24. Folge
von Ines Kistenbruegger
Als ich am letzten Wintertag aufwachte und aus dem Fenster blickte, sah ich zuerst gar nichts. Es war draußen nämlich entsetzlich grau, und es schneite. An sich keine ungewöhnliche Sache, wenn nicht der letzte Wintertag hier in Michigan der 25. April gewesen wäre. Es lagen tatsächlich bereits fünf Zentimeter Schnee und es sollten noch fünf weitere über den Tag verteilt fallen. Sehr zum Verdruss meines Mannes, der sich erdreistete nicht Schnee zu schippen, sondern auf das Tauwetter zu warten. Und tatsächlich: er hatte Recht. Am nächsten Tag schon, war die Schneepracht komplett weg. Einen weiteren Tag darauf konnte ich bereits draußen in kurzer Hose rumlaufen. Es war Sommer geworden. Sonnenbrandgefahr. Zu heiß. Ich musste die Klimaanlage anstellen.
Wenn der Winter im April andauert und der Sommer bereits Anfang Mai in dieses Land einzieht, dann hat der Frühling sein Nachsehen. Meistens bleiben ihm wenige Tage sein Werk zu vollbringen. Kontinental-Klima sagen die Wetterexperten wohl dazu. Ich sage TIM: this is Michigan. Was in Europa durch den Golfstrom langsam erwärmt wird, geschieht hier schlagartig. So meine ich dieses Jahr geradezu das Aufbrechen der Knospen und das Wachsen der Blätter gesehen zu haben. Abends bin ich noch mit Blick auf kahle Bäume ins Bett gegangen, morgens mit vollbelaubten Bäumen aufgestanden.
Bis auf den Ahorn-Baum in unserem Garten. Der ist letztes Jahr gestorben. Zwar riefen wir Anfang des Jahres noch einen Baumdoktor an. Doch dieser – in kühnster Tradition einiger Handwerker in dieser Gegend – erschien trotz Termin nicht. Jetzt brauchen wir keinen Baumdoktor mehr. Wir brauchen einen Holzfäller. David und ich sind deshalb sehr traurig. Es war ein schöner Baum mit vielen roten Blättern im Herbst. Nun entfällt zwar das Laubharken in ein paar Monaten und unser Esszimmer ist deutlich heller, aber es fehlt auch der Schatten im Sommer, und all unsere Blumen und diverse andere Pflanzen kennen nur einen Dauerdurstzustand. Bis auf die Maiglöckchen. Diese wachsen in unserem Garten wie Unkraut. Eine regelrechte Plage. Würden wir nicht mehrmals pro Woche all die kleinen Maiglöckchenpflänzchen oder wie sie hier auf Englisch heißen lilies of the valley aus dem Rasen und Gehweg ziehen, dann gäbe es kein Durchkommen mehr. Eine richtige Invasion.
Meine kleine Familie war zwei Wochen lang in Deutschland, um tatsächlich auch ein bisschen Frühling zu erleben. Nebenbei haben wir dann natürlich auch meine Eltern und ein paar Freunde besucht.
Das Norddeutsche Wetter machte seinem Ruf alle Ehre und war kalt und nass. Trotzdem habe ich das Wetter genossen. Eben genau, weil es das war, was es im Frühling sein sollte: unberechenbar, sprunghaft und beschwingt. Die Frühlingszeit erkennt man in Michigan nur daran, dass es häufiger regnet als im eigentlichen Kalendersommer. Daher wächst in unserem Garten alles besonders schnell. Wie in einem Treibhaus.
Nach den zwei Wochen wieder hier in Ferndale angekommen, brauchten wir eine Machete, um uns einen Weg zu unserer Tür zu schlagen. Maiglöckchen und Flieder waren natürlich schon verblüht. „Da sind die Maiglöckchen nur einmal im Jahr tatsächlich auch schön und wir verpassen das auch noch“, sagte David und seufzte, als er im Vorbeigehen drei oder sogar vier Pflänzchen zwischen den Ritzen unseres Gehweges herauszog. Unser Garten sieht aus als hätte er monatelang vor sich hinwuchern dürfen. Für den Rasen müssen wir uns einen besseren Rasenmäher leihen. Denn mein lieber Mann hatte vor zwei Jahren beschlossen, dass Rasenmäher ohne Motor das einzig Wahre seien und sich einen mannbetriebenen gekauft.
Zwar lachen die Nachbarn jedes Mal, wenn er diesen über den Rasen schiebt, aber bisher hat er auch gute Dienste geleistet. Wahrscheinlich lachen sie diesmal noch eine Spur lauter, wenn er sich einen motorbetriebenen leihen muss, um das Gras zu bändigen. Vielleicht sollte er seiner motorlosen Rasenideologie treu bleiben, doch sich lieber eine Sense kaufen oder ein Schaf mieten?
Da ich nun genug über Wetter und Gärten geplänkelt habe, ohne einen wesentlichen Punkt zu bringen oder einen tieferen Sinn aufzudecken, muss ich diesen Text nun beenden. Nur eins kann ich abschließend feststellen: Es ist erstaunlich, was man vermisst, wenn man weit von zu Hause weg wohnt. Ich vermisse den Frühling.
Detroit, 2005-06-03 copyright by Ines Kistenbrügger, Wirtschaftswetter
Fotos: ©Cornelia Schaible
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