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Selbst ist der Patient

Seit Einführung der Gesundheitsreform nimmt die Selbstmedikation zu

von Susanne Hagedorn

Die Selbstmedikation dürfte es eigentlich schon so lange geben, wie Menschen auf der Erde wandeln, die sich gegen gesundheitliche Beschwerden oder Verletzungen Hilfe aus der Natur holen mussten. Heutzutage brauchen wir die Kräutlein allerdings nicht mehr im Wald oder auf der Wiese zu sammeln, sondern wir holen uns Arzneimittel fertig zubereitet aus der Apotheke. Etwa 5000 Medikamente gegen zahlreiche Krankheiten und Beschwerden sind dort rezeptfrei erhältlich.

Seit Einführung der Gesundheitsreform sparten die Krankenkassen etwa 1,4 Milliarden Euro ein, u.a. weil gesetzlich Versicherte zum größten Teil selbst für nicht verschreibungspflichtige Medikamente zahlen müssen. Die rezeptfreien Medikamente werden deshalb nicht mehr übernommen, weil sie lediglich die Lebensqualität verbessern. Lebensnotwendig sind sie nicht, ungeachtet dessen, ob der Patient nun eine tatsächliche Besserung seiner Beschwerden verspürt oder nicht. Das verstehen nicht alle, denen es durch diese Mittel besser geht oder für die ein "Leben ohne" fast unerträglich wird, auch wenn sie nicht gleich davon sterben.

Ausnahmen, bei denen die gesetzliche Kasse die Kosten für diese Mittel weiter übernimmt, sind Kinder bis zu 12 Jahren und Jugendliche bis zu 18 Jahren mit Entwicklungsstörungen. Ob die Gesundheit der Bevölkerung massiv darunter leidet, kann man jetzt noch nicht sagen, von einzelnen negativen Auswirkungen hört man jedoch häufig. In einem Gespräch mit einer Apothekerin erfuhr ich z.B., dass zur Zeit viel weniger Geld für Mittel gegen Prostatabeschwerden ausgegeben wird, und dass die Zahl von Harnwegsinfekten bei Männern steigt - bedingt durch Harnrückstau, dem diese Mittel entgegenwirken sollen, so die Apothekerin.

Ein weiteres Phänomen zur Selbstmedikation: Immer dann, wenn ein Artikel zu einem Gesundheitsthema mit Angabe des Mittels in einer der vielen Zeitschriften erscheint, steigt die Nachfrage nach diesem Mittel deutlich. Die Kunden lassen sich in diesen Fällen aber leider nicht gerne über Nebenwirkungen aufklären, denn viele denken:“ Was geschrieben ist, das gilt erst einmal mehr!“ Und wenn man schon selbst zahlen muss, kann man dann nicht auch selbst entscheiden, was man nimmt?

Sind medizinische Laien, also die meisten von uns, wirklich in der Lage, Krankheiten korrekt zu erkennen oder gar eine Diagnose zu stellen? Und passt diese mit den Symptomen, die in solchen Artikeln aufgelistet sind, tatsächlich zusammen? Oder haben wir noch Zusatzbeschwerden, die nicht aufgeführt wurden? Dann kann es eventuell sogar gefährlich werden.

Nur ein Beispiel: Erkältungskrankheiten werden gern selbst therapiert, und dagegen spricht auch nichts, wenn man sich die entsprechenden Medikamente in der Apotheke kauft. Allerdings besteht die Gefahr, dass es zu einer bakteriellen Infektion kommt, sodass Folgeerkrankungen wie eine Schädigung des Herzmuskels oder auch der Nieren entstehen können. Folgen, die die meisten von uns - ohne einen Arzt aufgesucht zu haben - nicht einschätzen können, auch nicht, wann sie entstehen und wie sie zu erkennen sind.

Trügerisch ist auch der Begriff „Naturheilmittel“

Der Begriff gaukelt uns eine gewisse Unbedenklichkeit vor, denn diese Medizin kommt aus der Natur. Hier ist jedoch äußerste Vorsicht geboten.
Zwei Beispiele:

Johanniskraut + Weidenrinde

Johanniskraut indet man in jedem Drogeriemarkt als Tee, Kapseln, Tabletten oder in anderen Darreichungsformen, und es wird gerne bei Schlafstörungen oder Unruhezuständen empfohlen. Dabei muss jedoch beachtet werden, dass Johanniskraut die Wirkung von Herzmedikamenten verändern kann. Und das weiß leider nicht jeder.
Oder: Weidenrinde – Sie wird häufig als schweißtreibendes Mittel (z.B. als Tee) eingesetzt. Wer weiß denn schon, dass der Grundwirkstoff der Weidenrinde der Acetylsalicylsäure („Aspirin“) entspricht und somit die Blutgerinnung beeinflussen kann?

Freier Verkauf in Supermärkten

Verwirrend ist auch der freie Verkauf in Supermärkten. Der Kunde denkt im Allgemeinen: „Was ich dort kaufen kann, wird schon nicht gefährlich sein.“ Ist eine Verkäuferin in einem Supermakt in der Lage, den Kunden im Zweifelsfall darüber zu informieren, ob der Hustensaft, den er sich in den Einkaufswagen packt, für „seinen“ Husten wirklich richtig ist? Es ist immer noch ein Unterschied, ob ein ausgebildeter Apotheker, der sich mit den verschiedenen Medikamenten in ihrer Zusammensetzung auszukennen hat, einen Hustensaft anbietet oder ob sich ein Laie einen Hustensaft aus dem Regal nimmt, in der Hoffnung, dass dieser eventuell heilen könnte oder auch nicht.

Dennoch gibt es auch vieles aus „Großmutters Hausapotheke“, das gut zur Selbstmedikation geeignet ist und kaum der Rücksprache bedarf. Hier sei nur als Beispiel die aufgeschnittene Zwiebel beim Insektenstich oder der Wickel mit Kohl bei Entzündungen genannt. Bei den schon etwas komplizierteren Mitteln würde man sich mehr unabhängigen Beratungsservice wünschen.

Fazit Selbstmedikation

Der ehemalige Patient, der seinem Arzt blind vertraute, wurde dank der Gesundheitsreform fast über Nacht zum zahlenden Kunden, doch nicht unbedingt gleichzeitig zum gut informierten. Manche lavieren sich mit der Methode „Vermeidung“ durch, manche mit dem Kauf diverser Mittelchen, von denen sie meinen, es passe schon ungefähr. Manche wälzen tagelang Bücher, suchen im Internet nach Informationen, nehmen, was in Zeitschriften steht oder befragen ihre Familie, ihre Freunde und Arbeitskollegen.
Hier ist eine Lücke zu schließen. Der Bürger müsste richtig in Kenntnis gesetzt werden. Informations-Angebote gibt es sehr viele, doch fehlt nicht selten die Orientierung. Die Selbstmedikation wird weiter steigen, und der Einfluss der Medien bei der Auswahl der Mittel ist nicht zu unterschätzen.

Tipp Selbstmedikation

Behandeln Sie sich nur dann selbst, wenn Sie sich Ihrer Sache absolut sicher sind, und fragen Sie im Zweifel lieber doch einmal in einer gut geführten Apotheke um Rat oder gehen Sie gleich zum Arzt. Die Praxisgebühr (Anm. der Red. : inzwischen abgeschafft) kommt i.d.R. immer noch billiger als die falschen Medikamente. Das Mittel, das Ihrem Freund oder Ihrer Freundin gut tut, muss nämlich nicht auch gut für Sie sein.


2005-03-29 by Susanne Hagedorn, Wirtschaftswetter
Text: ©Susanne Hagedorn
Fotos: ©Birgid Hanke und Cornelia Schaible
Schlussredaktion: Ellen Heidböhmer
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