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Sabbatjahr am Südzipfel Indiens

Eine deutsche Finanzmanagerin aus Detroit geht ins Tsunami-Gebiet

von Cornelia Schaible

Das Haus ist vermietet, das Auto verkauft, die sperrigsten Möbel sind auch weg. „Und meine persönlichen Sachen lagere ich ein“, sagt Peggy Wolff. Die deutsche Finanzmanagerin aus Detroit nimmt eine Auszeit und geht für ein Jahr nach Indien, ins Tsunami-Gebiet.

Sie hat dieses freundlich-bestimmte Auftreten, das keinen Zweifel daran lässt, was sie will. Nicht nur im Job. Ihre Bekannten dachten jedenfalls immer: So sieht die typische Karrierefrau aus. Vielleicht glaubte sie das sogar selbst – bis vor ein paar Monaten wenigstens. Peggy Wolff, 38, war neun Jahre bei DaimlerChrysler beschäftigt, die letzten drei Jahre im Finanzdienstleistungsbereich des Unternehmens. Seit 2000 lebt Wolff, die ursprünglich aus Weinstadt-Beutelsbach stammt, in Detroit; wer für einen Weltkonzern arbeitet, muss mobil sein. „Mir hat die Arbeit hier riesig Spaß gemacht“, sagt sie. Trotzdem gab die Finanzmanagerin zum 1. Juli ihre Stelle auf, nahm ein Jahr unbezahlten Sonderurlaub: Im September geht Peggy Wolff für ein Jahr nach Indien, um beim Wiederaufbau in den Tsunami-Gebieten zu helfen. Ein Widerspruch?

Nein, sagt Wolff. „Ich brauche Herausforderungen, Aufgaben, die mich packen.“ Das Arbeiten in den USA sei auf vielen Ebenen völlig anders: „Wer nicht veränderungsfähig und -willig ist, kommt nicht weit.“ Insofern fügt sich ihr Sabbatjahr, wie so etwas im US-Sprachgebrauch heißt, perfekt ins Bild; es ist nicht einfach nur eine berufliche Auszeit. Die Wahl-Detroiterin will Neuland erkunden. Buchstäblich. Als freiwillige Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Isha Foundation, die ihren Hauptsitz in der südindischen Stadt Coimbatore hat. Und dann? „Ich denke, das wird sich alles ergeben“, sagt Peggy Wolff und lächelt. Sehr entspannt.

Dieses entspannte Lächeln passt nun allerdings gar nicht zum Klischee einer gestressten Managerin. Auch Peggy Wolff wirkte früher nicht immer so ausgeglichen – das ist erst so, seit sie Yoga praktiziert. Genauer gesagt, seit sie einen Kurs in Isha-Yoga belegt hat. Bei derselben Organisation, für die sie nun nach Indien geht. „Isha hat zwei Zweige“, erklärt sie: Im Isha-Zentrum in Coimbatore werden Workshops für Yoga und Meditation angeboten; die Non-Profit-Organisation leistet aber auch klassische Entwicklungshilfe in ländlichen Gebieten Indiens.

Auf der persönlichen Ebene sollen Yoga-Atemübungen und Meditation zur inneren Ausgeglichenheit verhelfen, darüber hinaus möchte Isha menschliches Leiden ganz allgemein lindern – diesen Anspruch vertritt jedenfalls Gründer Sadhguru Jaggi Vasudev, in Yoga-Kreisen kurz „Sadhguru“ (wörtlich: wahrer Lehrer) genannt. Mit einem Projekt für lebenslänglich Inhaftierte in Coimbatore, das zum Bundesstaat Tamil Nadu gehört, hatte im Jahr 1992 das soziale Engagement von Isha Foundation angefangen: „Innere Freiheit für die Gefangenen“ nennt sich das Programm, das inzwischen auch in einigen US-Gefängnissen angeboten wird. Die nächste Stufe war ein Projekt namens „Rural Rejuvenation“, eine Art Aufbauhilfe für den strukturschwachen ländlichen Raum.

Laut Isha leben in Indien rund 70 Prozent der Bevölkerung auf dem Lande, wobei sich die dörfliche Tradition einer zunehmenden Bedrohung durch Verstädterung, Globalisierung und westliche Einflüsse ausgesetzt sehe. Die Organisation möchte nun die ursprüngliche, jahrtausendealte Kultur in den ländlichen Gebieten Indiens wiederbeleben und damit „die Wurzeln des Landes stärken“. Seit nunmehr 13 Jahren betreibt Isha Programme zur Revitalisierung der ländlichen Gebiete im Bundesstaat Tamil Nadu, die das Umweltbewusstsein fördern und die dörfliche Gemeinschaft stärken sowie auf längere Sicht zur Selbsthilfe befähigen sollen.

Zunächst einmal steht aber die Verbesserung der medizinischen Versorgung im Vordergrund. Mit Lastwagen, die zu Ambulanzen ausgebaut wurden, können auch die hintersten Winkel des Landes erreicht werden. Eine lebensrettende Rolle spielten diese fahrenden Kliniken bei der lokalen Tsunami-Hilfe: Die Medizin-Trucks wurden am 26. Dezember 2004 umgehend in die Katastrophengebiete an der südindischen Ostküste geschickt.

Eine dieser Kliniken auf Rädern hatte Peggy Wolff gesponsert. Und sie war sehr gerührt, als sie hörte, dass ihr Name auf „ihrem Truck“ steht. Was sie zu dieser Spende bewog? Sie habe das Bedürfnis gehabt, sich mehr sozial zu engagieren, sagt Wolff. Und dabei blieb es nicht: Im März flog sie nach Indien, verbrachte ein paar Tage im Yoga-Center – und fuhr anschließend mit dem Bus von der Westküste ins Tsunami-Gebiet. „Ich wollte sehen, wo mein Geld hingeht“, erklärt sie schlicht.

Außerdem hatte sie vor, die Freiwilligenarbeit der Isha Foundation einmal ganz praktisch zu unterstützen. Was gar nicht so einfach war. „In den Dörfern direkt kann ich nur begrenzt helfen – ich beherrsche ja die Sprache nicht.“ Dafür könne sie Anträge schreiben und Computerarbeit erledigen. Zunächst wollte sich Wolff aber selbst ein Bild vom Zustand in den zerstörten Küstendörfern machen. Und trotz Schwierigkeiten bei der verbalen Verständigung bekam sie viel mit. „Es ist nicht vorbei“, so ihr Fazit. „In den Medien ist das Thema tot – aber es wird noch viel Hilfe gebraucht.“

In Nagapattinam etwa habe es immer noch ausgesehen „wie nach einem Bombenangriff“. Überrascht war Wolff über das offenkundig sehr unterschiedliche Tempo, mit dem die einzelnen Hilfsaktionen vorankommen: „Es gibt deutliche Unterschiede darin, wie und wo unterstützt wird.“ Manche Hilfsorganisationen hätten Mühe, die Zustimmung von Behörden für weitere Projekte zu bekommen. Die Isha Foundation täte sich da als lokale Einrichtung viel leichter.

In Cuddalore etwa, wo Isha zum Einsatz kam, sehe es schon ganz passabel und aufgeräumt aus. Die idyllischen Sandstrände lassen jedoch oft nicht ahnen, dass hier einmal Shrimp-Farmen standen, die von der Flut weggerissen wurden. Genauso wie die Boote für den Fischfang. „Die ganze Einkommensgrundlage ist zerstört worden“, sagt Wolff. Inzwischen besitzen die Fischerfamilien zwar neue Boote und Netze. „Sie hatten aber zunächst Angst, rauszufahren.“ Das habe sich erst geändert, als Isha-Helfer in einer Art Zeremonie zum Neuanfang mit zur See fuhren.

Viele hätten nun auch wieder ein Dach über dem Kopf. Schon im Frühjahr hatte Isha damit angefangen, in den zerstörten Küstendörfern halbzylindrische Unterkünfte zubauen. Die halten auch dem Monsunregen stand und sind im Sommer schön kühl – im Gegensatz zu den Wellblechhütten, welche die Regierung errichten ließ. „Die Leute von Isha leisten direkt und unbürokratisch Hilfe“, ist Wolff jetzt überzeugt.

Und dieses Engagement hat sie so beeindruckt, dass sie nun ihren ganz persönlichen Beitrag dazu leisten möchte – über eine Spende hinaus. „Ich möchte etwas von mir geben“, sagt sie. Ihr Plan, nach Indien zu gehen, reifte im Stillen. Ihr Arbeitgeber, ihre Familie und ihre Freunde erfuhren erst davon, als Peggy Wolff bereits damit begonnen hatte, in Detroit ihre Zelte abzubrechen. „Aber nur vorübergehend“, wie sie betont.
Sie habe schon immer davon geträumt, einmal ein Sabbatjahr einzulegen. Allerdings, so gesteht sie, dachte sie dabei usprünglich eher an eine Weltumsegelung oder an eine Motorradtour durch Afrika – „Indien stand jedenfalls nicht auf der Liste“. Die Auszeit soll indessen nicht nur dem humanitären Einsatz dienen: „Ich möchte auch meine Yoga-Übungen intensivieren“, sagt Peggy Wolff. Um anschließend erfrischt ins Berufsleben zurückzukehren.


2005-08-26 von Cornelia Schaible, Wirtschaftswetter
Text: © Cornelia Schaible
Fotos: © Peggy Wolff
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