Am 26.01.2005 entschied das Bundesverfassungsgericht über die 6. Novelle des Hochschulrahmengesetzes. Das bis dahin geltende bundesweite Verbot von Studiengebühren ist nichtig. Einige Bundesländer planen Studiengebühren einzuführen, andere nicht. Wir baten Gegner und Befürworter von Studiengebühren um eine Stellungnahme und Einschätzung.
Unser nächster Gesprächspartner ist Dr. Dieter Hundt, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Wirtschaftswetter : Sie haben in Zürich studiert. Die Eidgenössische Technische Hochschule nimmt Schul- und Semestergeld. Wie hoch war dieses zu Ihrer Zeit als Student, und wer unterstützte Sie?
Dr. Dieter Hundt: Als ich Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre in Zürich studierte, waren Studiengebühren oder Hörergeld, wie es damals hieß, etwas ganz Normales – übrigens auch in Deutschland. Was ich bezahlen musste, ist heute – 40 Jahre später – wenig aussagekräftig. Meine Eltern konnten die Studiengebühren nicht aus der Portokasse bezahlen. Sie wussten, dass eine gute Bildung das Fundament für mein weiteres Leben sein würde und legten großen Wert auf meine Ausbildung. Während des Studiums habe ich zusätzlich Geld verdient, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren. Bildungskredite, wie es sie heute gibt, gab es damals nicht. Rückblickend kann ich sagen: Das Studium war die Grundlage meiner beruflichen Karriere. Der Entschluss, an die Hochschule zu gehen und Studiengebühren zu zahlen, war eine Investition in meine Zukunft, die sich ausgezahlt hat.
Wirtschaftswetter : Eine wachsende Zahl von Akademikerinnen bleibt kinderlos. Diejenigen, die Mütter werden, haben Karriereknicks und Ausfallzeiten hinzunehmen, viele arbeiten in Teilzeit mit einem nicht gerade hohen Einkommen. Dadurch zahlen sie künftig Studiengebühren, wenn diese nachgefordert werden, für einen längeren Zeitraum, als z. B. ein kinderloser Single mit Vollzeitjob. Besteht damit nicht die Gefahr, dass immer weniger Akademikerinnen Kinder
in die Welt setzen?
Dr. Dieter Hundt: Es bleibt abzuwarten, wie die Studiengebühren im Detail gestaltet werden. Das Studienfinanzierungskonzept der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) baut auf Darlehen für die Finanzierung der Studienbeiträge und des Lebensunterhalts. Die Rückzahlung dieser Darlehen erfolgt frühestens sechs Monate nach Abschluss des Studiums und ist an ein Mindesteinkommen geknüpft, das wiederum Freibeträge für Kinder und Verheiratete vorsieht. Finanzielle Aspekte dürfen kein Grund gegen ein Studium sein. In unserem BDA-Modell sind sie es nicht.
Die niedrige Geburtenquote in Deutschland – speziell von Akademikerinnen – halte ich für bedenklich. Kinder sind das Herzstück jeder Gesellschaft. Ohne Kinder verliert unsere Gesellschaft an Energie und Kraft sowie an Zukunftsperspektive. Darüber hinaus ist unser Sozialsystem ohne Kinder nicht überlebensfähig, und auch ein angemessenes Wirtschaftswachstum ist ohne Kinder nicht möglich. Deshalb müssen wir alle – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – daran arbeiten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern. Als Stichworte nenne ich die Kleinkinderbetreuung und Ganztagsschulen. Hier ist die Politik gefordert. Die deutschen Unternehmen haben in den letzten Jahren bereits Enormes für eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf geleistet. Die Angebote sind vielfältig und reichen von flexiblen Arbeitszeiten bis hin zum Betriebskindergarten.
Wirtschaftswetter : In der Diskussion um die nun einzuführenden Studiengebühren geht man ausschließlich von gegenwärtigen und zukünftigen Studenten aus. Halten Sie ein Modell für denkbar, das auch ehemalige Studenten und jetzt Berufstätige einbezieht, die in den Genuss eines kostenlosen Studiums kamen, sodass sie ihrer Hochschule einen Teil der Studienkosten erstatten können?
Dr. Dieter Hundt: Nein. Studiengebühren für ein bereits abgeschlossenes Studium zu bezahlen, halte ich für abwegig. Rechtlich dürfte dies auch nicht durchsetzbar sein.
Wirtschaftswetter : Noch einmal zurück zu den sinkenden Geburtenzahlen. Sinkende Geburtenzahlen - leerer werdende Kindergärten - sinkende Schüler- und Studentenzahlen: Wie zeitgemäß werden Studiengebühren in ein paar Jahren sein?
Dr. Dieter Hundt: Ohne Studiengebühren wird es in Zukunft nicht mehr gehen. Durch sinkende Geburtenraten droht ein Fachkräftemangel in der deutschen Wirtschaft. Deutschland kann es sich nicht leisten, Bildungspotenzial brach liegen zu lassen. Das gilt für alle Bildungsbereiche. An den deutschen Hochschulen studieren die jungen Menschen immer noch viel zu lange. Die Zahl der Studienabbrecher ist zu hoch. Studiengebühren sind für die Studenten ein Anreiz, das Studium schneller zu beenden und für die Hochschulen ein Anreiz, die Qualität ihrer Lehre zu steigern. Das oft vorgebrachte Argument, Studiengebühren würden die Studentenzahl senken und Kindern aus sozial schwachen Familien den Gang an die Hochschule versperren, trägt nicht. Im Gegenteil: Wird ein System von Studiengebühren mit sozialverträglichen Bildungskrediten oder Darlehen untermauert, haben alle Jugendlichen die Chance auf eine Hochschulausbildung.
2005-02-01 von Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz und Gesprächspartner Dr. Dieter Hundt
Schlussredaktion: Ellen Heidböhmer
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