von Astrid Wehling
Eines der Unworte, das uns in letzter Zeit verstärkt in Zeitschriften und Werbung begegnet, lautet: "Anti-Ageing". Anti-Ageing - Nicht-Altern - Gegen das Altern - unlogisch, wenn man es genau nimmt. Denn wir altern unwiderruflich. Minütlich, stündlich und täglich werden wir älter. Älter werden lässt sich nicht aufhalten. Es gibt keine Zaubertränke und Maschinen, die uns wieder jünger werden lassen.
Jeder möchte ein langes Leben, aber niemand möchte alt werden, lautet ein bekannter Spruch. Statt uns gegen das Älterwerden zu wehren, ist es sicher eher angebracht, einmal über Wege nachzudenken, wie man gelassener und besser älter werden kann.
Da gibt es einmal den Weg der Kosmetik- und der Pharmaindustrie: Lifting, Cremes, Pülverchen, Tinkturen, Injektionen. Ganz angesagt ist zur Zeit - und das nicht nur in Hollywood: Falten wegspritzen. Oder besser ausgedrückt: Die Gesichtsmuskeln lähmen, um Faltenbildung zu unterbinden. Wer braucht denn auch schon Lachfältchen?
Außerdem wird geschnippelt und gestrafft, was das Zeug hält oder besser: aushält. Es werden zum Beispiel Mittelchen angepriesen, die uns versprechen, Fett zu verbrennen, die Haare wieder wachsen zu lassen, dem Manne wieder Kraft zu geben – alles für die Konservierung der Jugend.
Es ist ein Markt, der Gewinne in Milliardenhöhe verspricht. Jeder will, wenn auch nicht unbedingt jünger, auf jeden Fall "noch" jung, fitt, schön und gesund bleiben, so lange es nur geht. Und eines ist klar – genug Kundschaft dürfte vorhanden sein - wir bewegen uns in einer Zeit, in der weltweit immer mehr Menschen über 60 Jahre alt sein werden. Gegenwärtig sind es 600 Millionen, im Jahr 2020 werden es etwa 1.2 Milliarden sein.
Also, greifen wir doch schnell und vor allem rechtzeitig zu Botox und Co, damit man uns das Alter nicht ansieht? Oder sollten wir uns vorher lieber noch einmal umgucken und nach anderen Ideen und Möglichkeiten suchen, wie die kommenden Jahre angenehmer zu nutzen sind?
Wie wäre es mit zum Beispiel mit Healthy Ageing anstatt “Anti-Ageing" zu Deutsch: Gesundes Älterwerden - statt “Wehret dem Alter”? In Australien, aber auch in anderen Ländern, macht sich so langsam das Healthy Ageing Movement stark, anfangs eine Art Graswurzelbewegung, die dem Verjüngungsdiktat zunehmend entgleitet und immer mehr Anhänger findet. Es ist ein neues Bewusstsein, dass sich dort breit macht - ein Umdenken und ein intensives Nachdenken über die Art und Weise, wie Menschen ihr zweite Lebenshälfte verbringen wollen.
Die Journalistin und Autorin Ruth Ostrow aus Byron Bay/Australien bietet zum Beispiel Motivationstraining und Lebenshilfe für Mind, Body and Soul (Geist, Körper und Seele) an. Sie ist eine eifrige Verfechterin der Theorie, die besagt: Wer sich selbst und andere respektiert, wer auf sich achtet und selbst in den schwersten Momenten dem Leben noch etwas Schönes abgewinnen kann, sei klar im Vorteil. Sie vertritt die Meinung, dass eine positive, gesunde Lebensweise, die richtige Ernährung, dass Bewegung, Lachen und - ja, Sie lesen richtig – guter Sex die besten Zutaten für ein erfüllendes Leben jenseits der 50 ist.
Ruth Ostrow dazu: “In unserer Gesellschaft gibt es noch zuwenig Verständnis für die tiefgehenden, positiven Auswirkungen, die eine Annahme (des Lebens), Meditation, Spiritualität und ein gesundes Selbstbewusstsein auf unser Immunsystem und unsere allgemeine Gesundheit haben” .
Zur Unterstützung ihrer These zitiert sie: “Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass die chemischen Vorgänge, die durch Freude, Sinnfindung, Sex und Liebe im Körper freigesetzt werden, uns frisch und lebendig, unsere Haut elastisch und unsere Organe und unser Körpersystem in Balance halten - so wie es schon immer in der östlichen Welt verstanden wurde.” Eine interessante Aussage - sollte es denn wirklich so einfach sein? Oder ist das auch wieder nur eine der vielen New-Age-Theorien, die sich lediglich sehr gut verkaufen lassen?
Ruth Ostrow wird in ihren Aussagen seit ein paar Jahren von zahlreichen Wissenschaftlern und Experten aus aller Welt unterstützt, die sich seit zwei Jahren regelmäßig in Australien zu einer Konferenz über gesundes Altern und lange Lebensdauer (International Conference on Healthy Ageing and Longevity) treffen, zuletzt im März 2005 in Brisbane.
Ins Leben gerufen und für zehn Jahre vorfinanziert wurde diese Konferenz von John und Noah Weller aus Melbourne. Vater und Sohn hatten die Vision von einer Gesellschaft, die den Altersprozess akzeptiert und ihn nicht verdrängt - eine Gesellschaft, die nach Gesundheit und Glück in späteren Jahren strebt und nicht alles Ersparte und alle Energie in einen Kampf um die ewige Jugend steckt.
Teilnehmer der interdisziplinären Veranstaltung waren Experten der Gesundheit, der Medizin, diversen Naturwissenschaften, Alternativ-Therapien, aus den Sozialwissenschaften und der Politik. Unabhängig von Sponsoren und Agenden werden Ideen, Theorien, Forschungsergebnisse sowie Visionen ausgetauscht und diskutiert:
Zum Beispiel: Wieso leben in manchen Ländern wie Japan und Sardinien so viele Hundertjährige? Liegt es an der kalorienarmen, fisch- und gemüsereichen Ernährung oder an einem gelassenen, eher stressfreien Leben der Einwohner? Was muss getan werden, um Krankheiten besser vorzubeugen? Wie motiviert man ältere Menschen zu mehr Bewegung, besserer Ernährung oder neuen Hobbys? Was gibt es für alternative Wohn- und Lebensformen? Was haben Hundertjährige weltweit gemeinsam? Was können wir voneinander lernen? Was sagen die UN und die WHO zu dem Thema Gesundheit im Alter? Welche neuesten medizinischen Erkenntnisse in den Bereichen Krebs, Herz-Kreislauferkrankungen und Demenz gibt es weltweit? Und ist es wirklich bewiesen, dass wer über das Renteneintrittsalter hinaus geistig und körperlich tätig ist, ein langes Leben führen kann?
Dieses Jahr sorgte vor allem die Theorie von Professor Marc Cohen von der Universität RMIT Melbourne für Aufsehen: Er behauptete, dass die Menge an Liebe, die ein Mensch erfahre und vor allem gebe, die Chance auf ein langes Leben erhöhe. Damit meint er nicht nur die Liebe zu anderen Menschen, sondern auch die Liebe und Hingabe an ein Hobby, an einen Beruf. Der sogenannte Flow, den wir erleben, wenn wir Zeit und Raum bei einer Tätigkeit vergessen, verbessere seiner Ansicht nach die Lebensqualität und verlängere tatsächlich die Lebenszeit.
Die Konferenz und das angeschlossene Forschungszentrum werden über die nächsten Jahre sicher viele neue oder auch inzwischen vergessene Ideen und Denkanstösse liefern. Der Austausch zwischen den unterschiedlichen Wissenschaften, zwischen Ost und West und zwischen klassischer und alternativer Medizin scheint in Zukunft wichtiger zu werden, um Fortschritte zu erreichen, davon sind die Veranstalter überzeugt.
Leider haben wir nicht alle die Möglichkeit, uns vor unser Häuschen auf Sardinien zu setzen, unser eigenes Gemüse anzubauen und ein stressfreies Leben zu führen. Es liegt auch nicht immer vollständig in unserer Hand, wie gesund wir tatsächlich bleiben. Aber es ist den meisten von uns möglich, zumindest mehr für uns zu tun, uns aktiv am Leben zu beteiligen, Körper und Geist zu pflegen, um ein langes, möglichst gesundes und vor allem ein zufriedenes Leben zu führen. Manche müssen sich nur erst trauen, den Versuch zu wagen.
Quellen: Ruth Ostrow, Zitat: “We can grow older with grace and genuine wellbeing”,
ruthostrow.com
2005-06-30 by Astrid Wehling, Wirtschaftswetter
Text: © Astrid Wehling
Fotos: ©Sabine Neureiter
Infos zu Datenschutz + Cookies
zurück zu: Lifestyle
2003-2022 wirtschaftswetter.de
© Online-Zeitschrift Wirtschaftswetter