von Cornelia Schaible
Wer ein bisschen in die Jahre kommt, merkt das nicht zuletzt daran, dass sich die Moden wiederholen. Und die Diäten. Was noch viel schlimmer ist.
Schließlich kann es ganz amüsant sein, wieder mal, sagen wir, Schlaghosen zu tragen. Zumal die heute meistens vernünftiger geschnitten sind als in den wilden Siebzigern. Aber dass nun passend zum Minirock, der mindestens seine dritte Renaissance erlebt, auch alte Diät-Torheiten wieder aufleben – das hätte es nun wirklich nicht gebraucht.
Aber genau das ist derzeit in den USA der Fall. Und nicht nur dort. Längst haben auch deutsche Frauenzeitschriften ein liebes altes Feindbild wieder entdeckt, gerade noch rechtzeitig zu Beginn der Frühjahrs-Diätsaison. Was im Klartext nichts anderes bedeutet, als dass den Kohlenhydraten der Kampf angesagt wird.
Zur Erinnerung: Anfang der Siebziger wollten plötzlich alle so spindeldürr sein, wie es Twiggy schon zehn Jahre vorher war. Kartoffeln machen dick, hieß es nun, Brot sowieso. Auch Pasta, die man damals noch Nudeln nannte, waren als Dickmacher verschrien. Figurbewusste hielten sich daher an Fleisch und Salat, und wer besonders schlank werden wollte, löffelte zum Nachtisch noch einen Joghurt.
Als Erfinder dieser einseitigen Ernährungsweise gilt ein gewisser Dr. Robert Atkins aus Amerika, der das Ganze als „Diät-Revolution“ pries. Plötzlich waren alle Mehlspeisen irgendwie suspekt. Als schick galt hingegen eine Überdosis Proteine auf dem Teller. Selbst einem so bodenständigen Schriftsteller wie Martin Walser entging der Trend nicht: „Klaus Buch und seine Frau aßen nur Steak und Salat“, heißt es in der Novelle „Ein fliehendes Pferd“ von 1978, „und den Salat aßen sie vor dem Steak.“
Kein Wunder, dass der Stuttgarter Oberstudienrat Helmut Halm, die Hauptfigur der Novelle, diese neumodischen Ess-Sitten bizarr findet. Denn schwäbische Küche und Atkins-Diät, das geht nun wahrhaftig nicht zusammen. Der Rostbraten ohne Spätzle und Soß – eine kulinarische Katastrophe. Und was wären Maultaschen ohne die dünne Hülle aus Nudelteig? Die Amerikaner sind da weniger zimperlich: Denen schmeckt zur Not die Wurst auch ohne Brot.
Nur sind die Kunden, die Eis oder „Kaum-zu-glauben-dass-es-nicht-Butter-ist“ in den Einkaufswagen packen, oft alles andere als schlank. Der Schein trügt nicht: Laut einer offiziellen Statistik sind 65 Prozent aller erwachsenen Amerikaner übergewichtig. Dabei hieß es bis vor kurzem noch: Nudeln machen glücklich. Und nur Fett macht fett. Dass daran etwas faul sein muss, zeigt sich in jedem durchschnittlichen US-Supermarkt: Regale mit Low-Fat-Produkten, so weit das Auge reicht. Und Diäten sind längst ein fester Bestandteil des „American way of live“.
Vor allem die Methode von Atkins, der 1992 eine „Neue Diät-Revolution“ ausrief, feierte in jüngster Zeit ein sensationelles Comeback – „low carb“, also kohlenhydratarme Kost, ist in aller Munde. Die Sandwich-Kette „Subway“ etwa, die mit dem Atkins-Logo wirbt, wickelt neuerdings den Brotbelag wahlweise auch in einen großen Tortilla. So ein „Wrap“ schmeckt zwar wie Pappe, ist aber Diät-kompatibel. Und Burger King erfand zu diesem Zweck gar den brotlosen „Whopper“ – die Bulette kommt dann ohne knatschiges Brötchen aus. Weil man einen nackten Burger aber schlecht mit den Händen essen kann, gibt’s dazu ausnahmsweise Besteck.
Spätestens hier stellt sich die Frage, ob die Amerikaner dem Diätwahn verfallen, weil sie zu dick sind, oder ob sie gerade deswegen immer mehr zunehmen, weil sie ständig Diät machen. Und glauben, sie könnten ohne Sport abnehmen und dabei auch noch große Portionen futtern, wenn sie sich nur auf bestimmte Nahrungsmittel beschränken. Der Verdacht liegt nahe, dass Letzteres zutrifft.
Beispiel: Die Autostadt Detroit im Bundesstaat Michigan, erst kürzlich von der Zeitschrift „Men’s Fitness“ zur „fettesten Stadt“ Amerikas gewählt. Es scheint insofern nur logisch, dass es in Detroit besonders viele Lokale gibt, die der „Low-Carb“-Philosophie huldigen – in dieser Stadt wollen viele abnehmen. Und darauf hat sich nicht nur der Fastfood-Sektor eingestellt.
Der „Rattlesnake Club“ am Detroit River, Gourmetkritikern zufolge eines der besten Restaurants im mittleren Westen der USA , bietet gleich drei verschiedene Menüs für Kohlenhydrat-Verächter an. Für 69 Dollar speist man etwa Austern in Champagner, als Hauptgang Rinderlende und Käsekuchen zum Dessert. „Die Nachfrage nimmt jeden Tag zu“, versichert Damon vom Service des Restaurants.
Obwohl viele Ernährungsfachleute vor der einseitigen Diät warnen, die Fleisch und Fett favorisiert, dafür aber Kartoffeln, Reis und Früchte vom Speisezettel streicht, wächst die Atkins-Gemeinde stetig. Heftiger wurde die Debatte in jüngster Zeit, als es hieß, der Diätpapst sei zum Zeitpunkt seines Todes übergewichtig gewesen. Atkins, der im vergangenen Jahr an den Folgen eines Sturzes starb, war herzkrank, beteuert seine Witwe, und sein körperlicher Zustand hatte nichts mit seiner Diät zu tun: „Lasst Dr. Atkins in Frieden ruhen“, bat sie auf der Web-Site des Diät-Konzerns.
Manche tun das, indem sie zu einer ausgewogeneren Diät wechseln – wie der neuerdings hippen Florida-Diät, die auch Vollkornprodukte und Obst im Programm hat. Oder zur einzigen Methode, die auf längere Sicht immer funktioniert: FdH. Aber einfach weniger essen, das war in Amerika noch nie sonderlich populär. Man darf deshalb gespannt sein aufs nächste Diäten-Hoch. Das Comeback der Kohlenhydrate ist vorprogrammiert.
2004-03-08 by Cornelia Schaible, Wirtschaftswetter
Text + Foto ©Cornelia Schaible
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