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Eine Schlappe für den Hausschuhmuffel

von Cornelia Schaible

Hausschuhe Bei Schmuddelwetter wohl eine Selbstverständlichkeit: Die Schuhe bleiben auf dem Fußabstreifer, im eigenen wie im fremden Heim. Dass die Wohnung grundsätzlich zur schuhfreien Zone erklärt wird, ist indessen keine Seltenheit mehr, auch außerhalb Asiens.

„Ach, zieht doch bitte die Schuhe aus“, sagt die Gastgeberin beiläufig, nachdem sie die Besucher ins Haus gelassen hat. Und fügt noch entschuldigend hinzu: „Das Baby krabbelt immer auf dem Boden.“ Die Hygiene als Vorwand hätte es gar nicht gebraucht: Die Gäste sind wie angewurzelt an der Türschwelle stehen geblieben und schauen betreten auf den Teppichboden. Cremeweißer Langflor, soweit das Auge reicht, ganz entschieden nichts für staubige Straßenschuhe. Amerika steht derzeit auf Auslegeware in Hellbeige. Und so zeichnet sich ein neuer US-Trend ab: erst Schuhe aus, dann rein ins Haus.

Pantoffeln Also pirscht der Gast auf Strümpfen durch die fremde Wohnung. Fühlt sich dabei irgendwie unangenehm entblößt und kriegt kalte Füße. Richtig peinlich wird es für den Besucher, der an Fußschweiß leidet – er würde sich am liebsten wieder auf die Socken machen. Klar, dass diese neumodischen Sitten zuweilen auf Widerstand stoßen. „Lieber Dr. Dee“, lautete eine Anfrage an einen Online-Benimmratgeber, „wir haben kürzlich unsere früheren Nachbarn in ihrem neuen Haus besucht, und sie baten uns, die Schuhe auszuziehen. Ich kam mir komisch dabei vor. Hätte ich mich weigern sollen?“

Dieser Ansicht war Dr. Dee nun allerdings nicht. Man kann so etwas nicht ablehnen, wenn es der Gastgeber wünscht, so die verbindliche Auskunft des virtuellen Knigge. Im Übrigen sei es in weiten Teilen der Welt längst üblich, sich der Schuhe vor dem Betreten der Wohnung zu entledigen: „Das ist nicht nur eine japanische Tradition, wie die meisten Leute denken.“

Schlappen mit Absatz Die Japaner haben das Raus-aus-den-Schuhen-rein-in-die-Pantoffeln allerdings in einem Maße kultiviert, dass es auf Touristen entmutigend wirkt. „Wir müssen draußen bleiben“, gilt für Straßenschuhe nicht nur in Schreinen, Tempeln und im Restaurant. In Privathäusern schlüpft man bereits an der Schwelle in Pantoffeln, und auf dem Klo stehen noch einmal extra Schlappen bereit. Der mit Reisstrohmatten ausgelegte Tatami-Raum wird sowieso nur strümpfig oder barfuß betreten. Selbst der Rettungssanitäter wird sich erst seiner Treter entledigen, bevor er die Wohnung des Notfall-Patienten betritt. Den Schmutz der Welt vor der Haustür zu lassen, ist in Nippon seit Jahrhunderten Ausdruck einer verfeinerten Lebensart. Und die hat ihren Preis.

Was die Japaner seit jeher von westlichen Gepflogenheiten in dieser Hinsicht halten, wird im Film „Last Samurai“ vorgeführt: Captain Nathan Algren alias Tom Cruise, der nach dem Sezessionskrieg die japanische Armee trainieren soll, stapft in dreckigen Militärstiefeln durchs cleane Samurai-Heim. Die Dame des Hauses ist sichtlich erschüttert. Abgesehen davon hat die grobschlächtige Langnase ihren Ehemann im Kampf getötet. Was sie wohl denkt? So sind sie, die Amerikaner. Barbaren.

Haus-SchlappenHeutzutage tragen alle brav Schläppchen, wenn sie etwa die Burg Himeji besichtigen, die im Film ebenfalls zu sehen ist. Und wer einmal durch Japan gereist ist, der weiß, dass der am Eingang von Sehenswürdigkeiten geparkte Haufen Schuhe nicht immer ein schöner Anblick ist. Auch kann es mühsam sein, das eigene Paar anschließend wieder herauszufischen.

Falls es überhaupt noch da ist. Ob so etwas in westlichen Großstädten funktionieren würde, ist fraglich. Die Hauptfigur aus der US-Serie „Sex and the City“, die Kolumnistin Carrie Bradshaw mit dem Schuhfimmel, macht jedenfalls schlechte Erfahrungen mit dem Barfuß-Gebot. Erst einmal findet sie es buchstäblich erniedrigend, von ihren Stöckeln zu steigen. Und nach der Party, oh Schreck, sind ihre silbernen 480-Dollar-Manolos weg. Eine ganze Folge dreht sich darum – Schuhklau scheint in New York City ein ernstes Problem zu sein.

Hauspantolette Vielleicht hilft es, die Schuhe in einer Plastiktüte mit sich herum zu tragen, wie kürzlich bei einer Wohnungsbesichtigung in einer Detroiter Vorstadt praktiziert. Allerdings hatte die Strumpfhose der Besucherin anschließend eine Laufmasche; der sandfarbene Teppichboden war nicht durchgehend. Und so kann man auf Reinlichkeit bedachten Hausbesitzern, ob in den USA oder in Europa, nur raten, sich die Japaner künftig noch mehr zum Vorbild zu nehmen: Schuhe runter ja – aber nur, wenn für die lieben Gäste dann auch Schlappen bereit stehen.


2004-12-12 Cornelia Schaible, Wirtschaftswetter
Text © Cornelia Schaible
Illustration: ©Angelika Petrich-Hornetz

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