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Zurück in die Traumstadt

Greencard 2 - Portrait

von Birgid Hanke

Sadia - Softwarearchitektin, Projektleiterin Wollten die international tätigen Goethe-Institute den Erfolg ihrer Aufgabe, vor Ort der Verbreitung und Pflege deutschen Sprachguts zu dienen, einmal in persona darstellen, sollten sie sich an Sadia wenden. Sie liebt die deutsche Literatur, kennt Hermann Hesse ganz genau, insbesondere den tiefen Konflikt zwischen Buddha und Siddharta. Daneben hat sie Heinrich Böll, Brigitte Schwaiger, Stephan Zweig und Marlene Haushofer gelesen. Als sie noch Zeit zum Lesen hatte.
Die hat sie nicht mehr, besetzt sie doch eine verantwortungsvolle Position in einem der jungen aufstrebenden Unternehmen, die sich in der Nähe des Bremer Flughafens niedergelassen haben. Das wiederum ist Folge der Green-Card-Politik der im Jahre 1998 noch neuen Rot-Grün Regierung, ein persönlicher Erfolg sowieso und ein Gewinn für Deutschlands kleinstes Bundesland.

Die Zielstrebigkeit und der Ehrgeiz, mit der die Informatikerin bislang ihr junges Leben vorantrieb, sind beeindruckend. „Ich habe eigentlich immer gemacht, was ich wollte.“ Dazu gehörte, schon als Achtzehnjährige während ihres Informatikstudiums an der Universität von Karatschi noch eine zusätzliche Fremdsprache zu erlernen. Im pakistanischen Elternhaus wurden Urdu und Englisch gesprochen. Arabisch beherrscht sie auch, weil die Familie zeitweilig in Riad lebte. Sie begann mit einem Französischlehrgang.
„Der Kurs war mir zu extensiv, der fand nur einmal in der Woche statt. Da bin ich dann zum Goethe-Institut gewechselt und habe eben Deutsch gelernt. Die boten nämlich jeden Tag Unterricht“, erzählt sie und das mit einem klitzekleinen französischem Akzent. Ein halbes Jahr später erhielt sie als Klassenbeste das Angebot eines Stipendiums in Deutschland. Das verschlug sie nach Bremen.

Beim Stichwort Bremen und der Erinnerung an diese Zeit vor acht Jahren beginnt Sadias Gesicht zu leuchten. Achtzehn Jahre alt war sie, zum ersten Mal weit, weit weg von zu Hause. Doch sie habe diese Zeit sehr genossen.
Die Internationalität ihres Kurses, mit jungen Menschen aus aller Welt zusammen zu kommen und gemeinsam zu lernen, Einblick in fremde Länder und Kulturen zu erhalten; all das habe ihr so unglaublich gut gefallen. In ihrem Kurs habe es Australier, Dänen, Spanier und Finnen gegeben. Mit einem der Kursteilnehmer aus Nepal stehe sie noch heute in Kontakt.
Ein halbes Jahr dauerte dieser Kurs. Sie lebte in einem Studentenwohnheim in der Nähe vom St.-Jürgen-Krankenhaus. „Das lag ja auch nicht weit von der Weser. Da gibt es einen Baum neben dem Café Ambiente, dort habe ich immer drunter gesessen, gelernt und meine Deutschaufgaben gemacht. Vor acht Jahren habe ich noch nicht gewusst, dass ich eines Tages richtig in Bremen leben würde.“ Gewusst vielleicht noch nicht, aber unbewusst schon gewollt, denn bereits damals spielte sie mit dem Gedanken, ihr Studium in Deutschland fortzusetzen.

Wieder zurück in Karatschi, hatte das dortige Goethe-Institut weitere Pläne mit ihr. Beim Einstufungstest in Bremen war Sadia sofort in der Mittelstufe 3 gelandet und hatte den hiesigen Sprachkurs mit Erfolg bestanden. Nun schlug man ihr in Pakistan vor, eine Ausbildung zur Deutschlehrerin zu machen. „Das habe ich noch nie erzählt oder irgendwo erwähnt.“
Warum nicht ? Hat sie diese Ausbildung denn nicht gemacht? Na, klar doch, parallel zum Vordiplom in ihrem Fach Informatik. Dreimal war sie dafür im indischen Poona, dem regionalen Hauptsitz der Goethe-Institute im südostasiatischen Raum, um dort die entsprechenden Kurse zu absolvieren. Wieder eine tolle Zeit, Poona sei ein wunderschöne Universitätsstadt mit akademischen Flair. Und wieder sei es die Internationalität dieser Stadt gewesen, die ihr so gefallen habe. In München, am Hauptsitz aller Goetheinstitute, machte sie dann ihr KDS, das „kleine deutsche Sprachdiplom“, das ihr erlaubt, Deutsch zu unterrichten. Daneben hatte sie aber natürlich bereits ihr Vordiplom der Universität Karatschi in der Tasche und beschloss, ihr Studium in Lüneburg fortzusetzen.

Moment mal.Karatschi, Bremen, Poona, München, Lüneburg?

Ein etwas seltsamer Werdegang. Keineswegs. Sadia schüttelt energisch den Kopf. Schließlich bietet die dortige Fachhochschule einen Studiengang „Applied computing“, in dem die Vorlesungen und Veranstaltungen zu 50 Prozent in englischer Sprache angeboten werden. Außerdem versprach die Green-Card-Initiative der neuen Regierung unter Kanzler Schröder gerade jungen Menschen aus asiatischen Ländern die rosigsten Aussichten. Der Studiengang in Lüneburg verlangt ein Pflichtsemester im Ausland, das sie in Wolverhampton - nie gehört, bei Birmingham – absolviert habe. Schon wieder eine andere Stadt, ein anderes Land?

Was steht es überhaupt mit dem Heimweh. Oh ja! „Heimweh habe ich gehabt, Heimweh nach Deutschland.“ Sie lacht. „Ganz schlimmes Heimweh nach Deutschland.“ Und nach Pakistan?
“Nein, nach Pakistan niemals. Ja, ich sehne mich nach meiner Familie, nach meiner Mutter, nach meinem Vater und meinen jüngeren Brüdern, aber nicht nach dem Land. Ich habe auch in meinen Kursen und im Studium immer gesagt: Ihr könnt und dürft mich nicht als Repräsentantin Pakistans betrachten. Ich bin keine typische Pakistani.“
Typisch wäre es dann gewesen, im Alter von sechzehn Jahren zu heiraten. Ja natürlich haben in dieser Zeit auch in ihrem Elternhaus die Heiratsvermittler an die Tür geklopft. Aber ihre Mutter war es, die ihr das Schicksal einer viel zu frühen, arrangierten Ehe ersparte. Sie habe etliche Kusinen, die so früh verheiratet worden waren und mittlerweile bereits große Kinder haben. Zu reden hätte sie mit ihnen kaum noch etwas. „Die leben in einer ganz anderen Welt, die mich überhaupt nicht interessiert.“

Sadia, wie kommt es, dass Sie so anders geworden sind, aufgewachsen in einem Land, dessen Bevölkerung zu 97 Prozent islamischen Glaubens und von Tradition geprägt ist?
„Ach, es hat sich dort so viel geändert in den vergangenen Jahren. Als ich ein Kind und junges Mädchen war, war mir der Begriff Fundamentalismus fremd. Bei uns zu Hause wurde keine Religion praktiziert. Ich habe Glück, dass meine Eltern so offen waren. Sie haben mich immer machen lassen, was ich wollte.“ Sie gesteht zu, in wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen zu sein. Als Angehörige der sogenannten „Upper Middle Class“ sei ihr die Armut ihres Herkunftslandes immer fern geblieben.
Dass sie immer gewusst hat, was sie wollte, beweist ihre gradlinige, zielgerichtete Entwicklung. Und woher kommt der Ehrgeiz? Ihr Wunsch, das Bedürfnis, sich immer neuen Herausforderungen zu stellen. Hat sie eine Erklärung dafür?
“Ich bin Widder“, lacht sie. Das muss genügen.

Dipl-Ing, Software-Architektin steht auf ihrer schlichten Visitenkarte. Ein wenig müde und abgespannt wirkt sie, als sie zum verabredeten Gespräch nach einem langen Arbeitstag am Treffpunkt im Café Sand erscheint. Und Sadia liebt ihre Arbeit. Sie fühlt sich wohl in ihrer Firma, die ihr hervorragende Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten bietet. In ihrem Team hat sie sich so gut eingefunden, dass es ihr Unbehagen bereitet, sich am Arbeitsplatz fotografieren zu lassen. Sie will sich nicht als einzelne so exponieren.

Nach ihrem englischen Auslandssemester landete sie in Berlin, bei Intershop. Während dieser Zeit machte sie auch ihr Diplom. „Design and implemitation of sight structure for Intershop content management system” lautete der Titel der für diese Firma maßgeschneiderten Arbeit. Eine Übernahme mit festem Arbeitsvertrag war versprochen. Justament in dieser Zeit war es mit dem Hype in der IT-Branche vorbei. Auch die Firma von Stefan Schambach, Kanzler Kohls einstigem Lieblingskind, dem jungen Vorzeigeunternehmer aus Ostdeutschland, geriet ins Trudeln. Zu ihrem eigenen Erstaunen erhielt Sadia keinen Anschlussjob und begann sich zu bewerben.
Beim ersten Mal war es die wirtschaftliche Entwicklung, beim zweiten Mal nahm ein Weltereignis unmittelbaren Einfluss auf ihren persönlichen Lebensweg.
“Am 10. September 2001 hatte ich per E-mail die Zusage von einer großen Softwarefirma in Hannover. Am nächsten Tag sollte mir der Arbeitsvertrag zugeschickt werden. Eine ganz tolle Firma, mit einer Filiale auf Mallorca, Business-Class fliegen, und verdient hätte ich auch hervorragend“, erzählt sie begeistert. „Aber dann kam der 11. September, und die ließen nichts mehr von sich hören. Dann habe ich nach paar Tagen angerufen, und man sagte mir, man wisse im Augenblick überhaupt nichts, stünde unter Schock, könne keine Prognosen machen, sei orientierungslos.“ Nichts mehr passierte, Hannover war verstummt.

Sadia war nun richtig arbeitslos. Aber nur zwei Monate lang. Dann landete sie in Dortmund. Das ist die erste Stadt, die keine Gnade vor ihren Augen findet. „Dort habe ich nur gearbeitet, gearbeitet, gearbeitet.“ Einmal hat ihre Mutter sie in dieser Zeit aus Karatschi besucht. Mit ihr fuhr Sadia nach Bremen, um ihr die Stadt zu zeigen, in der sie so glücklich gewesen war. Und auch ihrer Mutter habe Bremen sehr gut gefallen.
Was macht Bremen aus? Was hat diese Stadt an sich, dass eine junge Frau aus dem fernen Karatschi sich so unwiderruflich in sie verliebte ?
“Bremen ist so offen, ist so frei, die Menschen sind so freundlich, hilfsbereit und zugänglich“, beginnt Sadia zu schwärmen. Gibt es einen Ort, den sie besonders liebt ? „Die Weser!“ kommt es wie aus der Pistole geschossen. Sadia liebt diesen Fluss. Er scheint so etwas wie ihre Lebensader darzustellen.
„Bremen hat eine schöne Haut“, behauptete einmal Hans Joachim Ringelnatz. Diesen Schriftsteller kennt Sadia nicht. „Aber er hat recht“, stimmt sie seinem Zitat zu. “Ich bin so glücklich, dass meine neue kleine Wohnung so nah an der Weser liegt.“

Der Sog nach Bremen war so groß, dass die Informatikerin sich von Dortmund aus ganz gezielt nach Bremen zu bewerben begann. „Von den etwa siebzig Bewerbern wurde ich genommen“, erzählt sie. Ein leiser Stolz schwingt in ihrer Stimme mit, zum ersten Mal während dieses Gesprächs.
Seit November 2003 lebt Sadia nun wieder in Bremen. Da kam sie ja gerade zur rechten Zeit in die dunklen Monate und das norddeutsche Schmuddelwetter. Wie um das zu bekräftigen, ballen sich über dem Glasdach das Cafés in diesem Augenblick dunkle Gewitterwolken, dicke Regentropfen klatschen an die Fenster, nass gewordene Radfahrer und Spaziergänger suchen Zuflucht in dem hohen hellen Raum. Unmutige Blicke nach draußen. „Scheißwetter!“ brummt ein Gast am Nebentisch.
“Das ist schönes Wetter“, behauptet Sadia. „Ich liebe das norddeutsche Schmuddelwetter. Ich hasse es, in der Sonne zu sitzen. Da bekomme ich Panik. Der heiße Sommer im letzten Jahr war der Horror für mich.“
„Ich komme aus einer Stadt, in der eine Durchschnittstemperatur von 38 Grad herrscht, letzte Woche waren es in Karatschi 44 Grad“, begründet sie ihr Faible für grauen Himmel, Sturm und Regen. „Wenn es bei uns einmal regnet, wird das richtig gefeiert. Dann machen wir Pakora und trinken heißen Tee mit Milch und Zucker dazu. Und auch nur, wenn der Himmel bewölkt ist, fahren wir ans Meer“, betont sie.

Projektleiterin an der WeserSadia ist neunundzwanzig Jahre alt, wirkt aber wesentlich jünger. Wie kommt sie in einer Arbeitswelt, in der nach wie vor die Männer dominieren, zurecht ? Sie ist klein, zierlich, bildhübsch und......und....und ...
Asiatin“, hilft sie mit unbefangener Offenheit aus der Bredouille. „Also eine Frau, über die bestimmte Klischeevorstellungen, insbesondere in den Köpfen von Männern herumspuken.“
Als Software-Architektin ist sie in ihrer Firma für die Softwareentwicklung des Airbus zuständig. „Ja, da war neulich ein Kunde, der war wirklich irritiert, der hat bei unserem Meeting immer nur mit meinem Kollegen gesprochen und mir einfach nicht in die Augen geguckt, da habe ich dann gesagt: Heh, das ist mein Projekt, dafür bin ich zuständig.“ Nein, mit der Faust haut sie nicht auf den Tisch, aber energisch kann sie werden und setzt sich damit durch.

“Ja, ich fühle mich wohl hier. Ich bin glücklich in dieser Stadt.“ Will sie nicht weiter, wieder weg, in eine andere Stadt, in ein anderes Land? Ist sie nicht eine Frau des 21. Jahrhunderts, hoch qualifiziert und flexibel, dafür prädestiniert, weiter und immer höher zu wandern ?
Sekundenlang versinkt Sadia in sich, lauscht nachdenklich in sich hinein. “Nein“, erwidert sie bestimmt und strafft die Schultern. „Nein, ich bin angekommen. Zumindest vorerst bin ich hier in Bremen angekommen.“ Das spürt auch ihre Mutter im fernen Karatschi.
“Kind, ich höre es an deiner Stimme“, habe sie bei ihrem letzten Telefonat zu ihrer Tochter gesagt. „Du klingst wie damals vor acht Jahren. Du bist glücklich, du bist wieder in deinem geliebten Bremen.“


2005-02-13 by Birgid Hanke, Wirtschaftswetter
Text + Fotos: ©Birgid Hanke

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