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Berichte aus China 4. Folge

Shanghai – Wohnen in der Stadt der Superlative

von S. Stern

Pudong
Vor meinem Auge erhebt sich ein Stahlkoloss gigantische 420 Meter in die Lüfte. Ich stehe in Pudong, dem östlichen Stadtteil von Shanghai. Glas, Beton und Marmor dominieren hier das Bild, und die futuristische Skyline dieses modernen Stadtteils versetzt mich immer wieder aufs Neue in Begeisterung. Hier, wo heute das Finanzzentrum Shanghais angesiedelt ist, war vor kaum mehr als zehn Jahren nichts als sumpfiges Ackerland. Noch Anfang der neunziger Jahre gab es gerade einmal zwanzig Hochhäuser in Shanghai, heute sind es bereits zweitausend Wolkenkratzer, Tendenz steigend!

Shanghai - wörtlich übersetzt „die Stadt über dem Meer“ ist eine Stadt der Superlative. Vom ersten Moment an wähnte ich mich nicht in China, sondern hatte vielmehr den Eindruck, doch eher in einer westlichen Metropole gelandet zu sein. Alles ist hier am größten, am schönsten, am buntesten und vor allem am lautesten und die Stadt wetteifert ständig mit anderen Metropolen um den universellen ersten Rang.
Shanghai, so sagen zumindest voller Stolz seine Stadtväter, sei die Stadt des 21. Jahrhunderts. Wundern würde es mich nicht, denn Shanghai ist wandlungsfähig wie kaum eine andere Stadt. Nach dem dekanten Imperialismus der 30er Jahre, in der die Stadt als „Sodom und Gomorra“ gut von Opiumhandel, Prostitution und Korruption lebte und nach dem Abfluss von Kapital und Macht nach Hongkong sowie der düsteren Zeit der Kulturrevolution, ist Shanghai heute zweifellos das Symbol eines neuen, modernen Chinas.
Shanghai ist die größte Stadt Chinas, zwar nicht was die Fläche betrifft, sondern aufgrund der gigantischen Zahl von offiziell sechzehn Millionen. Einwohnern. Zählt man die nicht registrierten Wanderarbeiter dazu, sind es sogar 20 Millionen. Die Wohnbedingungen für die Shanghaier Bevölkerung sind demnach recht beengt und nicht selten wohnen mehrere Generationen unter einem Dach.

Unsere Wohnung liegt unmittelbar an einer der ganz großen Kreuzungen im Bezirk Xujiahui, einem aufstrebenden Viertel, das noch vor wenigen Jahren wenig zu bieten hatte. Heute erhebt sich an jedem Eck der Kreuzung ein großes Shopping Center, unzählige Restaurants und selbst unter der Erde existiert ein eigener Mikrokosmos mit U-Bahnstation und dazugehöriger, weit verzweigter Shopping-Unterwelt.

Die Entscheidung, in diesen Bezirk zu ziehen, war schnell getroffen. Wir wollten die Stadt spüren, chinesische Lebensweise inhalieren und vor allem zentral und mit guter Infrastruktur ausgestattet leben. Westlicher Standard, und ich spreche jetzt nicht von Luxus, kostet hier eine Stange Geld. 2000 Dollar Miete im Monat sind dabei noch die untere Grenze. Auch die anfänglich große Sprachbarriere zwingt einen geradezu in eines der „Service Apartments“, denn hier ist ein Handwerker vor Ort und an der hotelähnlichen Rezeption, die Tag und Nacht besetzt ist, wird, wenn auch nur leidlich, Englisch gesprochen.
Heute, mit einem soliden Grundgerüst an Chinesisch, würde ich mich auch in eine chinesische Wohnung trauen. Dennoch, auch hier muss man für eine zentrale Lage und gute Ausstattung ordentlich bezahlen umso mehr, wenn einem der Laowai (Ausländer) so deutlich ins Gesicht geschrieben ist wie mir. Zudem wird man mit der Zeit faul, gewöhnt sich an diverse Vorzüge und der Gedanke an einen neuen Umzug ist einer meiner Alpträume. So haben wir uns für ein Leben im brodelnden Herzen der Stadt mit gewissen Annehmlichkeiten entschieden.

Ein sauberes Badezimmer oder eine anständige Küche machen eine Wohnung dann doch zu einem Heim, auch fern der Heimat. Dass ich dennoch gewisse Abstriche machen muss, habe ich bald gelernt. Meine Küche ist recht hübsch, aber winzig klein und die Beleuchtung erinnert an eine schummrige Kneipe. Da die Küche noch dazu über kein Tageslicht verfügt hat das Arbeiten darin seinen eigenen Reiz. Bei genauerem Hinschauen erkennt man zudem, dass vieles, wie sooft in China, nur aus Liebe zur Optik gemacht wurde. Die Küchenkästen wirken geräumig, haben aber kaum Stauraum, da sie einen Wust an Elektroinstallationen verbergen. Der Backofen fiel mir beim Öffnen der Tür gleich entgegen, er war nicht montiert. Arbeitsfläche gibt es im Ausmaß von gigantischen, völlig unbeleuchteten 30 x 30 cm. Das Thema Kochen reduziert sich daher auf das Notwendigste, was angesichts der vielen guten Restaurants in unserer unmittelbaren Umgebung leicht fällt.

Der Lärmpegel in unserer Wohngegend ist natürlich nicht zu unterschätzen. Unter uns zieht der stetig zunehmende, chaotische Verkehrfluss Tag wie Nacht unablässig vorbei und in Shanghai wird noch dazu leidenschaftlich gerne und vor allem viel gehupt. Unsere Fenster sind nur einfach verglast und damit weder Wärme dämmend noch Schall schluckend.
Als Österreicherin, die zuvor in einem Randbezirk einer beschaulichen Kleinstadt wohnte und maximal die Vöglein im Garten zwitschern hörte, waren die ersten Wochen schon allein aus diesem Grund eine gewaltige Umstellung. Heute fällt mir der Lärm gar nicht mehr auf, vielmehr hatte ich während meiner letzten Österreichaufenthalte echte Einschlafprobleme aufgrund der unheimlichen Ruhe.

Was ich wirklich jeden Tag aufs Neue liebe, ist der Ausblick aus unserem 25. Stockwerk. Ein Häusermeer so weit das Auge reicht. Bürotürme wechseln sich mit Wohnungen ab, und Kräne an allen Ecken sind Zeugen der ungebremsten Bauwut in Shanghai. Ob das schön ist, darüber lässt sich streiten, denn dem Fortschritt wird hier kompromisslos so manches alte Viertel geopfert. Spannend ist es auf jeden Fall, denn ich kann, wenn ich aus meinem Fenster blicke, Häuser förmlich wachsen sehen. In nur wenigen Monaten entstehen gigantische Bauten. Natürlich wird hier oft rund um die Uhr und nicht zuletzt billiger und kurzlebiger gebaut. Nicht nur meine Küche ist Beweis dafür. Aber, wenn ich aus einem unserer vielen Fenster blicke, gibt es nicht nur eine Betonwüste.

Als naturliebende Person sehe ich mit Freuden auf das parkähnliche Gelände der benachbarte Jiao Tong Universität. In Mitten der modernen Stadt existiert hier ein verkehrsberuhigter Campus mit alten Gebäuden, die nicht der allgemeinen Bauwut zum Opfer gefallen sind. Im Frühling und Herbst sitzen die Studenten auf der Wiese, plaudern und veranstalten Picknicks. Auf dem benachbarten Uni-Sportplatz wird geturnt, während eine andere Gruppe Fußball spielt. Pensionisten mischen sich unter die Jungen und praktizieren Tai Chi und an den wenigen Tagen im Jahr, die es klimatisch erlauben, gönne ich mir den Luxus und drehe – unter den neugierigen Blicken aller - meine Runden auf der Laufbahn.

Viele andere Ausländer wiederum bevorzugen das Wohnen in riesige Wohnanlagen - den sogenannten Compounds meist am Stadtrand gelegen, die stark an Feriensiedlungen irgendwo auf dieser Welt erinnern. In diesen Siedlungen ist alles vorhanden und nach westlicher Machart, vom Supermarkt bis hin zum Fitness Center und Swimming Pool. Wer nicht will, muss nicht nach draußen und ich habe einige Frauen kennen gelernt deren Chinaaufenthalt sich im wesentlichen auf diese Umgebung beschränkt. Wer es dennoch wagt, und zu denen gehöre ich definitiv, der wird mit einer nicht enden wollenden Fülle von Eindrücken belohnt.


2004-02-27 by S. Stern, Wirtschaftswetter
Text + Fotos: ©S. Stern
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