Magazinbesprechung - GDI_IMPULS 1.05
ISSN 1422-0482
Herausgeber: Gottlieb Duttweiler Institut
Rezension von Angelika Petrich-Hornetz
Neben individuellen Folgen für die Betroffenen, bedeutet die demografische Entwicklung große Veränderungen für die Wirtschaft und die Gesellschaften in Europa und anderswo. Mit diesen Auswirkungen beschäftigt sich die jüngste Ausgabe des Magazins des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI). Das Heft gewährt auf 65 Seiten einen kompakten und dennoch ausführlichen Ausblick darauf, was uns erwartet. Es gibt wichtige Hinweise auf sich verändernde Märkte und verrät interessante Details, wie Unternehmen reagieren könn(t)en, welche Strategien sinnvoll sind, wie diese neuen Kundengruppen angesprochen werden möchten und was besondere Beachtung verdient.
Das unabhängige Forschungsinstitut wurde 1962 von Gottlieb Duttweiler in der Schweiz gegründet. GDI_IMPULS, das Magazin, das vom Institut neben seinen Studien regelmäßig herausgegeben wird, versteht es, im Sinne des Gründers, mit herausragenden Autoren und interessanten Gesprächspartnern den offensichtlichen Mainstream zu verlassen und doch immer im Trend zu bleiben und dann Spannendes daraus zu berichten. Den Untertitel: Für Entscheidungsträger in Wirtschaft und Gesellschaft kann man wörtlich nehmen, viele Texte sind zukunftsweisend zu nennen und nur hier zu finden. Jede Ausgabe hat einen Schwerpunkt und 2005 erschien sowohl eine Studie als auch eine Impuls-Ausgabe über die „Generation Gold“-
Schon das macht neugierig, denn diese Generation wird sonst in Ermangelung kluger Begrifflichkeiten ständig als „Silver-Irgendetwas“ bezeichnet – das kommt hier in den einzelnen Texten allerdings auch öfter vor – in Anspielung auf das ergrauende Haar, und wie wir alle wissen, ist Silber immer nur das Zweitbeste. Die passende Studie, die Karin Frick verantwortet und vor allem für Marketingverantwortliche interessant sein dürfte, präzisiert die Zielgruppe in die 40- bis 80-Jährigen. Das dürften nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland bald drei Viertel aller Einwohner sein, das heißt in aller Konsequenz: Es betrifft uns alle.
Eine Aufwertung zur „Generation Gold“ mag nur dahingehend bezweckt worden sein, als dass man diese Generation differenziert ernst nehmen sollte, zum Beispiel als Kunden, und so stehen diese neuen, älteren Kunden, die ehemaligen Baby-Boomer, schon allein aufgrund ihrer Masse im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und bevölkern eine komplette GDI_Ausgabe, in der Chefredakteur Stefan Kaiser im Editorial zum Umdenken über sie auffordert: „Der neue Unruhestand ... Think Grey!“
Doch nicht nur die „goldenen“ Kunden - eine so gut besetzte Generation wie diese wird es in den Industrienationen wohl erst einmal nicht mehr geben - werden analysiert. Es geht genauso um gesellschaftliche Veränderungen und deren Unterthemen, die alles andere als rein positiv, sondern durchaus kritisch beschrieben und durchleuchtet werden und die in kürzester Zeit für Wirtschaft und Politik gleichermaßen bedeutsam werden dürften. Sie sind in diesem Magazin versammelt. Das gibt einen guten Querschnitt.
Im Gespräch mit Paul Wallace – „Das Altersbeben“ , geht es in deutlichen Worten um unbezahlbar gewordene, staatliche Rentenversprechungen und langsamer steigende Lebensstandards. Die Pflege älterer Menschen ist teurer als die von Kindern, und sie wird öfter von der Gesellschaft getragen als von Familien. Etwas weniger schwarzmalend prognostiziert er die elastischer gewordene Jugend und „Rainbow Societies“. Letzendlich werden Probleme sich nur dort etablieren, wo man sie zulässt. Zum Beispiel werde auf den zukünftigen Arbeitsmärkten die Altersdiskriminierung abgemildert - trotz heiß begehrter Jungmitarbeiter. Antidiskriminierungsgesetze, die ein Ausgrenzen der Älteren per Gesetz ausschließen, hält Paul Wallace für „enorm wichtig.“
Peter Wippermann und Corinna Langwieser stellen in „Silver Sex“ fest, dass sich die neuen Alten jünger fühlen, als jemals zuvor. Sie haben sich aus dem starren Korsett der Altersabfolgen - Kindheit - Erwachsensein und Alter - längst gelöst und sorgen für die Nachfrage von morgen – für den Körper und für die Seele. Boomende Branchen sind nach ihrer Einschätzung auf dem Gesundheits- und Schönheitsmarkt zu finden, das „Selbstdesign“ wird immer wichtiger sowie die Erotisierung des Alltags.
Shoshana Zuboff macht in „Unterwegs in die Support-Ökonomie“ den Strukturwandel im Konsum und seinen Märkten aus - weg vom Massenkonsum und hin zu einer partnerschaftlichen und dezentralistischen Beziehung zwischen Verbraucher und verschiedenen, miteinander kooperierenden Anbietern – kurz: Supportnetzwerken. Das Credo: Seit Fords Massenproduktion haben sich die Kunden emanzipiert, der Anbieter wird zum Anwalt für Kundenbedürfnisse. Die Folgen davon sind Wohlstand und Wachstum.
Beat Bernet untersucht in „Die Demographie fordern die Finanzbranche heraus“ die neuen gut informierten Kunden und welche Veränderungen von ihnen ausgehen werden. Er stellt Umwälzungen im Hypothekenmarkt, sinkende Sparquoten, die Liquidierung von Wertpapieren durch die Seniorengeneration in Aussicht und das Abnehmen der Risikobereitschaft sieht er auch als Chance: für die Renaissance der Financial Services.
Simon Silvester und Edgar C. Britschgi beschreiben in „Achtung: Sie werden alt“ das zukünftige Dilemma des Marketings in Europa und raten zu rechtzeitigen und konsequenten Maßnahmen, wenn die notwendige Begeisterung für Innovationen schwindet und die Resistenz gegen Veränderungen gefährlich steigt. Zwar wird auch die Markenloyalität steigen, bestehende Marken werden es leichter haben, doch eine träge, große Gruppe der „zufriedenen“ Alten braucht unter anderen "Reformer" und "Succeeder", um in Bewegung zu bleiben.
Hanne Meyer-Hentschel und Gundolf Meyer-Hentschel informieren in „Marketing für reife Zielgruppen“ über die funktionalen Aspekte des Einkaufens, die für ältere, selbstbewusstere und anspruchvollere Kunden wichtiger sind als der Preis oder komplizierte Raffinessen. Benutzerfreundlichkeit innerhalb des „Universal Designs“ für alle Alterklassen wird gefragt sein – besondere Seniorenprodukte sind überflüssig, die Freundlichkeit und Glaubwürdigkeit des Personals wichtiger denn je.
Rebecca Swift zeichnet in „Der Beginn einer visuellen Revolution“ das veränderte Bild in der Werbung, in der keine weißhaarigen Großeltern mit Enkeln auf den Knien zu finden sind. Das neue Bild liefert authentische Menschen, zu denen sich ein Bezug herstellen lässt. Seele, Körper und Geist sind die Themen der über 50-Jährigen, von denen sich 86 Prozent von der Werbung noch nicht angesprochen fühlen. Die visuelle Kommunikation steht vor einem Kulturwandel, die Kreativen vor einer großen Herausforderung.
Hannelore Schlaffer macht in „Die Umorientierung des sozialen Denkens“ den gealterten Geschmack der Senioren, die gleich den Aristokraten vergangener Zeiten – solange sie nicht krank werden - ein glückliches Leben führen, als Vorbild für die Jugend aus. Die Alten orientieren sich nicht mehr an den Jungen, sondern die Jungen an den Alten, die Gärten und Museen besuchen, der Kultur, dem Sport, dem Reisen und damit einer neuen Mobilität frönen. Alles wird zum Freizeitangebot, das Arbeitsplätze für die Jungen schafft – im Dienst am Alter, und die Alten zu Kulturbewahrern avancieren lässt.
Peter Gross definiert in „Die Goldboomer“ den Prozess des in Würde Alterns. In den jetzt 50-Jährigen macht er die glücklichste und reichste Generation aus, Altersarmut gibt es (noch) nicht, doch man spart öffentlich, um bei den armen Jungen nicht aufzufallen und die nachfolgenden, die angeblichen Goldboomer werden es nicht mehr ganz so leicht haben. Das Kopieren oder Bewahren von Jugend ist dann auch gar nicht mehr so gefragt, noch weniger die Reduzierung ihrer Masse und Komplexität. Die Goldboomer werden nämlich nicht wahllos und wie verrückt konsumieren. Sie werden den geordneten Rückzug antreten, allerdings in gelassener Selbstverständlichkeit, das Alter auskostend.
David Hepworths „50-Pfund-Mann“ gibt etwa 50 Pfund für Unterhaltungssoftware, Musik und DVDs aus, so nebenbei, wenn er einkaufen geht. Das Bemerkenswerte daran: Er ist über vierzig – ein Phänomen, denn erst seit Kurzem kaufen über Vierzigjährige mehr Platten als Teenager. Das wird die Musikindustrie verändern, in Großbritannien wird der "50-Pfund-Mann" als deren Retter gehandelt – jedenfalls vorläufig, der 16-jährige Sohn dieses Mannes lädt seine Musik aus dem Internet herunter. Ansonsten ist aber längst nicht alles so klar, auch Papa hat einen iPod und lädt aus dem Netz, während die Generation von Sohnemann die Läden für Rockmusikinstrumente leer kauft – selbst machen ist wieder angesagt. Hepworth nennt das „gesellschaftliches Durcheinander.“ Und Paul McCartney ist auch schon 62.
Fazit: Geballte Informationen, kontroverse Diskussion, gute Zusammenfassung und interessante Details über eine Generation, von der zu viele noch nicht wissen, dass sie die Gesellschaften der Industrieländer einmal dermaßen auf den Kopf stellen wird, liefern ein durchaus rundes Bild der kommenden Umwälzungen. Der Leser kann aus dieser Ausgabe „Generation Gold“ seine Schlüsse ziehen - mehr als aus so manchen gut gemeinten, ellenlangen Ratschlägen, reißerischen Weltuntergangsszenarien oder sorglosen Schonfärbereien. Vielleicht werden einige Leser feststellen, dass sie ihre persönliche oder geschäftliche Strategie für die nahe Zukunft überdenken müssen.
2005-07-01 by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Fotos: ©Cornelia Schaible
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