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50. Jahrestag: Rosa Parks

Sie probte den Aufstand und blieb sitzen


von Cornelia Schaible

Foto Rosa Parks Vor 50 Jahren wurde die US-amerikanische Bürgerrechtlerin Rosa Parks in Montgomery im Bundesstaat Alabama verhaftet – das war der Anfang vom Ende der Rassentrennung.

Erst stellen die Kinder Stühle auf: immer vier in einer Reihe, mit einem Mittelgang. Das ist der Bus. Vorne muss noch ein extra Stuhl hin, für den Busfahrer. Die Fahrgäste setzen sich, und der Chauffeur, gespielt von einem kräftigen kraushaarigen Jungen, gibt lautes Motorengeräusch von sich. Wild kurbelt er an seinem imaginären Lenkrad, tritt schließlich auf die Bremse. Jemand steigt zu. Ein weißer Fahrgast soll das sein – der junge Darsteller ist allerdings schwarz, wie alle seine Mitspieler aus einer Detroiter Schulklasse. „Gib mir deinen Platz!“ sagt er zu einem Mädchen, das ziemlich weit vorne sitzt. Die Schülerin macht keine Anstalten, sich zu erheben. „Dann muss ich die Polizei holen“, sagt der Busfahrer und guckt streng.

Die oben beschriebene Szene, beobachtet in einer Städtischen Bibliothek in Downtown Detroit, wiederholt sich so oder ähnlich an jedem 1. Dezember – auch andernorts in Amerika, vor allem dort, wo der afroamerikanische Bevölkerungsanteil besonders hoch ist. In Kindergärten und Schulen wird dann die legendäre Busfahrt nachgespielt, welche die farbige Schneiderin Rosa Parks aus Montgomery, Alabama, zur „Mutter der Bürgerrechtsbewegung“ machte.

Als Rosa Parks am 24. Oktober 2005 im Alter von 92 Jahren in Detroit starb, musste man den meisten Schulkindern nicht erst erklären, wer das war. „Die wollte ihren Platz nicht hergeben“, das wissen oft schon Grundschüler. „Wir haben das früher auch immer aufgeführt“, erzählte eine junge Frau in der endlosen Schlange der Wartenden vor dem African American Museum in Detroit, die der verstorbenen Bürgerrechts-Ikone die letzte Ehre erweisen wollten. Auch in ihrer Familie habe man oft über Rosa Parks geredet: „Ohne sie wären wir heute nicht das, was wir sind.“

Das ist ein kluger Satz. Er bedeutet nicht, dass heutzutage alle Rassenschranken überwunden sind. Aber in der knapp siebenstündigen Begräbnisfeier für „Mutter Parks“, wie die meisten Redner schlicht sagten, kam immer wieder zum Ausdruck, dass sich jüngere Amerikaner das Ausmaß einstiger Rassentrennung schon gar nicht mehr vorstellen können. Wenn das kein gutes Zeichen ist. Seit dem Tag, als Rosa Parks verhaftet wurde, muss doch allerhand geschehen sein – ein halbes Jahrhundert ist das her, für amerikanische Begriffe eine lange Zeit. Und mit ihrem Akt des zivilen Ungehorsams hatte sie den Anstoß zu all dem gegeben. Genau dafür wurde sie geehrt: Vor ihrer Beisetzung wurde Rosa Parks im Kapitol öffentlich aufgebahrt; sie war die erste Frau in den USA, welcher diese hohe Ehre zuteil wurde.

Foto Rosa Parks Boulevard Was im Laufe der Begräbnisfeierlichkeiten außerdem deutlich wurde: Parks Handeln löste einen Prozess aus, der nicht nur die Rechte der farbigen US-Bevölkerung stärkte – er nützte letztlich auch den Weißen. Die absurden Regeln der Rassentrennung abzuschaffen, das wirkte befreiend auf alle. Keiner brachte das besser auf den Punkt als der ehemalige Präsident Bill Clinton, der in seiner Trauerrede eine ganz persönliche Geschichte zum Thema Busboykott beisteuerte. Clinton wuchs im Süden auf, und war mit der Segregation in öffentlichen Verkehrsmitteln bestens vertraut: Weiße sitzen vorne, Farbige hinten. Als Rosa Parks sich weigerte, ihren Platz einem weißen Mann zu überlassen, unterstützten der junge Bill und seine Freunde die Aktion auf ihre Weise. „Wenn Schwarze im Bus nicht hinten sitzen müssen“, beschlossen die Jungs, „brauchen wir auch nicht mehr vorne zu sitzen.“

Für Rosa Parks geborene McCauley, die damals 42 Jahre alt war, stand allerdings einiges mehr auf dem Spiel. Sie hätte für ihren Widerstand geschlagen oder getötet werden können. Oft wird erzählt, sie sei einfach sitzengeblieben, weil sie als Näherin müde war nach einem langen Arbeitstag. In Wirklichkeit, so stellt Parks in ihrer Autobiographie „My Story“ klar, habe sie es einfach satt gehabt, dauernd klein beigeben zu müssen. Sie probte den Aufstand, indem sie sitzen blieb. „Warum schubst ihr uns alle herum?“ fragte sie einen der beiden Polizeibeamten, die sie zur Wache führten. Dessen Antwort: „Ich weiß nicht, aber Gesetz ist Gesetz, und Sie sind verhaftet.“

Übrigens war Parks zu dieser Zeit schon länger in der schwarzen Bürgerrechtsbewegung aktiv – unter dem Einfluss ihres Mannes Raymond, mit dem sie seit 1932 verheiratet war, hatte sie sich in der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) engagiert. Ihr Mann und befreundete NAACP-Mitglieder sorgten dann auch dafür, dass sie nach Zahlung einer Kaution schnell wieder frei kam. Alle seien sehr wütend gewesen, schreibt Rosa Parks. „Ich wusste, dass ich nie, nie mehr mit einem segregierten Bus fahren würde.“ Allerdings sei ihr in diesem Moment nicht zu Bewusstsein gekommen, dass sie zu einem Präzedenzfall werden könnte. Genau das hatten ihre Mitstreiter jedoch vor.

Rosa Parks war nicht die erste Frau, die sich geweigert hatte, ihren Platz im Bus an eine weiße Person abzutreten. Und bereits bei diesen früheren Fällen hatte der NAACP eine Klage gegen den Gesetzgeber erwogen, dann aber wieder verworfen, weil die Betroffenen dem moralischen Druck der Öffentlichkeit nicht standgehalten hätten. Bei Rosa Parks war das anders. Sie verfügte über einen tadellosen Leumund, hatte ihr ganzes Leben gearbeitet – „es gab keinen Grund, warum ich eine solche Behandlung verdient hatte, außer den, schwarz geboren zu sein“, sagt sie selbst. Und vor allem besaß sie etwas ganz Wichtiges – nämlich eine natürliche Würde. Und genau das ließ die kleine, stille Frau zur Leitfigur der Bewegung werden, die sich im Anschluss an ihre Verurteilung formierte.

Am Montag, 5. Dezember 1955, wurde Rosa Parks zu 14 Dollar Strafe verurteilt. Und am selben Tag begann auch der Montgomery Bus Boycott, zu dem schwarze Pfarrer bereits in den Sonntagsgottesdiensten aufgerufen hatten. Der Aufruf hatte Erfolg: Die Busse, die hauptsächlich von Farbigen genutzt wurden, blieben weitgehend leer. Die neue Bewegung wählte sich auch gleich einen Präsidenten, einen zu diesem Zeitpunkt noch relativ unbekannten Baptistenprediger, der erst seit kurzem in Montgomery war. Sein Name: Martin Luther King.

Der Bus, in dem Rosa Parks saß, Der Boykott ging in den Tagen darauf weiter. Es wurden Wochen daraus. Und Monate. Viele Schwarze organisierten private Fahrdienste oder gingen zur Fuß zur Arbeit. Etliche verloren ihren Job, weil sie den Boykott unterstützten – auch Rosa Parks. Die Busbetriebe verloren viel Geld, und die Stimmung wurde zuweilen bedrohlich. Es gab mehrere Bombenanschläge auf Baptistenkirchen in Montgomery. Am 13. November 1956 erklärte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten die Segregation in Montgomerys Bussen für nicht verfassungskonform. Am 20. Dezember kam der schriftliche Bescheid. Und am nächsten Tag waren die Busse wieder voll – es gibt auch ein Foto von Rosa Parks in der ersten Reihe.

Damit war allerdings nicht alles gewonnen. Für Rosa und Raymund Parks gab es in Montgomery keine Zukunft mehr; die Eheleute wurden auf der Straße belästigt und telefonisch bedroht und fürchteten um ihre Sicherheit. 1957 zog das Paar nach Detroit. Stadtluft macht frei – in der Autometropole in Michigan hatten Schwarze seit langem Zuflucht und Arbeit gefunden. Rosa Parks fand eine Anstellung beim bis heute amtierenden Kongressabgeordneten John Conyers. Der Bus-Boykott führte schließlich zum Gesetz von 1964, das jede Diskriminierung in öffentlichen Einrichtungen aufgrund der Hautfarbe verbot.

Ja – und irgendwie fand auch der gelbe Bus, in dem die ganze Geschichte anfing, nach Detroit. Er steht heute im Henry-Ford-Museum in Dearborn, und die Museumsleitung behauptet steif und fest, dass es der richtige ist, obwohl es im Land noch ein paar Konkurrenz-Busse gibt. Im Büchlein „Ist das wirklich Rosa Parks‘ Bus?“ wird anhand der Seriennummer nachgewiesen, dass es sich bei dem auf einem Feld in Montgomery aufgefundenen, völlig verrosteten Vehikel tatsächlich um das historisch wertvolle Fahrzeug handelt. Im Museum ist es die Attraktion für Schulkinder, die Besucher dürfen sogar hineinsteigen. Und als die sterblichen Überreste von Rosa Parks im African American Museum zu Detroit aufgebahrt lagen, stand der Bus vor der Tür – und wurde viel bestaunt.

2005-12-01 by Cornelia Schaible , Wirtschaftswetter
Text + Fotos ©Cornelia Schaible
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