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Notizen aus den USA

22. Folge

Zensur? Aber gerne!

von Ines Kistenbruegger

Bild San Francisco „Meine lieben Freunde“, sagte ich neulich auf einer Party von Freunden und Familienmitgliedern. „Meine lieben Freunde, was haltet Ihr von Bushs Position zum Korea-Konflikt?“ Betretenes Schweigen. „Er wird schon das Richtige tun“, kam eine Antwort vorsichtig aus einer Ecke, und prompt wurde das Thema gewechselt. Das Wetter, immer wieder ein willkommenes Ablenkungsmanöver, eingeleitet von meinem Mann. Später sagte er mir dann leise ins Ohr, dass ich mit meinen Äußerungen in diesem Personenkreis vorsichtig sein müsse, denn schließlich wolle niemand Andersdenkende verletzen. Politik als Thema ist also tabu. Ebenso ist Sex ein Tabuthema. Religion? Das ist schon gar nicht politisch korrekt, wenn nicht sofort hinzugefügt wird, dass natürlich jeder so leben und glauben muss, wie er glücklich wird.

„Mmh“, dachte ich dann auf dem Weg nach Hause. „Wenn ich also meine Meinung nicht sagen darf, damit ich Andersdenkende nicht verletze, führt das nicht zu weit?“ Nun gut, um Konflikten aus dem Weg zu gehen, ist es sicherlich manchmal angebracht, seine eigene Weltanschauung nicht unbedingt auf den Präsentierteller zu legen. Gerade wenn Familie im Raum ist.

Ein paar Tage später hörte ich dann im Fernsehen, dass eine an Kinder gerichtete Sendung von der Regierung verboten wurde, da ein lesbisches Paar darin auftauchte. Nicht korrekt. Auch nicht im Rahmen der Aufklärung.
Seitdem nun auch Sponge Bob (dt: Schwammkopf) unterstellt wird, dass er schwul sei, nimmt der überwachende „Gaydar*“ absurde Formen an. Wohnten nicht schon Ernie und Bert in einem Haushalt und teilten ein Schlafzimmer? Was ist mit „Will und Grace“? Sollte dies Sendung nicht auch erst nach 22:00 Uhr gezeigt werden? Und was ist mit Scooby Doo? Nein, nicht schwul. Aber sind sein Zustand und sein Benehmen nicht einer illegalen, berauschenden Substanz zuzuschreiben? Was ist denn nun überhaupt noch kindgerecht?

Verlassen wir die Kinderwelt und begeben uns in die "Erwachsenenwelt" - falls ich diese Ebenen nun grundsätzlich noch trennen darf ...
Was ist mit dem Harvard Professor, der seine Zuhörer während einer Rede herauszufordern versuchte, indem er behauptete, Frauen seien in der Wissenschaft unter anderem hierarchisch nicht so weit gekommen wie Männer, weil sie seltener die Bereitschaft zeigten, die gleiche Stundenzahl zu arbeiten?
Oder was ist mit dem Professor vom Metropolitan State College in Denver, der seine Kollegen und sich zu schützen versucht, in dem er ein Gesetz durchsetzen will, das besagt "im Rahmen der Erziehung" dürfe auch Politisches kritisiert und erläutert werden? Muss die Redefreiheit tatsächlich gesetzlich erst im Detail geregelt werden? Toleranz ist wichtig. Sagt nicht schon die Bibel: „Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst“? Kaum einer (ich sage absichtlich nicht „Keiner“, um niemandem etwas zu unterstellen) wird tatsächlich abstreiten, dass Toleranz wichtig ist, um ein Zusammenleben in unserer Gesellschaft und auf dem globalen Spielfeld zu ermöglichen. Aber brauchen wir deshalb eine Zensur, die verhindert, dass wir unsere Mitspieler verletzen? Und selbst wenn diese Zensur notwendig ist, heißt das, dass Kritik untersagt ist?

Bild Chinatown Wenn Kritik eine Form des Verletzens ist, muss sie dann um jeden Preis vermieden werden? Wie wollen wir uns um unserer selbst willen verbessern, wenn keiner unser Tun und Sein herausfordert?
Nun ja. Vielleicht führt zu hohe Toleranz gar nicht zu Zensur? Vielleicht sind wir alle im Rahmen der politischen Korrektheit einfach viel zu sensibel geworden. In jede Richtung. Ich für meinen Teil wäre froh, wenn nicht so viele Männer in hohen Positionen über Frauen und deren Leistungsbereitschaft urteilten. Was mich wieder daran erinnert, dass Leistung tatsächlich definiert ist als Arbeit pro Zeit. Also weg mit dem endlosen Stundengekloppe am Arbeitsplatz und her mit produktiver Arbeitszeiteinteilung.

Um zurück zum Thema zu kommen. Wenn schon das deutsche Wort „Frieden“ im eigentlichen Sinne eher eingezäunt bedeutet, ist es sicherlich nicht so weit hergeholt zu denken, dass auch Freiheit viele Grenzen erfordert. Grenzen, die durch eine Zensur erreicht werden müssen. Das wäre dann der Widerspruch, den ich hier darzulegen versuche: Freiheit für alle, indem die Freiheit des Einzelnen eingeschränkt wird. Ein Konflikt, der uns alle wohl noch lange beschäftigen wird.

"gaydar" = gay + radar, Ausspähen von Homosexuellen


2005-03-27 copyright by Ines Kistenbrügger, Wirtschaftswetter
Text: ©Ines Kistenbrügger
Fotos: ©Sabine Neureiter
Schlussredaktion: Ellen Heidböhmer
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