von Anne Siebertz
In einer Welt der zunehmenden Globalisierung ist der Begriff „passion“ fast schon eingedeutscht. Nicht jedermann weiß zwar, dass er Leidenschaft bedeutet, aber die allgegenwärtige Werbung für Pralinen, Düfte, Spirituosen oder auch Kleidungsstücke mit bestimmten Reizen vermittelt auch ohne die genaue Übersetzung einen recht guten Begriff davon. Doch er lässt sich noch steigern in: „obsession“. Einen Eindruck davon vermittelt derzeit eine Ausstellung im Kölner Schokoladenmuseum. .
Die deutsch-kanadische Künstlerin Christina Stahr ist den Reizen eines Produkts verfallen, das sich bei Jung und Alt überaus großer Beliebtheit erfreut: der Schokolade. Doch im Gegensatz zum Chocolatier, der sich in immer neue Kreationen hineinsteigert, ist es nicht so sehr das Produkt selbst, das sie fast magisch anzieht, sondern dessen Verpackung.
Eine Umhüllung, die den Genuss des begehrten Inhalts gewissermaßen in der Fantasie vorwegnimmt. Die Künstlerin wählt bewusst aus, entwickelt ein kunstvolles Schokoladen-Szenario. Der erste Blick fällt auf die äußere Hülle aus bedrucktem Papier. Weiß, cremefarben, golden oder königsblau ist es, Farben, die für Qualität stehen. Eine Schicht weiter findet sich das Material, das bei Christina Stahr die eigentliche Entfaltung ihrer Kunst auslöst: die Einwickelfolie. Goldfarben ist sie, von einer Couleur, die trotz der Assoziation des Warmen dem haptisch Kühlen ihres Materials verhaftet bleibt, oder silberfarben – der Cousin des Goldes - kühler, rationaler, bodenständiger.
Der Inhalt selbst, so lässt sich angesichts der Chocolate Obsessions vermuten, ist für die Künstlerin dann nur noch das Tüpfelchen auf dem i. Nicht eine Spur von Schokolade ist auf den Kunstwerken zu sehen, gleichwohl sind alle Sinne in äußerste Alarmbereitschaft versetzt in bloßer Vorfreude auf den Genuss.
Wenn Christina Stahr an ihren Collagen arbeitet, lässt sie in expressionistischer Manier den Zufall mitspielen. Sie reißt auf, bewusst, gewollt. Die entstandenen Formen erzeugen ein Bild der Ungeduld, der Spannung, gerade so, als könne man nicht mehr abwarten, bis die Verpackung endlich ihr Inneres preisgibt. Collage 4, Goldblatt, Aluminium heißt etwa eines ihrer Werke. Die schlichten Worte kontrastieren mit dem, was den Betrachter verführt: goldfarbenenes Schokoladenpapier mit der Aufschrift „Swiss Premium Chocolate“ ist wie zufällig zusammen mit einigen abgerissenen Fetzen Goldblatt auf rotem Grund angeordnet. Nicht umsonst ist die Schokolade mit dem Begriff der „Speise der Götter“ verbunden.
Collage Nummer 5 dagegen ist mit verschiedenen Silberfolien eher kühl gehalten. Wen wundert’s, denn schon bleibt der Blick an der Aufschrift Peppermint Pattie hängen - die Kühle der Minze. Als weitere Genuss-Facette gibt sich Nummer 7 klassisch: dicke silberne Lettern „Hershey“s auf schwarzem Grund zeugen von Sachlichkeit und Männlichkeit.
Ganz anders: D’Or 2005, Blattgold, Papieré: gerahmt in weiß, lässt die Künstlerin auf weißem Grund eine cremefarbene Verpackung einer belgischen Qualitätsmarke hinter einem geknitterten Goldeinwicklepapier erahnen, flankiert von einem goldblattunterlegten Fragement eines Notenpapiers.
Mit ihrer Kunst verlängert Christina Stahr gewissermaßen den Genuss, das ansprechende Äußere assoziiert im Kopf des Betrachters den Wohlgeschmack des Inneren, die Sinne verschmelzen. Der visuelle Reiz verwirrt den Geschmackssinn; er vermittelt das Gefühl einer Erfahrung, die allein durch Anblick und Erinnerung hervorgerufen wird, tatsächlich jedoch unerfüllt bleibt.
Speziell für die Ausstellung im Kölner Schokoladenmuseum hat Christina Stahr acht 1,60 mal 1,40 große Installationen entwickelt. In den schillernden Farben Brombeer, Hellgrün, Rot-Orange und warmen Gelbtönen zeigen sie auf weißem Transparent vor der Kulisse des Rheins die Frucht und die Pflanzenteile des Kakaobaums. Sie erinnern daran, dass die Frucht sehr lebendig, sehr feurig ist, und dass wir nur den kleinen Teil des inneren Kerns meinen, wenn wir an Kakao und Schokolade denken. Es sind die Farben der Länder, in denen die Pflanze wächst. Lateinamerika, in Europa assoziert mit den Tänzen Samba und Salsa, Bewegungen, die von Leidenschaft und Verlangen zeugen.
Wer sich auf die Kunst von Christina Stahr einlässt, begreift Stückchen für Stückchen, dass es sich bei den Collagen um wahre Obsessionen handelt.
2005-10-10 by Anne Siebertz, Wirtschaftswetter
Text: ©Anne Siebertz
Collagen: ©Christina Stahr
Fotos ©Anne Siebertz
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