von Moon McNeill
“Nee, so eine totale Katastrophe!! Nie wieder Ibiza, sage ich Dir!”, stöhnt Henrieke ins Telefon und erwartet mein tief empfundenes Beileid zu ihrem offensichtlich nicht ganz so gelungenem Jahres-Dritturlaub. „Nicht? Wieso denn das?!“ frage ich scheinheilig. Zu gut die Erinnerung an ohrenfüllende Elegien über diesen spätsommerlichen Pseudo-Schickeria-Trip. Henrieke ist meine Schwester. Na, sagen wir: Rein genetisch betrachtet verbindet uns etwas. Das war es dann aber auch.
Wenn sie anruft, dann mit der therapeutischen Indikation, meine Gefühle von Selbstwert auf Teppichniveau zu halten. Sie fühlt sich einfach besser, wenn sie von oben auf jemanden herab sehen kann; ihre eigene Größe steigt reziprok zum Gefälle des gehässigen Wortschwalles. Im Glücksfall kann sie diesen gar mit dem verbalen Punktgewinn multiplizieren. Insofern ist es auch kein Punktabzug, weil der Urlaub nun misslungen war. Nein - im Gegenteil! Denn so kann man sich ja erst beneiden, und dann bedauern lassen. Psychologie, verstehen Sie?
„Ja Vera, Du Kannst Dir einfach nicht vorstellen, was für ein schrecklicher Flug das war. Obwohl ich es achtzehntausend Mal gesagt hatte, hatten die Chaoten von Lufthansa Gerfrieds Diabetiker-Essen vergessen. Einfach so! Und wie unfreundlich die Kellner im „Playa del Betoni“ waren. Und dann erst das Hotel, Neiiiiiiin!!! Unfassbar! Degoutant! Die Dusche ging nicht und die….und der… und dann auch noch das….“
Liebe Güte, scheinbar hatten sie eine komplette Baustelle gemietet, mit Aussicht auf den schwankenden Baukran, der noch vier Geschosse oben drauf setzen sollte. Wegen der besseren Sicht auf die Hochhausburgen vielleicht? Der von Möchtegern-Schicki-Mickis reich bevölkerte Strand so heiß, dass meine werte Schwester Brandblasen an den Füßen bekam. Täglich Kakerlaken in der Dusche, der schmuddelige Poolrand voll Moos, und eine Gruppe grinsender Japaner, die Hawaii zu langweilig fanden, hatten das Mach-mich-fertig-Programm komplettiert. Zu allem Überfluss hatte Henrieke auch noch höchstselbst diese Pleitebude gebucht.
Und was noch viel schlimmer war: Man fand wegen Überbuchung weit und breit kein neues Domizil! Na, die Laune ihres Göttergatten Gerfried konnte ich mir lebhaft vorstellen! Der bekam ja schon geschwollene Halsschlagadern und Koliken, wenn eine Fliege im Tiefflug versehentlich seinen Porsche befleckte. Was nützte da noch die sorgsam vorgezüchtete Kunstbräune auf der krokodil-ledrigen Gesichtshaut? Blass und kleinlaut wird meine Henrieke gewesen sein bis unter ihre massiven Gold-Fußkettchen - aber davon natürlich kein Wort.
Gerfried hatte vermutlich, um seinen phänomenalen Ärger zu verdauen und dem verpatzten Urlaub wenigstens noch irgend etwas abzugewinnen, erstens sämtliche anwesenden Strandbikinis angebalzt, zweitens ausgiebig und akribisch die angebotenen Cocktail-Sortimente getestet und sich danach zur Sportschau im Sateliten-TV zurückgezogen. Den Rest der Geschichte kann sich jeder denken. Das ahnte Henrieke aber wohl nicht, denn sie fuhr fort, ihren Teppich von Klagen und Beschwerden auszulegen, während ich geduldig lächelnd auf meinen kleinen Einsatz wartete. Es war immer wieder ein Genuss, wenn schließlich ihr Text versiegte, dann nur, um anschließend zum letzten Schlag auszuholen. Und dies war der Moment, wo der eigentliche Kampf begann: Geist gegen Gewohnheit.
Gewohnheitsmäßig: “Du hörst mir ja schon längst nicht mehr zu, Vera!“
Ihr Ton wurde nun deutlich schnepfiger, ein bisschen kühler. Dann, mit einer wohldosierten Prise geheucheltem Mitgefühl verwoben: “Na ja, wahrscheinlich ist es auch taktlos, über unseren Ibizaurlaub zu sprechen, wo Du doch arbeitslos bist und dir keinen leisten kannst. Tut mir WIRKLICH leid.“ Ich lächelte.
„Ach nein, ich bin sowas von dauererholt, ich brauche überhaupt keinen Urlaub. Wir sind jeden Tag zum Strand gefahren, an dem oft kein einziger Mensch außer uns gewesen ist. Oder wir haben eine Wanderung auf den verwilderten Pfaden entlang des Canale du Nord gemacht, wenn ganze Scharen von Kanadagänsen oder Schwänen mit pfeifenden Flügelschlägen flach über das Wasser glitten. Oder als wir im Tretboot durch die herrliche Bucht gefahren sind, haben wir uns täglich angesehen und gesagt: Das hier ist das Paradies! Und dann dieses grandiose Strandlokal. Dort hatten sie in diesem Jahr eine kleine Cocktailbar direkt am Strand aufgebaut. Da gab es abends Sekt mit Zitronensorbet. Die Hunde und Kinder tobten seelig im Sand und wir genossen unsere Hummerplatte. Mensch, wie waren wir immer glücklich und müde, wenn wir auf der Fähre saßen und durch den Sonnenuntergang nach Hause schipperten. Nein, Hennilein, mach Dir doch bitte keine Sorgen um mich. Ich komme sehr gut zurecht!“
„Ja. Klingt ganz so!“ stichelte sie, nicht ohne vorher ein misstrauisches Schweigen einzuschieben und nachzudenken, ob sie auch wirklich nichts Relevantes verpasst hatte. Hatte ich vielleicht DOCH etwas von einem Urlaub erzählt und ihre ganze verbale Inszenierung war ins Leere gelaufen? Das wäre taktisch einem Null-Punkte-Stand beim Grand Prix de la Chanson gleichgekommen: Ein doppelter Ralph Siegel.
„Na, das muss ja ein WIRKLICH exklusiver Urlaubsort sein, in dem man noch wilde Schwäne fliegen sieht. Ich hatte ganz vergessen, dass die auch noch zu etwas anderem taugen, als dekorativ auf der Alster zu liegen. Aber Canale Du Nord? Ist das etwa der in Venedig? Hätte ich Dir wirklich nicht zugetraut, meine Liebe. Und wovon hast Du das bezahlt?“
„Hennilein, "Canale du Nord" - so nennen wir liebevoll den Nord-Ostsee-Kanal. Du weißt doch, dass ich mir keinen Urlaub im Ausland leisten kann. Wir sind hier in Kiel geblieben. Mit der Frühfähre hinüber nach Möltenort oder Laboe, oder den Kanal entlang im Morgennebel: einfach herrlich! Vor allem, wenn alle anderen auf Ibiza sind“!
Bingo. Tausend Punkte. Jetzt würde sie erst wieder in einem Jahr anrufen. Holidays? On Ice!
2004-02-23 Moon McNeill, Wirtschaftswetter
Text: ©Moon McNeill
Foto: ©Ines Kistenbrügger
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