Wie haben Studenten es vor 10 Jahren geschafft, eine Studienarbeit zu schreiben? Das frage ich mich immer wieder, wenn ich alle Informationen und Artikel, die ich für meine Aufsätze brauche, aus dem Internet beziehe. Und doch - so wage erinnere ich mich an mein erstes Leben als Studentin im Jahre 1995. Ich habe ganze Tage in der Universitätsbibliothek verbracht, Bücher entliehen, Zeitungsartikel gesammelt, um meinen Werken eine notwendige Substanz und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Bei meiner Diplomarbeit habe ich mit Hilfe des Bücherei-Suchcomputers der Universität zu Kapstadt für meine Literaturrecherche inklusive des schriftlichen Aufarbeitens nur zwei Monate gebraucht.
Zwei Monate, das klingt inzwischen nahezu lächerlich lang. In meinem neuen Studium habe ich nicht einmal die Bücherei betreten müssen. Eigentlich doch, das erste Mal fand dort eine Versammlung aller internationalen Studenten statt, an der ich teilnehmen musste. Das zweite Mal hatte ich mich dort mit ein paar Mitstudenten zum Lernen verabredet. Ein Buch aufgeschlagen habe ich dort nicht. Mmh, eigentlich auch gelogen, ich habe eins aufgeschlagen, während der Versammlung, aber nur weil mir langweilig war.
Nun mag jemand behaupten, dass ein Ingenieursstudium nicht mit einem Wirtschaftsstudium vergleichbar sei und eine profundere Artikelsuche erfordere. Zudem befände sich die Fachliteratur für Wirtschaftswissenschaftler mehr im Bereich des öffentlichen Interesses. Jeder könne seine Business Week, Newsweek, Frankfurter Allgemeine oder auch das Wall Street Journal an nahezu jedem Zeitschriftenkiosk kaufen und ebenso die Artikel zu geringen Kosten im Internet herunterladen. Wer hat an einem Kiosk schon Zeitungen zum Thema Wärmetauscher gefunden? Ja genau, der Titel meiner Diplomarbeit lautete: "Optimisation of Heat Exchanger Networks" – Optimierung von Wärmeaustauschersystemen. Weniger kryptisch klingen die Titel meiner letzten Studienarbeiten: "Warum Kinder und Karriere sich gegenseitig ausschließen". "Sollten Aktiengesellschaften Dividenden zahlen – ja oder nein?" "Wie die Leistungsfähigkeit eines Produktionsbetriebes durch Motivation der Mitarbeiter gesteigert werden kann." Zumindest hat zu letzteren Themen jeder eine Meinung oder auch nur eine Ahnung, worum es geht. Bei meiner Diplomarbeit hatte mein Bruder indes noch den Kopf geschüttelt und gesagt, dass er zwar die Worte verstanden hatte, aber irgendwie keinen Sinn in die Sätze bekäme. Und das sagte ausgerechnet er, der sein Abitur mit einer Note unterhalb von 1,5 abgeschlossen hat.
Das Internet hat also eine hohe Präsenz in meinem Leben. Es ist mein Arbeitsmittel, meine Verbindung zur Außenwelt, mein Kommunikationswerkzeug. Ich gehe sogar schon fast so weit zu sagen, dass diese virtuelle Welt einen gleichbedeutenden Status hat wie die Realität in der ich mich eigentlich, weil physisch, bewege. Wenn ich mir überlege, wie die Menschen noch vor einigen Jahrzehnten ausgewandert sind, und den Kontakt mit der Familie zu Hause nahezu abgebrochen haben, ist dies für mich heutzutage unvorstellbar und zum Glück auch nicht nötig. Briefeschreiben und Postwege, selbst hoffnungslos hohe Telefonkosten haben damals nicht unbedingt den Anreiz gegeben, einen alltäglichen Kontakt zu pflegen. Ich selbst kann mit meiner Mutter mehrmals pro Woche telefonieren, ohne arm zu werden. Meine Mutter lässt ohnehin bei jedem Telefonat fallen, dass es Dank der geeigneten Vorwahl tatsächlich günstiger sei, mich anzurufen, als meinen Bruder. Der lebt in Ludwigshafen.
Dabei müssen sich diese Daseinsformen noch nicht einmal gleichen. Ich kann im Internet eine neue Person „Ich“ definieren. Ein Leben, zwei Daseinsformen. Jeder hat sicherlich schon einmal, seinen eigenen Namen in die Suchmaschinen eingegeben. Ich mache das gerne. Suche nach Namen, die ich kenne. Fast jeder meiner Bekannten ist in der einen oder anderen Form irgendwo im Internet zu finden. Und sei es nur als Telefoneintrag oder in einem Adressverzeichnis.
Ich hinterlasse wie so viele andere meine Fußspuren im Internet. Das ist wie ein kleines Denkmal, das sich somit jeder im Internet errichtet. Jeder kann erfahren, dass es irgendwo eine Person mit Namen Ines Kistenbrügger gibt. Vielleicht auch das eine oder andere Photo von mir veröffentlicht finden. Ein kleines Echo meiner Person. Vollständigkeit ist nicht gegeben. Wohin das letztendlich führt? Da habe ich keine Ahnung. Eins weiß ich aber mit Sicherheit: Auf diese virtuelle Welt, die ich gerade beschreibe, ist die Intelligent Design Theory einwandfrei anwendbar. Demzufolge könnten wir den Beginn der virtuellen Welt auf März 1989 definieren und machten Tim Berners-Lee zu dem initiierenden Designer. Hey, das ist doch schon einmal etwas, was uns in der realen Welt fehlt: ein Anfang, ein Wer und auch ein Warum. Und unsere Rolle darin können wir auch noch selbst definieren. Wenn das nicht das Leben erleichtert?
Nachher werde ich dann aber doch noch ein paar reale Fußspuren hinterlassen. Bei uns in der Nachbarschaft. Bei so viel digitaler Realität muss ich einfach manchmal das Haus verlassen, um mit Menschen auf die altmodische Weise - von Angesicht zu Angesicht zu reden. Noch besser ist es, jemandem tatsächlich die Hand zu schütteln.
Vertreter der Intelligent Design Theory stellen naturwissenschaftliche Theorien wie die Evolutionstheorie oder Abiogenese in Frage, weil sie diese nicht als befriedigende Erklärungen für gewisse wissenschaftliche Beobachtungen ansehen. Ihre alternative These ist, dass sich das Leben nur durch einen intelligenten Designer entwickelt haben könnte. Argumente dafür wären in der Mikrobiologie, der mathematischen Logik und der Linguistik zu finden. Im Gegensatz zum Kreationsimus erlaubt die ID Theory wissenschaftliche Erklärungen und nennt nicht zwangsläufig Gott als den allmächtigen Designer. Anhänger dieser Theorie sind u.a. Dembski und Behe. Von Gegnern der ID Theory wird die verwendete Argumentationskette pseudowissenschaftlich genannt. In den USA ist nicht erst vor kurzer Zeit eine Diskussion darüber entbrannt, ob ID als Alternative zur Evolution gelehrt werden müsse. Es gibt bereits Schulen, die sich weigern, Evolution zu lehren, da diese die Existenz von Gott verneint. Allein mehrere hunderte Millionen Jahre lang Dinosaurier können nur das Ergebnis von Evolution sein. Anm. d. Red., 2021
Detroit, 2005-07-20 Ines Kistenbrügger, Wirtschaftswetter
Text: ©Ines Kistenbrügger
Fotos: ©Ines Kistenbrügger
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