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Krankenkassen sparen, Mütter und Kinder leiden

Wirtschaftswetter im Gespräch mit Anne Schilling, Geschäftsführerin des Deutschen Müttergenesungswerk der Elly-Heuss-Knapp Stiftung

Die Fragen stellte Angelika Petrich-Hornetz

Wirtschaftswetter: Frau Schilling, wie geht es den Müttern in Deutschland gegenwärtig?
Anne Schilling: Viele Mütter sind sehr krank.

Wirtschaftswetter: Mit welchen Problemen haben Mütter zu kämpfen, wo sehen Sie Verschlechterungen und wo Verbesserungen in der Situation und der Verfassung der Mütter in Deutschland?
Anne Schilling: Die Anforderungen an Mütter steigen ständig, die Belastungen ebenfalls. Mütter kommen immer kränker in unsere Kureinrichtungen. 58 Prozent bezeichnen den ständigen Familieneinsatz und 35 Prozent die Verantwortung für die Kinder als sehr belastend. Sparmaßnahmen im sozialen und gesundheitlichen Bereich gehen vielfach auch zu Lasten von Müttern. Wenigstens steht das Thema der Unterstützung nun auf der politischen Tagesordnung, z. B. in Bezug auf Kinderbetreuung. Auch wir finden mit unserem Thema "Gesundheit von Müttern" bei der Politik ein offenes Ohr - hier besteht auch dringender Handlungsbedarf.

Wirtschaftswetter: Mit welchen konkreten Erkrankungen und Belastungen bei Müttern und Kindern haben Sie besonders zu tun?
Anne Schilling: 2003 waren 47.000 Mütter mit 64.000 Kindern in unseren Kureinrichtungen, um gesund zu werden. 90 Prozent der Mütter kommen mit Mehrfacherkrankungen wie z.B. Erkrankungen des Bewegungsapparates, Atemwegs- und Hauterkrankungen, aber auch Herz-Kreislauferkrankungen sowie einem hohen Anteil psychosomatischer Erkrankungen.
Darüber hinaus sind zwei Drittel der Kinder ebenfalls therapiebedürftig, z.B. mit Atemwegs- und Hauterkrankungen sowie zunehmend psychischen Auffälligkeiten und Verhaltensstörungen

Wirtschaftswetter: Die Verbraucherverbände beklagen die steigende Überschuldung von Familien, auch denen mit einem eigentlich normalen Einkommen. Wie wirkt sich diese Belastung für die betroffenen Mütter und ihre Kinder aus?
Anne Schilling: Steigende Belastungen hier, sind zusätzliche Risikofaktoren, die zu somatischen und psychischen Beschwerden und leider oft auch zu Erkrankungen führen. 32 Prozent der Mütter in den Kureinrichtungen bezeichnen ihre finanzielle Situation als "stark" bzw. "sehr stark" belastend. 28 Prozent sind alleinerziehend und 10 Prozent Sozialhilfebezieherinnen. Diese Zahlen liegen weit über dem Bundesdurchschnitt.

Wirtschaftswetter: Kommen die Mütter rechtzeitig oder erst dann zu Ihnen, wenn sie den berühmten Kopf unter dem Arm tragen?
Anne Schilling: Wenn Mütter eine Kurmaßnahme beantragen, fühlen sie sich schon sehr krank. Unsere Beraterinnen und Einrichtungen beobachten allerdings, dass die Mütter immer kränker sind, wenn sie in die Einrichtungen kommen.
Dies hängt allerdings auch mit dem Antrags- und Bewilligungsverfahren der Krankenkassen zusammen. Wir haben tatsächlich ansteigende Ablehnungen. Mütter müssen oft regelrecht um eine Kurmaßnahme "kämpfen".

Wirtschaftswetter: Was kann das Müttergenesungswerk tun, wo setzen Sie an?
Anne Schilling: Das Müttergenesungswerk ist lt. Fauengesundheitsbericht (2001) das einzige Angebot in der Regelversorgung, das konzeptionell die mütterspezifische Lebens- und Arbeitssituation im Programm vertritt.
Wir bieten ganzheitliche und frauenspezifische Kurmaßnahmen, die interdisziplinär ansetzen: medizinisch, physiotherapeutisch und sozialpsychologisch - und dabei immer die spezifische Situation als Mutter einbeziehen.
Darüber hinaus verfügen wir über unsere Trägerverbände über ein flächendeckendes Netz von ca. 1700 Kurberatungsstellen bei den Wohlfahrtsverbänden (Arbeiterwohlfahrt, Deutsches Rotes Kreuz, Caritasverband, Diakonie, Paritätischer Wohlfahrtsverband). Diese helfen bei der Beantragung, Auswahl und Vorbereitung einer Mütter- oder aber einer Mutter-Kind-Kurmaßnahme, bei der Finanzierung - ggf. durch Spendengelder des Müttergenesungswerks - und bieten nach der Kur weitere Nachkurangebote an.

Wirtschaftswetter: Wie ist die akutelle Situation bei Ihnen, werden ihre Angebote nach wie vor genutzt ?
Anne Schilling : Wir haben seit Jahren gleichbleibend hohe Antragszahlen von Müttern. Dennoch steigen die Ablehnungsquoten der Krankenkassen und die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sinken seit 1999 kontinuierlich. Diese Ausgaben betragen mittlerweile 0,25% der Gesamtausgaben der GKV. Diesen Trend hat leider auch nicht die Gesetzesänderung von 2002, die den Zugang für Mütter zu diesem Gesundheitsangebot sichern wollte, stoppen können. Dies ist nicht der Wille der Politik gewesen. Wir sind deswegen auch in politischen Gesprächen, denn mittlerweile ist dieses einzige Angebot für Mütter real gefährdet.

Wirtschaftswetter: Wer unterstützt Sie und was kann der einzelne für das Müttergenesungswerk tun?
Anne Schilling: Die meisten Menschen, die unsere Arbeit mit und für kranke Mütter und ihre Kinder und deren überzeugende Ergebnisse kennengelernt haben, unterstützen uns und wir brauchen diese dringend, um unsere Angebote für Mütter fortsetzen zu können. Viele helfen uns mit Spenden, die wir z.B. einsetzen für Mütter, die die gesetzlichen Zuzahlungen und die Kur"nebenkosten" nicht leisten können, für Beratungs- oder spezifische Kurangebote.
Wir haben außerdem Kooperationspartner/innen und Unterstützer/innen im familien- und gesundheitspolitischen Raum, bei anderen Verbänden und Organisationen sowie in der Politik.

Wirtschaftswetter: Was können Wirtschaft und Politik aber auch der Einzelne für die Verbesserung der Situation von Müttern tun, was brauchen diese ihrer Meinung nach am dringensten, was würde sowohl ihren Alltag als auch ihre Gesamtsituation erleichtern bzw. verbessern?
Anne Schilling: Mütter müssen mit ihrer Arbeit und ihren Mehrfachbelastungen noch viel mehr ernst genommen, respektiert und unterstützt werden. Sie brauchen Rahmenbedingungen und konkrete Unterstützung im Alltag. Z.B. bei der Kinderbetreuung, im Haushalt und bei ihren Arbeitgebern. Sie benötigen finanzielle Absicherung - auch im Alter und sie brauchen eine Gesellschaft, die sie in ihren Aufgaben als Mutter unterstützt und sich an Familien erfreut. Darüber hinaus brauchen sie sehr konkrete Hilfe, wenn ihre Kraft erschöpft ist und sie bspw. eine Kur brauchen. 34 Prozent Ablehnungen bei Kuranträgen sind skandalös.

Müttergenesungswerk


2004-05-04 Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text:Angelika Petrich-Hornetz und Gesprächspartnerin Anne Schilling
Banner: ©Angelika Petrich-Hornetz
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