von Cornelia Schaible
Im Flur riecht es muffig. „Das Haus ist seit drei Jahren nicht mehr bewohnt“, sagt die Maklerin Jane Evans, als könnte sie Gedanken lesen. Damals verkauften die Eltern von Pop-Star Madonna das Familiendomizil in Rochester Hills, einem Vorort von Detroit (US-Bundesstaat Michigan). Seit einigen Wochen ist das Haus, in dem die Sängerin ihre Jugendjahre verbrachte, wieder auf dem Markt – aber die Käufer stehen nicht gerade Schlange.
Nun ist das Haus alles andere als eine Luxusvilla. Damals, in den 1970er-Jahren, war das „Material Girl“ auch noch kein Popstar, sondern ein Schulmädchen, das die Adams High School ein paar Straßen weiter besuchte. Die Eltern, Vater Sylvio Ciccone und Stiefmutter Joan, ließen sich das Haus in Rochester Hills passend für die große Familie bauen: Madonna, Jahrgang 1958, hat fünf leibliche Geschwister sowie eine Stiefschwester und einen Stiefbruder. Das Wohnzimmer ist riesig, und im zweiten Stock gibt’s vier Kinderzimmer. Die leeren Räume lassen noch ahnen, dass es hier eher bescheiden zuging. Für heutige Ansprüche wahrscheinlich zu bescheiden.
„Erfahren Sie, wie Madonna als Kind lebte“, wirbt die Immobilienfirma, für die Jane Evans arbeitet. Das ist ganz wörtlich zu nehmen: Das traute Heim der Familie Ciccone wurde in jüngster Zeit zwar notdürftig instandgesetzt. Ansonsten findet sich aber weitgehend die Originalausstattung – nicht nur in der Küche.
Die Uralt-Geschirrspülmaschine, in der sogar noch ein paar Teller stehen, sieht allerdings schlicht unappetitlich aus. Da hilft es auch nichts, dass die garantiert schon Madonna eingeräumt hat. Kein Wunder, dass niemand so recht Lust hat, die Mädchenjahre einer Sängerin authentisch nachzuerleben. Man müsste sicher einiges renovieren, gibt die Maklerin beim Rundgang durch die Räume zu. „Aber dann könnte man daraus ein umwerfendes Haus machen!“
Mag sein – für den geforderten Preis kriegt man in dieser Gegend aber auch ein Eigenheim in besserem Zustand, für das man nicht erst die Handwerker bestellen muss. Zunächst stand das Haus mit 300.000 Dollar (rund 250.000 Euro) in der Liste, inzwischen ist es für 30.000 weniger zu haben. Das bedeutet auf jeden Fall ein Verlustgeschäft für den heutigen Eigentümer. Denn die Ciccones verkauften das Haus schon für 270.000 Dollar – und damit haben sie sicher kein schlechtes Geschäft gemacht.
Der neue Besitzer, der offenbar mit einem Madonna-Faktor rechnete, wollte die Immobilie dann über eBay gewinnbringend verkaufen. Die Online-Auktion wurde abgeblasen, als irgendwelche Witzbolde 99 Millionen Dollar für das Häuschen boten. Eine Investment-Gruppe erwarb die Immobilie anschließend für 324.000 Dollar und ließ sie zunächst leer stehen, bis sich die Nachbarn beschwerten. Mehrere öffentliche Hausbesichtigungstermine sind bereits verstrichen, ohne dass sich ein ernsthafter Interessent gezeigt hätte.
Dabei gehört das Haus laut Immobilienfirma zu einer „erstklassigen Wohngegend“. Der Rasen vor den Nachbarhäusern ist sorgfältig manikürt, bis an den Straßenrand; Bürgersteige gibt es nicht. Hier geht man nicht zu Fuß, man fährt. Das Aufregendste an dieser Nachbarschaft sind mit Sicherheit die Straßennamen: Texas, Oklahoma, Arizona, Colorado. Klingt ein bisschen nach Abenteuer – für jemanden, der in einem Vorort von Detroit lebt, ist das jedenfalls alles weit weg. Das Haus der Ciccones steht in der Oklahoma Avenue, ganz hinten an der Wendeschleife. Es hat die Nummer 2036. Gleich daneben beginnt schon Texas.
Das unscheinbare Einfamilienhaus, Baujahr 1969, könnte auch in jeder x-beliebigen anderen amerikanischen Vorstadt stehen – die übliche Leichtbauweise, verkleidet mit Sparklinkern und Aluminiumleisten. Kolonialstil heißt das hier. Die einzige Besonderheit im Innern sind drei offene Kamine – die Ciccone-Kinderschar passte wohl nicht um einen einzigen Feuerplatz. Die schnörkeligen Holzschnitzereien an den Kamineinfassungen sind jedoch bestimmt nicht jedermanns Geschmack, ebenso wenig wie die teilweise farbig verglasten Fenster. Vermutlich ist das der „untadelige Charme und Charakter“, den die Immobilienfirma preist. Das Schneewittchen-und-die-sieben-Zwerge-Wandbild im Flur hat sie damit sicher nicht gemeint: Madonnas Stiefmutter habe in der ausgebauten Garage eine Kindertagesstätte betrieben, erklärt Evans.
Die Maklerin versäumt es auch nicht, auf die Buchstaben „MAC“ hinzuweisen, die im Türfutter des Kinder-Badezimmers eingeritzt sind. „Die Initialen von Madonna“, sagt sie. Die Künstlerin heißt mit vollem Namen allerdings Madonna Louise Veronica Ciccone, und das kürzt man wohl anders ab. Und so sorgt auch das nicht unbedingt für mehr Glanz in der Hütte.
2004-10-01 by Cornelia Schaible, Wirtschaftswetter
Text: + Fotos: ©Cornelia Schaible
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