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Sicherheit

Aus dem Leben einer Polizistenfrau

von Anne Mann*

Als ich meinen Mann vor über zehn Jahren kennenlernte, war sein Beruf und der Ablauf seines Dienstes zweitrangig. Es gab für uns Wichtigeres.
Der Schichtdienst als solcher war nur insofern von Bedeutung, dass wir uns an einigen Wochenenden nicht sehen konnten, weil er eben Dienst hatte und wir einige Kilometer weit auseinander wohnten. Was seinen Dienstalltag anging, das war eigentlich am Anfang nie ein große Thema, weil wir unsere gemeinsame Zeit einfach nur genossen hatten. Irgendwann kam die Gewissheit, dass wir zusammenbleiben wollten, und wir bezogen unsere erste gemeinsame Wohnung. Wie auf dem Land üblich, wurde natürlich ordnungsgemäß geheiratet und unsere Flitterwochen in unserem ersten gemeinsamen Zuhause waren wunderschön.

Aber irgendwann holte uns der Arbeitsalltag wieder ein, und ab diesem Zeitpunkt fiel es mir wie Schuppen von den Augen, in welchen Alltag und an welchen Arbeitsplatz ich meinen Mann jeden Tag gehen lasse.
Als er zum ersten Mal eine blutverschmierte Hose mit nach Hause brachte, weil sich irgend jemand gegen eine Alkoholkontrolle massiv gewehrt hatte, kam mir zum ersten Mal der Gedanke: “Was passiert eigentlich, wenn irgendwann ein Anruf kommt, dass dein Mann....“ Nein, den Gedanken wollte ich nicht zu Ende denken.
Doch ab jetzt tauchten solche Gedanken öfter auf, besonders in der Zeit meiner Schwangerschaft und nach der Geburt unseres Kindes. Zeitgleich trafen die ersten Meldungen ein, dass ein Polizist während des Dienstes umgekommen war.

Ich rief mich zur Räson, denn ich durfte mir einfach nicht zu viele Gedanken machen, weil ich mich damit selbst kaputt gemacht hätte. Nach einer gewissen Zeit schlich sich dann doch endlich so etwas wie alltägliche Routine ein, wie die Ruhe vor dem Sturm ... Denn dann kam die Zeit, in der gleich mehrere Beamte während des Dienstes ihr Leben ließen. Das drastischste Beispiel war wohl die Sache mit einem Beamten, der einfach überfahren wurde, obwohl es sich eigentlich nur um eine „einfache Verkehrskontrolle“ handelte!
Da habe ich meinen Mann gefragt, warum er sich keine schusssichere Weste kauft. Die einfache Antwort lautete:“ Die Dinger kann man überhaupt nicht tragen und sich nicht drin bewegen.. Die sind viel zu schwer und passen unter kein Diensthemd. Und außerdem sind die viel zu teuer.“

Nach der Häufung dieser Vorfälle wurde langsam der Staat aktiv und versprach, dass jeder Beamte solch eine Weste gestellt bekäme. Bis zur Durchführung dieser Aktion verging einige Zeit, doch das Versprechen wurde gehalten. Mein Mann hatte seine Weste. Zwischendurch stand dann eine Begleitung eines Castor-Transportes an, die mehrere Tage dauerte. Nicht nur, dass mein Mann 12 Stunden am Stück einfach weg war, sondern hinzu kam ärgerlicherweise, dass er sich um seine Verpflegung selbst kümmern musste. Erst zwei Tage vor Beendigung dieser Aktion standen auf einmal Verpflegungspakete bereit. Irgendjemand hatte „vergessen“, die Anweisung zur Verpflegung an die entsprechenden Dienststellen weiterzugeben.
Dies sind nur ein paar Beispiele, bei denen der Gedanke nicht fern ist, was ist es überhaupt wert, ein Polizeibeamter zu sein, oder besser gesagt, wieviel ist er den anderen wert?

Angesichts der aktuellen Streichungen, keimt in mir langsam doch die Wut. Für die Öffentlichkeit ist es dassselbe, doch in Wahrheit gibt es große Unterschiede, zwischen „Beamten“ und „Beamten“. Mein Mann geht jeden Tag zum Dienst. Er hält jeden Tag seinen Kopf für andere Leute hin. Er kommt fast täglich unpünktlich nach dem Dienst nach Hause, weil sich einige Zeitgenossen dazu entschlossen haben, sich kurz vor Dienstschluss mindestens noch eine Prügelei zu liefern.
Gut, die Stunden können später als Freizeit genommen werden, in der freien Wirtschaft ist das nicht immer der Fall, aber hier wie dort: vielleicht war mein Mann gerade an dem Tag in seiner Funktion als Vater gefragt? Wer kann da noch ein halbwegs geregeltes Familienleben planen, wenn Betrunkene, Drogensüchtige, Demonstranten verschiedenster Ansichten, verrückte Autofahrer und prügelnde Hausgenossen meinen, sie müssten sich ausgerechnet dann daneben benehmen, wenn es mehr als unpassend ist, und das immer massiver?
Ausflippen scheint ein Virus zu werden, der sich unaufhörlich fortpflanzt. Gehen die grundsätzlich und immer vor? Bisher gab es zwei trifftige Gründe ihnen gegenüber allen und jedem den Vortritt zu lassen: Der Schutz der Öffentlichkeit und der Stress wurde vergütet, d. h. es gab einen finanziellen Anreiz seinen Kopf hinzuhalten, wie in jedem anderem Job auch, nur dass dieser weitaus gefährlicher ist als andere. .

Im Jahr 2003 war es finanziell deutlich zu merken, dass das Weihnachtsgeld nur zur Hälfte ausgezahlt wurde, ganz einfach, weil nichts ist billiger geworden. Alles andere kostet ja nicht plötzlich die Hälfte. Gut, werden jetzt so manche Leser sagen, dass merken wir auch. Aber gibt es keinen Unterschied zwischen Schreibtisch und was Polizei, Ärzte, Pfleger und Feuerwehr teilweise unter Einsatz ihres eigenen Lebens vor Ort leisten und von diesen Schreibtischen fernhalten?

Was mir nur wichtig ist, dass dieser Bericht nicht als Neiddiskussion betrachtet wird, sondern dass man sich einmal ernsthaft und aufrichtig überlegen sollte, was es einem wert ist, dass die Polizei nach einem Unfall kommt und alles Wesentliche in die Wege leitet. Oder dass Verkehrsrowdies aus dem Verkehr gezogen werden, die durch ihr Verhalten auch unsere Kinder bzw. uns selbst gefährden. Ich könnte noch etliche Beispiele anführen, aber ich denke, dass jeder selbst genug Gründe kennt, warum es gut ist, dass es noch junge Menschen gibt, die sich für den Beruf des Polizisten entscheiden. Schwarze Schafe gibt es dabei natürlich auch in diesem Beruf, wie in jedem anderen auch.

Aber in welchem Beruf arbeitet man ständig in Gefahr und so häufig unter Lebensgefahr? Und wann bekommt ein Polizist einmal ein Lob zu hören, dass er seinen Job gut gemacht hat? Ich kann mich erinnern, dass sich vor einigen Jahren einmal eine ältere Dame auf der Wache bedanken wollte, weil die Beamten irgendeine Sache für sie geregelt hatten. Dieser Dank in Form einer einzigen Schachtel Pralinen durfte nicht angenommen werden, weil es unter Bestechung fällt. So gesehen, müsste es auch unter Bestechung fallen, wenn eine Lehrerin zu ihrem Geburtstag ein Geschenk bekommt, nicht wahr?

Ich merke, dass die Motivation, mit der mein Mann zum Dienst fährt, nicht mehr dieselbe ist, wie noch vor ein paar Jahren. Das einzige „Lob“, welches er und seine Kollegen bekommen, ist schließlich das monatliche Gehalt sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld, und das wird immer weniger. Überall wo auch gearbeitet wird, wird Personal eingespart. In einigen Bereichen kassiert man dafür muffelige Kunden. Aber was kassiert eine Gesellschaft, in der Sicherheit und Ordnung nicht mehr finanziert werden? Das Thema ist nicht nur Finanzierbarkeit, das Thema ist auch: Welchen Stellenwert hat die Sicherheit für die Öffentlichkeit in unserer Gesellschaft? Was finanzieren wir und was nicht? Sollen sich, wie bereits in vielen anderen Bereichen üblich, Sicherheit nur noch die leisten können, die sie privat bezahlen können? Darüber sollte man nachdenken, bevor man streicht und gleichzeitig woanders zum Fenster herauswirft.


2004-01-02 von Anne Mann*, Wirtschaftswetter
Text: ©Anne Mann*
* Anonymisiert, Name der Redaktion bekannt
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