von Michael Klemm
Ein paar Gedankenblitze unter der Dusche oder am Strand, eine Handvoll Headlines rausballern und schon streicht man fünfstellige Eurosummen im Monat ein. Reichtum allein mit "der Kraft der Idee" (so die Werbeagentur Jung von Matt). Und der Weg zum Erfolg erscheint einfach:
Regel Nummer 1: Sei ewig jung, sei hip, sei immer gut drauf, sei anders.
Regel Nummer 2: Spreche fließend Englisch. Zumindest das Kauderwelsch der Werbesprache.
Regel Nummer 3: Ziehe schleunigst nach Hamburg. Dort gibt es offenbar mehr Werbeagenturen als Plakatwände
Regel Nummer 4: Bastle Dir einen spannenden Lebenslauf. Tausend Praktika, viel im Ausland, vor allem: Brich Dein Studium ab. Das machen alle unabhängigen Geister.
Regel Nummer 5: Sei kreativ. Und originell. Und sei überhaupt.
Und hier beginnt die Krux: Wie wird man kreativ und originell? Und was ist eigentlich Kreativität, diese mysteriöse "schöpferische Kraft" (laut Duden)? Kreativität fängt da an, wo der Verstand aufhört das Denken zu behindern, lautet ein Versuch, dem Schöpfergeist auf die Spur zu kommen. Creare, lateinisch für das Neue erschaffen'. Das Ungedachte denken, das Unerwartete erwarten, der Inspiration folgen, das Abseitige ins Zentrum rücken, die Phantasie verwirklichen, dem Tradierten ein Schnippchen schlagen. Aber wie kann man Kreativität messen und testen?
186.000 Menschen arbeiten derzeit laut einer Statistik des Zentralverbands der deutschen Werbewirtschaft in Deutschlands Werbebranche. Alle jung, hip, zumindest gut drauf. Einen gesetzlich geregelten Zugang gibt es nicht, wie bei vielen freien Berufen. Ich denke, also bin ich - Werbetexter.
Ganz so einfach ist der Ein- und Aufstieg freilich nicht. Die Agenturen machen sich die ungebrochene Beliebtheit des Arbeitsplatzes zunutze, in Krisenzeiten mehr denn je. Die Ansprüche steigen stetig, nur die Besten der Besten will man haben, die kreativsten Köpfe Deutschlands, die Quer- und Neudenker. Die Ansprüche an die Bewerber sind - wie bei Deutschlands Werbeagentur Nummer eins, Jung von Matt - klar formuliert: "Eine gute Idee ist, wenn sie noch nie da war."
Fairerweise muss man zugestehen, dass die Werbeagenturen nichts unversucht lassen, den Job schwer und stressig zu reden. "Qualität komm von Qual" bringt es Jung von Matt auf den Punkt. Auch die Online-Ausbildungsstätte "Texterschule" stellt große Warnschilder auf: "Außerdem ist Werbetexten - besonders in den ersten Jahren - eine Arbeit für Masochisten: 10-12 Stundentag, auch am Wochenende. Grausame Meetings, in denen die Arbeit von vier Tagen in drei Minuten abgeschossen wird. Kunden, die den schönsten Text verschlimmbessern. Und immer mit einem Bein im Untergeschoss vom Bahnhof. Wer im Kopf leer ist und nichts mehr bringt, darf den Mohren spielen und gehen." Ab ins Nirwana der Kreativität.
Darin ist sich die Branche einig: Texten sei ein Handwerk, das schwere Geschäft mit den leichten Formulierungen werde von Novizen unterschätzt. Das Erfolgsgeheimnis bestehe aus 10 Prozent Inspiration und 90 Prozent Transpiration lautet eine gern zitierte Weisheit. Vielleicht stimmt sie sogar. Erst wird unter permanentem Zeit- und Erfolgsdruck der letzte Tropfen Kreativität aus den Gehirnwindungen gepresst - und dann landen 90 Prozent aller Entwürfe im Papierkorb. Geistige Lohnarbeit mit Frustgarantie. Und dennoch scheint die Sehnsucht nach der Qual ungebrochen, allem Krisengeschrei und dem auf die Hälfte geschrumpften Stellenmarkt zum Trotz. Ist doch immer noch besser als 30 Jahre "beim Daimler".
Kaum eine Werbeagentur, die nicht im Internet einen so genannten "Copy-Test", eine Art Aufnahmeprüfung für den Texternachwuchs, präsentiert. Kein Weg ins Werbeparadies führt daran vorbei. Sei kreativ oder sei still. "Spiel Klavier" empfiehlt Jung von Matt den Bewerbern: "Nutze die gesamte Klaviatur: der Sprache, der Form, der Tonalität, der Ideen. Sei ernst. Sei lustig. Sei laut. Sei leise. Sei tiefgründig. Sei einfach." So geht's also.
Springer & Jacoby vertraut beim Copy-Test auf die Kraft der alltagsnahen Argumentation: "Warum sollte jeder einmal fremdgehen?". Und zeigt sich niedlich wertkonservativ: "Finde einen Claim für Mutti." Einige Aufgaben sprechen vor allem den männlichen Texternachwuchs so richtig an: "Schreibe einen 30-sekündigen TV-Spot, der sich wohltuend vom Rest der Damenbinden-Werbung abhebt." S&J kann aber auch richtig provokativ sein: "Überlege Dir eine Promotion-Idee für einen Kampfhundeverein." Fehlt nur noch "Erfinde einen schönen Markennamen für eine Atombombe." Die Aufgabe gibt es noch nicht? Kommt vielleicht noch.
Scholz & Friends mag episodische Kreativitätshürden aus dem Leben: "Ein prominenter Politiker wird beim Schwarzfahren erwischt. Wie würde die BILD-Zeitung darüber berichten? Wie die Süddeutsche Zeitung? Was würde Harald Schmidt in seiner Show daraus machen?" Oder: "Ein Mann will auf eine Demo gegen rechte Gewalt gehen. Schreibe ihm einen Spruch auf das Transparent, der so gut ist, dass Neonazis zum Nachdenken angeregt werden." Und kitzelt das innovative Potenzial aus den Bewerbern heraus: "Erfinden Sie eine neue Trendsportart." Na, wenn's nicht mehr ist …
Auch Jung von Matt mag den "Alltagstest": "Du hast Mist gebaut. Gerade mal eine Woche bei uns, hast du am Wochenende unser Spaßmobil (BMW Z3 Cabrio) ausgeliehen und damit einen Unfall gebaut. Eigentlich hattest du Schuld. Überzeuge unsere Versicherung mit einem Brief vom Gegenteil. (Dafür reichen dir genau 8 Sätze.)". Andererseits gibt man sich aber auch seriös und edel in der Gesinnung: "Überlege Dir eine Promotion-Idee für die Deutsche Aidshilfe, die Geld in die leere Spendenkasse bringt." Man verlangt zudem Kreativität auf allen Kanälen: "Schreibe einen Funkspot für Afri-Cola. Der Slogan ist: 'Habt euch lieb und werdet durstig'. Der Spot darf nicht länger als 30 Sekunden sein." Und gelegentlich sucht man die Visionäre: "Tobe dich aus. Manchmal hat man ja plötzlich eine tolle Idee für eine Anzeige oder einen Film, aber keinen Kunden oder kein Produkt dazu. Wenn du so eine Idee hast, schreib sie auf." Wer bei Jung von Matt landen und texten will, der muss Werbung für Autos wie für Baby-Klappen machen können, für Print, Funk und Internet, ja sogar Comics betexten.
Manche Aufgaben sind so richtig alltagsnah, wie etwa bei der Hamburger Trend-Agentur Kolle Rebbe: "Du bist eine Türklinke in einer Bahnhofstoilette. Was sagst Du, damit die Leute Dich trotzdem gerne anfassen?" Ah ja. Aber eines ist klar: Wer werben will, muss zunächst einmal sich selbst verkaufen können: "Schreibe Dein eigenes Vorstellungsgespräch - und zwar in Form eines kurzen Dialogs zwischen Stefan Kolle und Dir!"
Auch die Agentur "Feuer auf St. Pauli" testet in ihrer "Feuerprobe" die Kunst der Selbstvermarktung: "Bitte präsentiere Dich von Deiner besten Seite in Form einer Kleinanzeige für den Bekanntschaftsmarkt einer Tageszeitung." Oder bietet gleich eine alternative Karriereplanung an, wenn es mit dem Traumjob doch nichts werden sollte: "Du bist Fleischfachverkäuferin und hast noch zwei total identische und gleich frische Blutwürste im Angebot. Verkaufe mir bitte die Wurst in Deiner Linken und begründe, warum gerade diese Wurst nun echt besser ist." So testet man Kreativität. Fleischfachverkäuferinnen bitte melden.
Selbst vor die Ausbildung hat der Gott der Kreativität den Aufnahmetest gesetzt. Die Hamburger "Texterschmiede", die "Eliteschule für den deutschen Werbernachwuchs" (SPIEGEL online), fordert ihre Eleven mit wahrlich harten Nüssen: "Denkt Euch einen TV-Spot zur Neueinführung des Trabbis aus." Und wer wirbt nicht gerne für die Pampa: "Hamburg ist das Tor zur Welt, München ist die Weltstadt mit Herz, Passau die Perle am Inn. Aber was zum Teufel ist mit Wittmund? Verfassen Sie für die Touristikzentrale von Wittmund einen begeisternden Text mit höchstens 400 Anschlägen, der jeden, aber wirklich jeden für einen Sommerurlaub nach Wittmund bringt."
200 ausgearbeitete Copy-Tests werden jedes Halbjahr eingeschickt, 30 Teilnehmer dürfen nach der zweiten Runde auf der Schulbank der Kreativität Platz nehmen. Sieben Monate dauert die Ausbildung zum kreativen Kopf, demnächst braucht man zwölf. Hat etwa der Pisa-Schock auch die bunte Welt der Reklame ereilt? Was die Nachwuchstexter vorher gemacht haben, ist der Texterschmiede egal. Kreativität kennt keine Eltern und keine Ausbildungswege. Und die Dozenten verlangen nicht einmal ein Honorar, so wichtig ist ihnen die professionelle Schulung in Sachen Kreativität. Am Ende kann man sich "ausgebildeter Texter" nennen, hilfreicher ist indes die Praxiserfahrung, die man tagsüber in renommierten Werbeagenturen gesammelt hat.
Nun wissen wir also, wie man Kreativität testet und fördert. Ein Rätsel gilt es indes noch zu lösen: Warum sind viele Werbespots nur so verschnarcht, wenn unsere Texter doch erwiesenermaßen so kreativ sind? It's time for a change. Also ran an den Slogan für Mutti.
2003-08-08 von Michael Klemm, Wirtschaftswetter
Text: ©Prof. Dr. Michael Klemm
Dr. Michael Klemm leitete einst die Redaktion der ehemaligen, wunderbaren studentischen Online-Zeitschrift LEO in Chemnitz
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