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Ein Tisch, ein Mann, ein Blatt Papier

Das Stellengesuch

von Moon McNeill

Mann mit Bier I Mit gerunzelter Stirn betrachtet Dietram, was er geschrieben hat. Ein Wort. Ein einziges mickriges Wort! Trotz all seiner Qualifikationen: Wie nur soll er sich per Zeitungsannonce und in drei Zeilen am Arbeitsmarkt feilbieten? Er kaut am Bleistiftstummel. Dann streicht er entschlossen das Wort durch.

Ein Tisch, ein Mann, ein frisches Blatt Papier. „Voll flexibler Mittvierziger mit Führerschein nimmt JEDE Arbeit an.“ Tat er das? Beispielsweise, würde er nachts für ein paar Hundert Piepen Backwaren ausfahren - als gelernter Bibliothekar mit Diplom und fast dreißig Jahren Berufserfahrung? Oder vielleicht als dritter Hilfskoch in Schwerin arbeiten? Wie "voll flexibel" war man angesichts der Tatsache, dass laut Gesetz JEDE Arbeit zumutbar war, selbst Dumpinglohn im Niemandsland? Man stelle sich nur vor, man würde dann erneut arbeitslos. Dann erhielte man nur glatte sechzig Prozent des eben erwähnten Dumpinglohns als Arbeitslosengeld. Definitiv sparte der Staat damit eine enorme Menge Geld. Ob sie dann mehr Obdachlosenunterkünfte bauen würden? Schließlich konnte man dann seine Wohnung nicht mehr bezahlen. Oder war eine eigene Wohnung mittlerweile nicht mehr zumutbar?

Ein Tisch, ein Mann, ein frisches Bier auf dem Papier. Der Schaum quillt über den Rand der Dose und macht einen nassen Ring. Er zermartert sich das Hirn jetzt bereits eine Stunde und sechzehn Blätter lang, wie die zusammengeknüllten Papierbälle auf dem Boden dokumentieren. „Junger Mann mit Bibliothekserfahrung sucht … .“ Gott, nein, er ist nicht mehr jung. Mit fast 48 zählt man heute zum Alteisen, definitiv. Eigentlich komplett sinnentleert, wo sie doch gerade erst die Lebensarbeitszeit auf 77 erhöht haben. „Bücher-Oldie, ziemlich gut erhalten, sucht … .“ Was waren das für gemütliche Zeiten, als Loriot noch lebte. Heute gibt es nichts mehr zu Lachen. Und gemütliche Zeiten sind es schon gar nicht! Da draußen ziehen sie hohe Mauern um die Viertel, in denen die Begüterten leben, und hier sitzt man und dichtet sich an einer Suchanzeige blöde.

“Vielseitig begabter Diplom-Bibliothekar im besten Alter sucht … .“ Ja, was eigentlich? Die Bibliotheken schließen sie ja alle, weil es keine Leser mehr gibt. Dank Hyper-Internet und e-book, e-Check-Book, e-TalkBook, e-PhoneBook und e-MusicBook. Wenn man heute einen Beruf lernt, kann man nach Ende der Ausbildung fast sicher sein, dass es ihn nicht mehr gibt. Außer vielleicht: Sachbearbeiter beim Arbeitsamt. Man nannte die heute allerdings Service-Performer. Und das gute alte Arbeitsamt schimpfte sich jetzt "Federal Office for Employment Operations". Genial! Hauptsächlich operierten sie wohl an den Statistiken herum.

Mann mit Bier II Ein Tisch, ein Mann, ein drittes Bier auf dem nassen Papier. „Energiegeladener Midlife-Macho möchte gerne irgendwo anpacken … .“ Am liebsten an der Gurgel dieser Politiker, die all diese Gesetze erlassen. Tja, Politiker müsste man heutzutage sein. Dann hätte man ausgesorgt. Welche Qualifikationen bräuchte man denn da? Mal sehen: beidseitige monetäre Annahmebereitschaft. Hmmm, das würde schwer werden. Er hatte seine Steuererklärung immer ordentlich abgegeben. Das müsste man sich dann abgewöhnen. Rechtsgescheitelte Überlegenheitsneurose … hm tja! Neurotisch war er leider nie gewesen, und überlegen? Mal überlegen … . Nein. Immer hübsch bescheiden seine Pflicht getan - wohl perspektivlos in Zeiten wie diesen. Dreidimensionale Worthülsenwendigkeit?! Nee, auch nicht gerade seine Stärke. Taktische Verbalzirrhose bei gleichzeitiger Inhaltsdiarrhoe? Nix da! Ausschussgesteuerte Kompetenzvariabilität!? Branchenkompatible Ahnungs-Ansatzfrequenz bei gleichzeitiger Lohnmaximierungsability? Nein, alles definitiv nicht seine Preislage. Glatte Fehlbesetzung.

Ein Tisch, ein Mann, zehn Bier auf kl… klöternassem Papier. Sechsunddreißig nasse Blätter zerknüllt auf dem Boden und eine Packung Tempos neben der zittrigen Hand. Denn es IST zum Heulen, was er nach vielen Stunden langen Nachdenkens endlich als einzige drei Möglichkeiten herausgefunden hatte: Penner. Alkoholiker. Oder... Ob man als Mafioso eine Zeugnismappe brauchte?"

2004-12-02 von Moon McNeill, Wirtschaftswetter
Text: © Moon McNeill
Fotos: © Sabine Neureiter
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Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder tatsächlich existierenden Namen sind nicht beabsichtigt und rein zufällig. Alle Personen in dieser Geschichte sind frei erfunden.

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