von Moon McNeill
Dieses dauernde Gerede vom Dolce Vita - nee, was hab’ ich das satt. Das so genannte „süße“ Leben - was genau meinen die Prediger wohl damit? Wir ahnen es. Zucker in Ketchup, Kochwurst und Cola, Diabetes im mittleren Alter als Zugabe. Dicke Aufschriften auf plastikverpackten Nahrungsmitteln: garantiert zuckerfrei. In der Zutatenliste ganz vorne dann fünf Zuckerarten hintereinander, in der Hoffnung, dass wir zu ungebildet seien, Reismalzsirup, Laktose, Fructose, Dextrose und anderes als das zu erkennen, was es ist: Hüftspeck nämlich. Sonst kauft ja später auch keiner mehr die ganzen Abführmittel und Diätbücher.
Soll das wirklich alles gewesen sein, was Dolce Vita ausmacht? Ich sage ganz entschieden: nein! Denn das WAHRE süße Leben haben wir noch gar nicht entdeckt. Zum Beispiel die Sache mit den Wespen am Pflaumenkuchen. Ich meine: Wie kann es sein, das sie den Kuchen in Scharen lustvoll umsummen und mich bereits in der Bäckerei zu Tode ängstigen? Sind etwa nicht genügend Pestizide auf die Pflaumen gespritzt worden oder was?! Man sollte doch mit Recht erwarten können, dass das süße Leben auch umfasst, dass man seine Schleckereien genussvoll und ungestört verzehren kann!! Wenn man keinen Pflaumenkuchen mit Sahne mehr auf einer Gartenterrasse essen kann, was soll einem denn das Dolce Vita bedeuten??!
Oder die Sache mit dem Christstollen. Wir hatten gerade einmal den 1. September und alle Varianten dieses Weihnachtsgebäcks lagen bereits im Regal. Alle Kunden stöhnen entnervt auf, schimpfen wie die Rohrspatzen über dieses Sakrileg - aber sie kaufen ihn trotzdem. „Herrje, was sind Sie doch alle inkonsequent,“ lamentiere ich laut in der seufzenden Kassenschlange. „Wenn Sie den Christstollen nicht bereits im August kaufen würden, würde er doch erst ab Mitte November in die Regale kommen!“ Erstauntes Schweigen. „Jaaaa“, sagt eine ältere Dame nachdenklich, „aber dann schmeckt der doch gar nicht mehr! Der ist doch jetzt frisch!“ Oh Gott, hilf mir!
Kommt denn niemand auf die Idee, dass der Stollen nach kurzer Zeit des Boykottiertwerdens in den Folgejahren einfach später gebacken würde? Nein. Man würde mit einiger Sicherheit auch schon im Mai eisgekühlten Strandstollen kaufen - wenn es ihn denn gäbe! Ich bin sicher, garantiert schmelzfreie Dominosteine und tiefgefrorene Spekulatius würden ein Marktschlager in jedem balearischen Beachressort sein. Ich wünsche mir auch schon lange ein ganzjährig kaufbares Osterei - ist doch ein nettes Geschenk zu Weihnachten. Schließlich kommt das Wort Ei sogar in Weihnachten vor. Das eben meine ich: Wie weit ist es denn her mit dem Dolce Vita, wenn man uns solche logischen Entwicklungen verwehrt?!
Und dann die Sache mit dem Mineralwasser. Meistens mögen wir es nicht, aber im Sommer muss es ja sein - wenn es nur nicht so "bäh" schmecken würde. Eine Weile mag es ja noch angehen, weil nichts anderes wirklich den Durst löscht - aber irgendwann hat man es einfach satt. Was muss also her? Mineralwasser mit Geschmack! Logisch, nicht?! Schön künstlich das Aroma, bitte und mit viel Zucker oder Süßstoff dabei. Und weil es dann kein Mineralwasser mehr ist, nennen wir es Sportgetränk. Und wir sind auch tatsächlich gezwungen, anschließend welchen zu machen, um dem zunehmenden Hüftspeck wenigstens versuchsweise Einhalt zu gebieten. Wo aber bleibt das Wasser, das schmeckt und schlank macht?! Der Grund, warum wir Wasser überhaupt als Getränk in Erwägung ziehen, ist doch der, davon nicht dick zu werden - sonst könnten wir ja auch gleich die gefärbten, schäumenden Zuckerbrausen trinken, die sich die Jugend an den Hals setzt. Warum kommt die Industrie einfach nicht auf den Trichter, ihre aromatisierten Trinkwässerles mit Abführmitteln und Schlankmachern zu versetzen? Eine verdammt gute Frage!
Nein! Sagen Sie, was Sie wollen. Am Dolce Vita fehlt mir noch gewaltig etwas, damit auch jeder es genießen kann. Was auch immer sie in der Werbung als irdisches Schlaraffenland ausgeben - es ist nichts weiter als systematische Volksverdummung. Glauben Sie mir: Das Konzept für die eben erwähnten Erfindungen liegt bereits als geheime Akte in den Schubladen der Industrie. Den Katalysator gab es ja auch schon lange, bevor er gesetzlich gefordert wurde. Sie gönnen uns nur nichts, das ist es! Sie behalten sich noch neue Entwicklungen für die Zukunft vor, damit wir uns nie langweilen. Die Frage ist nur: Wenn diese Dinge dann endlich auf den Markt kommen - können wir sie uns dann von unserer Einheitsgrundsicherungsrente oder dem lebenserhaltenden Armengeld noch leisten?! Sehen Sie? Jetzt haben Sie mich verstanden. La Dolce Vita, dass ich nicht lache.
2005-09-25 by Moon McNeill, Wirtschaftswetter
Text: © Moon McNeill
Banner + Illustrationen: ©Angelika Petrich-Hornetz
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