschalten, in dem es Erlebnisse inszeniert. Jedes Geschäft kann Marketing Erlebnisse nutzen, um Bedarf für seine Angebote zu generieren. Da gibt es z. B. Pike Place Fish Market, in Seattle, die das Straßentheater dazu benutzen, um die Kunden zu animieren, Fisch zu kaufen. Hersteller beginnen ebenfalls damit, Erlebnisse anzubieten. Z. B. die Pleasant Company mit dem, American Girl Place, in Chicago mit seinem Theater, für welches Extra-Eintritt verlangt wird oder die Heineken Experience in Amsterdam und natürlich die Volkswagens Autostadt in Wolfsburg in Deutschland. Auf dem Dienstleistungssektor, ist der holländische Gigant, ING, mit seinen ING Direct Cafés sehr erfolgreich und, The Geek Squad, in Minneapolis ist ein ganz wundervolles Beispiel für Erlebniswirtschaft bei Computer Reparaturen. Selbst Erlebnisanbieter können andere Erlebnisse nutzen, um Bedarf zu wecken: Denken Sie an all die Shows, Fahrgeschäfte, Museen und Themen-Einkaufswelten, welche für die Casinos in Las Vegas Kunden generieren.

Wirtschaftswetter: Die beiden erfolgreichsten Einzelhandels-Unternehmen in Deutschland waren im Jahr 2002 Aldi, ein Lebensmitteldiscounter und Hennes & Mauritz, ein Bekleidungs-Discounter. Warum haben sie Erfolg, auch wenn sie kaum ein Einkaufserlebnis anbieten?
Joe Pine: Aus dem selben Grund, aus dem Wal Mart inzwischen der größte private Arbeitgeber in den USA geworden ist. Weil jeder von ihnen den Begleit-Trend der Experience Economy ausnutzt: Massenware! Es findet z. Zt. eine Bifurkation auf den Märkten statt, bei der die Kunden einiges zum niedrigst möglichen Preis in der kürzest möglichen Zeit einkaufen möchten und zu anderen Zeiten, möchten genau dieselben Kunden ihr hart verdientes Geld in Erlebnisse investieren, die alles andere als billig sind. Das ist sehr interessant! Seit es einfacher ist, zu fusionieren und massenhaft Güter zu produzieren, werden diejenigen Unternehmen, die dieses gut hinkriegen, zu erfolgreichen Riesenkraken.

Wirtschaftswetter: Thema: Frauen in der Erlebnis Ökonomie. In der Vergangenheit waren Frauen in der Experience Economy vor allem als Statisten und Nebendarsteller zu finden. Hat sich dies in den letzten Jahren geändert?
Joseph Pine: Viele Frauen sind sowohl an der Front als auch im Zentrum der Experience Economy tätig, weil viele von ihnen ein sehr gutes Verständnis von Theater haben. Auffällig oft kommt zunächst branchenfremdes, ehemaliges Ersatz-Personal manchmal ganz weit nach oben!

Wirtschaftswetter: Können Sie uns von außergewöhnlichen Frauen in der Experience Economy berichten?
Joe Pine: Wie in fast allen Bereichen, sind es einige an der Zahl. Pleasant T. Rowland ist eine ehemalige Lehrerin. Sie gründete, The Pleasant Company, die High-End-Produzenten der American Girl-Puppenkollektion, von der jede in einer bestimmten Zeitperiode der Geschichte angesiedelt wird. Sie arbeitete also schon vorher immer direkt mit ihren Kunden! Als es dann soweit war, eine eigene Handelspräsenz aufzubauen, folgte sie jedoch nicht den üblichen Regeln und Paradigmen des Ladengeschäfts, sondern sie entwarf, The American Girl Place, in Chicago. Es ist der beste Einzelhandel der Welt!
Dank der Vielzahl und der Qualität der dort erhältlichen Erlebnisse, wurde The American Girl Place, 1999 als erster Preisträger mit dem EXPY ausgezeichnet, unserem Preis für die beste Erlebnis-Inszenierung des Jahres. Das Angebot dort beinhaltet ein Theater mit 150 Sitzen für Live-Aufführungen, ein Café, einen Fotografen, ein Puppen-Hospital, einen Puppen-Haar-Salon etc. - jedes Angebot davon so beliebt, dass es eigenen Eintritt verlangen kann. Mrs Rowland verkaufte ihr Geschäft vor einigen Jahren an Mattel für ein paar hundert Millionen Dollar. (Anmerkung: Im Herbst 2003 eröffnet, the American Girl Place, in New York)
Ich würde auch noch gern einige weitere erwähnen, wie z. B. Maxine Clark, die "Build-a-Bear" gründete, ein wundervolles und einnehmendes Erlebnis-Angebot, bei dem Kinder ihre eigenen Teddybären entwerfen. Colleen Barrett ist Präsidentin und COO der Fluglinie in den USA, die das Erlebnis-Geschäft wirklich verstanden haben: Southwest! Und viele der besten Unternehmensberater und Chronisten der Experience Economy sind Frauen, wie z. B. Pat Esgate, Roberta Perry, Nora Lee und Linda Berman.

Wirtschaftswetter: Denken Sie, Frauen können sich besser auf Service und Erlebnis einstellen als Männer?
Joe Pine: Man könnte es glauben, wenn man überlegt, dass Frauen mehr mit ihren Gefühlen in Kontakt sind und mit den Empfindungen, die sie aufnehmen. Weil Services immateriell und Erlebnisse auch, dazu einprägsam, sind diese sicher sanftere" Wirtschaftsgüter als austauschbare Massenwaren und andere materielle Güter.

Wirtschaftswetter: Viele Frauen arbeiten auf dem Dienstleistungssektor. Könnte dies als ein Vorteil gedeutet werden, um erfolgreich in der Experience Economy zu sein?
Joe Pine: Natürlich schadet es nicht! In der Tat ist es ein großes Plus, denn schließlich besteht in der Dienstleistungsbranche ein signifikanter Kontakt mit dem richtigen Leben und echten, lebendigen Kunden, etwas, was in der Produktion und Herstellung fehlt. Wenn man diese Basis-Interaktion nehmen und sie in eine Vorstellung - auf der Geschäftsbühne agieren! - verwandeln kann, dann kann bereits das allein, einen ganz banalen Service in ein umwerfendes Erlebnis verwandeln.

Wirtschaftswetter: Was erwarten Kundinnen von der Experience Economy? Existiert wirklich ein Unterschied zwischen weiblichen und männlichen Ansprüchen?
Joe Pine Solange es den Unterschied der Geschlechter gibt, wird es auch unterschiedliche Ansprüche bei Erlebnissen geben, die gefragt sind. Verstehen Sie, dass es für jedes definierbare Ausmaß, eine Gaußsche Kurve (Anm. Gaußsche Glockenkurve) gibt, und zwar für jedes Geschlecht und diese beiden Kurven überlappen sich. Wenn ein Angebot vielleicht ausschließlich auf ein Geschlecht abzielt - wie etwa, American Girl Place, auf Mädchen, ihre Mütter und Großmütter, dann kann man dieses Erlebnis sicher so bis zum Ende der Kurve auf diese Gruppe zuschneiden. Andererseits hat ein Erlebnis beide Seite von jeder Kurve zu umfassen. Eine viel bessere Methode würde darin bestehen, Erlebnisse als einzelne individuelle Kundenwünsche zu definieren, egal welchen Geschlechts, so dass jedes gewünschte Erlebnis exakt ermittelt werden kann.

Wirtschaftswetter: Faith Popcorn, die Autorin von EVEolution (Anm. Deutsch: EVAlution) spricht über weibliche Kunden, die eher einer Marke beitreten, als von Produktinformationen überzeugt werden zu können. Sehen Sie Parallelen zur Experience Economy?
Joe Pine: Nein.

Wirtschaftswetter: Wie kann die Mass Customization ihre Angebote optimieren? Kann Mass Customization etwas von der Experience Economy lernen?
Joe Pine: Wie ich sagte, Erlebnisse sollten personalisiert, d. h. individuellen Bedürfnissen angepasst werden, und personalisierte Services sollten zu Erlebnissen werden. Fakt ist, dass ich durch die Mass Customization, das Thema meines ersten Buches, erst entdeckte, dass Erlebnisse eingeständige Wirtschaftsgüter sind. Ich hatte oft gesagt, dass die Anpassung von Service an kundenindividuelle Bedürfnisse genau diesen Service in ein Erlebnis verwandelt! Mein Lieblingsbeispiele sind die, Ritz-Carlton Hotels, die sich an die Vorlieben ihrer Gäste erinnern, um ihnen ein einzigartiges Hotelerlebnis zu bieten. Als ein zweites Beispiel sei der Automobilversicherer, Progressive, genannt, der den Prozess der Schadensregulierung individualisiert, indem er jedem Versicherten einen Check anbietet, der das beschädigte Auto genau im Moment des Unfalls festhält. Sie verwandeln damit etwas, was man gewöhnlich als eine eher sehr unangenehme, horrorhafte Service-Begegnung kennt, in ein positives, einprägsames Erlebnis.

Wirtschaftswetter: Sie sind Autor der Erlebnis Ökonomie, Gastprofessor, ein bekannter Sprecher und Management-Berater. Worin bestehen die Schwierigkeiten der Erlebnis Ökonomie? Welches sind die größten Gefahren und Fehler? Wie können Unternehmen die Umsetzung des Erlebnis-Geschäfts meistern?
Joe Pine: Nun, Schönfärberei kann einen überall erwischen. Der größte Fehler, den Unternehmen machen, ist, nicht zu erkennen, dass isolierte Services nicht funktionieren. Sie designen einzelne Services und denken, dass dies das richtige Erlebnis sei, welches die Kunden erwarten. Sie müssen jedoch diese Erlebnisse genau testen, und zwar mit echten Kunden und dann erst arrangieren und anpassen, immer im Hinblick auf das Feedback, welches Sie erhalten und die Ergebnisse, die Sie beobachten.
Ferner ist es keine "Einmal-getan-für-immer-erledigt-Übung"; Erlebnisse müssen aktualisiert werden, um ihr mögliches Verkommen zur Massenware zu vermeiden. Einige Erlebnis-Anbieter bemerken, wie oft und wie viele Aktualisierungen sie vornehmen müssen. In der Tat müssen wir lernen, für Auffrischung zu sorgen und das erfordert die gleichen Module, welche die Mass Customization so erfolgreich macht. Und natürlich ist es auch einfacher, je mehr Erlebnismodule und Durchführungselemente Sie digitalisieren können, so dass Aktualisierung zu einer Sache von Software-Updates werden, welches eindeutig günstiger und einfacher zu bewerkstelligen ist, als Hardware ständig zu erneuern, wie etwa ganze Anlagen und deren Requisiten.

Wirtschaftswetter: Mr Pine, können Sie uns eine Vorschau auf Ihr nächstes Buch geben?
Joe Pine: Was James Gilmore (Co-Autor) und ich entdeckt haben - speziell durch meine vielen Reisen nach Europa - ist, dass Erlebnisse so vorherrschend sind, dass die Leute sich langsam fragen, was ist real und was nicht? Es gibt bei den Kunden ein großes Verlangen nach Authentizität, aber die Unternehmen wissen nicht, wie sie darauf antworten sollen. Sie müssen lernen, ihre Angebote und Geschäfte so zu leisten, dass sie glaubwürdig sind. Knapp formuliert, sie müssen echt werden.

2003-07-06 by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz und Gesprächspartner Joe Pine

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Bücher von Joe Pine, u.a.:
The Experience Economy: Work Is Theatre & Every Business a Stage

Mass Customization: The New Frontier in Business Competition

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