von Astrid Wehling
In meiner Kindheit gab es bei uns in der Straße einen Friseurladen, der uns Kinder magisch anzog – Auslöser war Coco, ein Kakadu, der, auf seiner Stange neben der Kasse sitzend, seine frechen Sprüche herausposaunte und die Kunden foppte. Was auch der Hauptgrund war, weswegen er letztendlich des Saales verwiesen wurde und seine Tage von da an im Garten verbringen musste.
Ich war fasziniert von Coco, denn er war schon etwas anderes als unsere Wellensittiche oder Zebrafinken zu Hause.
Hätte mir damals jemand gesagt, dass ich mir 30 Jahre später morgens um fünf fluchend die Bettdecke über die Ohren ziehen würde, weil mich eine Horde Kakadus aus dem Schlaf holt – ich hätte ihn wohl für verrückt erklärt.
Doch - things happen, wie man hier sagt.
Seit vier Jahren lebe ich nun in Sydney, Australien. Am Rande eines großen Nationalparks, oberhalb eines Flusses. Jeden Morgen, egal ob Sommer oder Winter, werden wir von den Vögeln geweckt, die sich in den Bäumen vor unserem Haus, in den Büschen oder auf dem Dach niederlassen und ihr Konzert beginnen.
Den Anfang bei Sonnenaufgang macht der Kookaburra, auch „Lachender Hans“ genannt. Er gehört zur Familie der Eisvögel und ist ein echtes australisches Icon. So beliebt, dass er als Maskottchen für die Olympischen Spiele 2000 in Sydney weltweit bekannt wurde.
Sein Revierschrei und Morgengruß beginnt in der Dämmerung mit einem blechernen Kollern, das bald in einem lauten, meckernden Lachen endet. Wer sich jemals auf einen Lachsack gesetzt hat, kann in etwa nachempfinden, was ich täglich höre. Ein einzelner Kookaburra beginnt mit seinem Ruf. Innerhalb weniger Minuten gackert dann die ganze Schar. Trotz der unsanften Weckart ist das Lachen so ansteckend, dass ich doch unter meiner Decke mitkichern muss.
Während die Kookaburras Fleischfresser sind und sich zum Beispiel von kleinen Echsen, Schlangen, Insekten oder den Fleischresten ernähren, die alte Damen hier gern auslegen, stürzen sich Sittiche und Papageien auf Knospen, Triebe und - zu meiner Freude - auf das Unkraut im Garten. Denn Klee und Löwenzahn widersetzen sich mit einer ausgesprochenen Hartnäckigkeit all meinen Vernichtungsversuchen.
Mir soll es recht sein - solange es den Sittichen schmeckt. Blau-rote Rosellas und grün-gelb-blau-rote Rainbow-Lorrikeets tummeln sich laut zwitschernd vom Herbst bis zum Frühjahr rund ums Haus. Ganz Vorwitzige kommen auch schon einmal auf den Balkon, um nachzusehen, ob es etwas abzustauben gibt.
Im Laufe des Tages kommen dann die Kakadus, in diesem Fall die Gelbhauben-Kakadus. Es gibt diverse Kakadu-Arten in Australien, von den rosa Galahs über die pechschwarzen Rabenkakadus bis zu den weib-gelben Clowns, die im Winter täglich bei uns einfallen.
Man hört sie, bevor man sie sieht. Lautes Gekreisch, denn Vogel unterhält sich während des Fluges. Ich bin der festen Überzeugung, Vogel streitet sich auch. Zuerst kommt die Vorhut, dann segelt der ganze Schwarm vorbei, es wird zwei-dreimal im Kreis geflogen, bis sich alle niederlassen. Auf Bäumen, Zäunen und Stromleitungen.
Es ist urkomisch, die Kakadus zu beobachten. Das Kopfüber-vom-Ast-hängen, das Stöckchen-Balancieren, das Auf-dem-Kabel-Stolzieren.
Doch hauptsächlich kommen sie, um sich über die Knospen herzumachen. Oder um den Zitronenbaum zu attackieren, der beim Nachbarn im Garten steht. Ohne viel Federlesens wird die Zitrone am oberen Ende aufgeknabbert, der Inhalt rausgeschlürft und der Rest – genau! – weggeworfen.
So habe ich einmal beobachtet, wie innerhalb einer Viertelstunde ein kleiner Zitronenbaum komplett kahlgefressen wurde. Zum Glück wachsen die Früchte ziemlich schnell wieder nach.
Wenn die Bande nach getaner Arbeit das Feld verlassen hat, bleibt ein Ort der Verwüstung zurück. Der Hof ist übersät mit Blüten- und Obstresten, kleinen Zweigen und Laub. Vom Vogeldreck mal abgesehen.
Aber das ist es mir wert - ich habe Spaß dran, und mit Glück auch meine Kamera in der Nähe.
Australiens Vogelwelt ist faszinierend. Und ich kenne bis jetzt nur einen Bruchteil davon. Ist man in der Natur unterwegs, ist es nicht ungewöhnlich, vier, fünf verschiedene Gesänge gleichzeitig zu hören. Ein echtes Paradies für Naturliebhaber, die bewaffnet mit Fernglas und Erkennungsbuch losziehen.
Und Papageien in Freiheit, in ihrem Lebensraum zu erleben, lässt den guten Coco von damals in einem ganz anderen Licht erscheinen. Heute würde ich sagen: Käfigvögel? Nein danke.
2004-09-17 von Astrid Wehling, Wirtschaftswetter
Text: ©Astrid Wehling
Fotos: ©Astrid Wehling
Schlussredaktion: Ellen Heidböhmer
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