von Angelika Petrich-Hornetz
Das Damokles-Schwerter leerer Rentenkassen schwingt über den Köpfen der Bundesbürger. Sollte man das Lebensarbeitsalter von zur Zeit 65 auf 67 Jahre heraufzusetzen? Die Kritiker fragen: Welcher Arbeitgeber stellt überhaupt noch ältere Arbeitnehmer ein? Man wäre ja schon froh, wenn das Eintrittsalter in den Ruhestand tatsächlich einmal 65 Jahre betragen würde.
Zwischen allen Positionen gibt es noch eine andere Realität, und die leben Menschen, die mit 65 nicht in den Ruhe- sondern in den Unruhestand treten. Manche arbeiten einfach weiter wie bisher, manche kehren in anderer Form oder mit anderen Arbeitszeiten in das gleiche Unternehmen zurück. Manche wechseln radikal das Unternehmen, die Organisation, die Tätigkeit oder die Branche. Manche bauen ein eigenes Unternehmen auf oder erfüllen sich einen andern lang gehegten Traum. Manche engagieren sich sozial, manche finden erst jetzt ihre eigentliche Berufung.
Eins haben sie alle gemeinsam: Für sie zählt keine "Altersgrenze". Nicht wenige verschwenden noch nicht einmal einen Gedanken daran. Es gibt es keinen "Lebensabend" - es bleibt hellichter Tag, an dem die Unruheständler auffällig aktiv sind, sehr viel unternehmen und einiges bewegen. Manchmal legen sie ein Päuschen ein, doch es bleibt unruhig. Außerdem, immer öfter wird von Menschen ab 65 schon heute sehr viel erwartet, nicht selten sogar verlangt und oft gewünscht. Wir möchten Ihnen ein paar dieser Menschen kurz vorstellen:
Das ist eine Schlagzeile wert: Fast jedes Blatt griff sie Ende Juli auf. Jane Fonda, Schauspielerin und zweimalige Oscargewinnerin, die als Friedensaktivistin schon gegen den Vietnamkrieg protestierte, ist wieder da. Zwischenzeitlich hatte sie sich in Fitnessvideos und diverse Ehen zurückgezogen. Doch auch die Ehe mit Medienmogul Ted Turner überstand sie (relativ) unbeschadet. Strahlend schön wie immer lieferte sie nun selbst den Medien Futter, die vor Selbstmordattentaten und Kriegegemetzel gar nicht mehr wissen, über welche Blutbäder sie zuerst berichten sollen, eine kleine Sensation: Friedensaktionen - die 67-jährige Fonda will nach dreißig Jahren Schweigen über das Thema Krieg (sie war wegen mancher ihrer Aktionen gegen den Vietnameinsatz scharf angegriffen worden) , Protestaktionen gegen den Irak-Krieg veranstalten. Sie sei von Kriegsveteranen gebeten worden, lautete die schlichte Auskunft, die sie der Öffentlichkeit mitteilen ließ. Einzelheiten gäbe es später. Die Redaktionen spitzen die Stifte.
Nebenbei kam 2005 auch Fondas neuer Film "das Schwiegermonster" heraus. Der wurde von der Kritik zwar nicht allzu hoch gelobt, doch von einem amüsierten Publikum gern gesehen. Das wenige Lob der Insider mag vielleicht daran liegen, dass diese in einer seichten Komödie eher wenig zu suchen hatten, aber sie wollten ja unbedingt die Fonda sehen, denn die ist nicht irgendwer. Und mal ehrlich, so bedeutungsschwer war Barbarella auch nicht, aber wir fanden es trotzdem lustig. Altersgemäß ist hingegen ihre Autobiographie, und die soll tief blicken lassen in ein Leben, dass nicht einfach war, auch Prominente müssen arbeiten und kämpfen. Fazit: Jane Fonda lässt sich auch mit 67 nicht in den Ruhestand schicken.
Herr Meier*, 1934 geboren, engagierter Realschullehrer und ein paar Jahrzehnte an derselben Schule tätig, feierte 2005 mit kaltem Buffet und Blumen im Rathaus sowie Präsenten von Schülern und Eltern seinen Abschied in den wohlverdienten Ruhestand. Und was macht er? Er wird nach den Ferien zurückkehren und am Nachmittag Schülergruppen unterrichten, die ein bisschen Förderung vertragen. Herr Meier geht also nur in den Teilzeit-Ruhestand - ein Modell, das im wahrsten Sinne des Wortes sicher Schule machen wird, wenn eines Tages die Lehrerschwemme zur Lehrerdürre wird.
Peter Herbolzheimer, Jazz-Musiker, Arrangeur und Bandleader, geboren 1935, tourt derzeit wieder mit der Jugend, nämlich dem Bundejugendjazzorchester (BuJazzO) durch Deutschland und präsentiert sich als wahrer Vater des deutschen Bigband-Sound - diesmal brasilianisch beschwingt. Jedes Jahr nimmt das BuJazzo neue Schüler auf, das heißt für Herbolzheimer, immer wieder eine komplett neue Bigband dazu zu bewegen, einen astreinen Sound abzuliefern. Was für die Jungs und Mädels ein sehr gutes Training ist, vielleicht auch der Sprung zu einer großen Karriere, setzt Herbolzheimer unter (positiven) Stress. Vielleicht hindert genau der ihn am Altern. Doch für Jazz-Musiker gibt es sowieso keine Altersfrage, und diese Kombination zwischen Jugend und dem angeblichen Ruhestand ist nicht nur erwähnenswert, sondern auch noch besonders hörenswert.
Peter Herbolzheimer verstarb am 27. März 2010 in Köln, Anm.d.Red.
Loretta Lynn - Countrymusikerin, geboren 1935. The Coal Miner's Daughter ist gut im Geschäft und die Presse fotografiert "Lovely Loretta" nur zu gern in ihren bonbonfarbenen Bühnenoutfits. Das Mitglied der Country Music Hall of Fame füllt nach wie vor ganze Konzerthallen, tritt in unzähligen Shows auf, räumt Grammys und andere Preise ab, im März 2005 erst den Johnny Cash Visionary Award. The Country Gal wurde in ihrer 45-jährigen Karriere der Musik nur einmal untreu. Sie setzte sieben Jahre lang aus und kümmerte sich um ihren kranken Ehemann, Oliver "Doolittle" Lynn, der 1995 verstarb. Seitdem drehte sie erst vorsichtig und jetzt wieder mächtig auf. Das Album "Van Lear Rose" war eines erfolgreichsten im letzten Jahr in den USA, bis Ende des Jahrs ist sie noch auf Tournee.
Rüdiger Nehberg, Abenteurer, Survival-Trainer und Menschrechtler, ebenfalls
1935 geboren, leitete letztes Jahr Wüstenkonferenzen, im Jahr davor absolvierte er einmal wieder einen Urwaldmarsch, im Frühjar 2005 die Karawane der Hoffnung. Nach 20 Büchern, zig Filmen und seiner kürzlich erschienen Memoiren drohte er augenzwinkernd eine zweite Ausgabe für 2015 an. 2002 erhielt er für sein Engagement in Sachen Völkerverständigung das Bundesverdienstkreuz am Bande und gründete 2000 seine Menschrechtsgruppe "Target", die sich unter anderem gegen Genitalverstümmelungen einsetzt. Er lebt in Rausdorf, Schleswig-Holstein - wenn er mal zu Hause ist und wird aktuell am Sonntag, 31.07 im ZDF Dokukanal in zwei Dokumentationen zu sehen sein:
Sonntag, 31. Juli 2005, 14.00 und 22.00 Uh, zwei Filme über Deutschlands berühmtester Abenteurer.
Rüdiger Nehberg verstarb am 1. April 2020 in Schleswig-Holstein. Anm.d.Red.
Der Dalai Lama
Der Dalai Lama, geboren 1935, flüchtete 1959 nach der chinesischen Okkupations Tibets ins indische Exil und setzt sich weiter für die Unabhängigkeit Tibets ein, das von China als separatistisch angesehen wird. Im Jahr 1989 erhielt der 14. Dalai Lama den Friedensnobelpreis. Am 27. Juli wurde er mit dem Hessischen Friedenspreis ausgezeichnet.
2020 hat der Dalai Lama ein Musikalbum herausgebracht. Anm.d.Red.
Sehr viele angebliche Ruheständler hüten regelmäßig die Enkelgeneration ein, und sorgen dafür, dass die im europäischen Vergleich mangelhafte Kinderbetreuung in Deutschland nicht noch mehr aus dem Gleichgewicht gerät und die Eltern dieser Kinder arbeiten können. Das ist eine große und nicht immer leichte Aufgabe, vor allem dann, wenn man schon selbst Kinder großgezogen und ein ganzes Arbeitsleben hinter sich hat, um sich dann als Vollzeit-Großmutter oder -vater außerplanmäßig im Unruhestand wiederzufinden - mit regelmäßigen Arbeitszeiten oder im reinsten Schichtbetrieb.
Im schreibenden Unruhestand befindet sich die Filmkritikerin, Schrifststellerin und Journalistin Renate Holland-Moritz, 1935 geboren, die seit 1956 für den Eulenspiegel textet, und schon zu DDR-Zeiten Kultstatus genoss. Besonders ihre Fimkritiken, die weltweit zu den besten zählen, unter dem Titel "Kino-Eule" veröffentlicht, sind so bissig wie bodenständig und hintersinnig, dass die DDR-Führung die "zweite" Kritik darin wohl nicht immer rechtzeitig entkannte. 2005 ist ein neue Ausgabe der "Eule im Kino" als Buch erschienen.
Renate Holland-Moritz verstarb am 14. Juni 2017. Anm. d. Red.
Dr, Fritz Baumbach, Patentanwalt und internationaler Schachweltmeister von 1988 bis 1990 ist der Beweis. Er brachte darüber hinaus mehrere Schachbücher heraus und leitet als Präsident den Deutschen Fernschachbund, merke: Auch das erfahrene Hirn liebt das Königsspiel.
Dieter Hallervorden, Saritirker und Komiker, 1935 geboren. Neben einer erfolgreichen Fernsehkarriere gründete Hallervorden schon frühzeitig das Kabarett die Wühlmäuse, die es inzwischen seit sagenhaften 45 Jahren durchgehend gibt, und das ohne alle Subventionen (ein in Deutschland seltenes Phänomen). Im Südwestfunk kam in den Siebzigern der Durchbruch mit einer Flasche Pommfrittes oder auch: "Palim-Palim". Die Single "Die Wanne ist voll" im Duett mit der Helga Feddersen war ein großer Überraschungserfolg. Seitdem ging es immer rund bei Didi, anstrengend wars auch. allervordens Biographie kommt im September 2005 heraus. Ruhestand? Hahahaha! Zu seinem 70. Geburtstag am 5. September 2005 ist ein Duett mit Nina Hagen geplant, so wird gemunkelt - die ARD sendet die Geburtstagsgala um 20:15 Uhr . Neben Dieter Hallervorden persönlich treten in dem erfolgreichen Theater so bekannte Kabarettisten wie Georg Schramm, Hans Werner Olm, Dieter Nuhr und Matthias Richling auf. Wenn es Hallervorden in Berlin zu bunt wird, ruht er sich in Frankreich aus, bis die Bühne wieder ruft. Immerhin hat er sich also einen Ruhesitz angeschafftt, für die kleinen Päuschen.
Keiko Abe, japanische Komponistin und die beste Marimbaspielerin der Welt, 1937 geboren. Sie brachte die Marimba nach Japan, wo sie einem breiten Publikum durch ihre Fernsehensendungen bekannt wurde, in denen sie Schulkindern Xylophon-Unterricht gab. In Zusammenarbeit mit der Yamaha Corporation entwickelte sie die Marimba weiter, lehrt an der Toho Gakuen School of Music in Tokio und gibt auf allen Kontinenten Meisterklassen. Sie veröffentlichte 20 Platten und ist mehrfach ausgezeichnet worden. Keiko Abe ist es zu verdanken, dass die Marimba als vollwertiges Konzertinstrument anerkannt ist. Als Lehrmeisterin beeinflusst sie Musiker und Komponisten weltweit. Wer sie live erleben möchte, hat dazu die Gelegenheit am 20. August 2005, in Kiel auf der HDW-Werft. Mit der NDR-Radiophilharmonie unter der Leitung von Eiji Que werden Auszüge aus Debussys "La Mer", Puccinis "Madame Butterfly" und Keiko Abes "Prism Rhapsody for Marimbaphon and Orchester" geboten.
Sir Norman Foster, ebenso Jahrgang 1935 britischer Architekt, Chairman von Foster and Partners Einer der vielbeschäftigsten Architekten der Gegenwart. Unter vielen anderen Projekten hat er in Deutschland den Commerzbank-Tower in Frankfurt am Main gebaut sowie die Kuppel des Reichstags und ist momentan mit dem Dresdner Hauptbahnhof beschäftigt. Der Ruhestand wird wohl das letzte sein, an das Sir Foster einen Gedanken verschwendet.
Paul Newman - über den 1925 geborenen amerikanischen Schauspieler müssen wir hier nichts mehr sagen, der steht für sich. Und weil er so gern kocht, und Saucen liebt, vermarketete er sie irgendwann als "Newman's Own" - und wie alles, was er anpackt: erfolgreich. Die Erlöse aus den Einnahmen fließen in soziale Projekte, über 150.000 Millionen Dollar sind es seit Anfang der achtziger Jahre inzwischen geworden. Daneben leistet sich Newmann noch etwas Sportliches als Ausgleich, er gründete mit einem Partner ein Indy-Car-Team. Robert Redford überlegte im Juni 2005 öffentlich, ob er nicht noch einmal mit Newman einen Film drehen sollte, doch er wisse nicht, so scherzte Redford, ob Newmann seinen Text noch behalten könne. Mit dem Altersruhesitz wird es jedenfalls bis auf weiteres nichts.
Paul Newman verstarb am 26. September 2008 in Westport. Anm.d.Red.
Anna Biro, ganz und gar unprominente ungarische Self-Made-Woman, hatte kein wirkliches Ruhebedürfnis, als sie - nach 45 Berufsjahren - mit 60 pensioniert wurde. In den darauf folgenden 21 Jahren arbeitete sie nahtlos weiter als Chefredakteurin der Mitarbeiter-Zeitung eines internationalen Hotelkonzerns. Die Beine sind heute, mit 81 Jahren, nicht mehr so flott, wie die Schreibe - darum hat sie den Job Anfang 2005 aufgegeben. Aber ganz ruhig ist sie auch jetzt noch nicht geworden: Lektoratsarbeiten für den Verlag "Kairos" sind die nächste Station, und so weit die Augen und der Kopf mitmachen, ist kein Ende abzusehen. Ein Detail nicht ganz am Rande, weil es zum Thema passt: Der Eigentümer und Leiter des Verlags, György Bedö, ist heute über 70 Jahre alt. Den Verlag hat er erst nach der Pensionierung gegründet.
Jacques Chirac, 1932 geboren, Präsident von Frankreich, ehemaliger Mitarbeiter von George Pompidou und Giscard d'Estaing. Von 1974 bis 76 war er Premierminister, dann bis 95 Bürgermeister von Paris. 1995 wurde er zum ersten Mal Präsident, und 2002 wiedergewählt - unterstützt wurde der konservative Politiker auch von linken Gruppen, sein Gegenkandidat war 2002 der rechtsextreme Le Pen. Dass Chirac für Überraschungen gut ist, zeigte wie er 2004 die Öffentlichkeit mobilisierte, als zwei französische Journalisten im Irak entführt worden waren. Die breite Ablehnung der Tat wurde gekrönt durch die französischen Muslime, die sich in Frankreich massenhaft solidarisch erklärten sowie durch musslimische Abordnungen, die in den Irak reisten und sich aktiv für die Freilassung der beiden Journalisten einsetzten. Als enttäuschter Verlierer musste Chirac indes das Ergebnis des französischen Referendums zur EU-Verfassung hinnehmen, das mit einem deutlichen "Non" endete.
Jacques Chirac verstarb am 26. September 2019 in Paris. Anm.d.Red.
Neben der Kunst scheint auch die Politik geradezu prädestiniert zu sein, dass man ihr noch im Alter frönen kann. Allerdings, so alt, wie viele annehmen, ist der Bundestag gar nicht. Lediglich zwei Abgeordnete sind zwischen 1932 und 1935 geboren, 28 weitere zwischen 1936 und 1940 und damit sind insgesamt nur 30 der 601 Mitglieder des Bundestages älter als oder genau 65 Jahre - übrigens genausoviele Abgeordnete sind unter und bis 30 Jahre alt. Das Gros der Bundestagsmitglieder folgt erst ab Jahrgang 1941, wobei die 59- bis 55-Jährigen mit 146 Abgeordneten eine Mehrheit bilden, dicht gefolgt von den 54- bis 50-Jährigen mit insgesamt 120 Abgeordneten. In der Altershitparade des Bundestages ist der älteste Abgeordnete Bundesinnenminister Otto Schily (SPD), 1932 geboren. Es folgen Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU), Jahrgang 1935, Inge Wettig-Danielmeier (SPD) im Jahr 1936 geboren, dann Hans-Ulrich Klose (SPD), der wie Walter Link (CDU/CSU) 1937 das Licht der Welt erblickte. Im Jahr 1938 wurden die Bundestagsabgeordneten Dr. Wolfgang Bötsch (CDU/CSU), Werner Lensing (CDU/CSU) und Hans Georg Wagner (SPD) geboren. Der Jahrgang 1939 wird von Norbert Gneis (CDU/CSU) und Dr. Wolf Bauer (CDU/CSU) im Bundestag vertreten. Und die Jüngste? Das ist Anna Lührmann, geboren 1983 und für Bündnis90/dieGrünen im Bundestag. Sie wird frühestens im Jahr 2048 eine Mrs Unruhestand des Bundestages werden.
2005-07-27 (Update 2020-08-02) by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Fotos, Banner: ©Cornelia Schaible, Angelika Petrich-Hornetz
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