von Joy Fraser
Neulich hat mein Mann in unserem Auto eine Kleepflanze geerntet. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, wenn man sich einmal die Fußmatten ansieht. Die Kleepflanze gilt allgemein als anspruchslos und wächst überall. Und was ist das? Sind das etwa Treckerspuren, da auf dem Rücksitz???
Auf dem Land zu leben hat seine Vor- und Nachteile. Nicht nur gemütlich vor sich hin blökende Schafe, träge, muhende Kühe, saftig grüne Wiesen und romantisch rauschende Waldbäume erfreuen das Herz des Landbewohners, sondern auch an Schusohlen klebende organische Abfälle all dieser ländlichen Lebewesen. Es gibt matschige Wege und Unkraut, das sein Überlebenstraining an den unglaublichsten Orten ausübt sowie jede Menge seltsam aussehende winzige Insekten, deren Namen niemand je katalogisiert hat.
Unter diesen Vorausetzungen ist es ungeheuer schwer fürs Autoputzen einen Freiwilligen in der Familie zu finden. Man könnte glauben es handele sich um die Bitte eine Senkgrube zu leeren.
"Gerne" räumt mein Teenager die Spülmaschine aus - unter Androhung von permanentem Internetentzug oder wahlweise Sperrung des Handys, oder holt tatsächlich die Wäsche aus dem Keller, aber zum Autoputzen konnte ich sie noch nie bewegen.
Mein Mann schwingt mit Begeisterung heroisch den Gartenschlauch, als handele es sich um ein antikes Schwert und beim Auto um einen bösen Drachen, der noch vor dem Abendessen erlegt werden muss. Aber wenn’s ans Innere geht, streikt auch er.
Warum nur? Dabei ist diese Arbeit doch wirklich etwas für unsere alten Entdeckergene.
Und was man findet, darf man sogar behalten. Ich bin jetzt stolzer Besitzer eines wertlosen Fünfmarkstückes, das zwischen den Sitzen klemmte. Na, wenn das kein Ansporn ist sich auch noch unter den Fahrersitz zu trauen.
Hier ist sie ja, die Fernbedienung für das Garagentor! Wieder 175 Euro für eine neue gespart. Etwas glitzert unter der hinteren rechten Fußmatte. Ein Armband. Ich habe es noch nie vorher gesehen, aber jetzt ist es meins.
Nachdem ich mich durch Papiere aller Art gewühlt habe, beginne ich den Kampf mit dem grünen Gummibärchen, das mit dem Kupplungspedal eine chemisch-biologische Symbiose eingegangen ist.
Meine Tochter kommt vorbei, sagt zu meinem aus dem Auto ragenden Hinterteil: „Iiiiiiiih“, und verschwindet wieder im Chaos ihres Teenagerzimmers. Man wird sie wohl erst zur Stunde der nächsten Nahrungsaufnahme wiedersehen.
Ich zerre derweil an den erstaunlich starken Ärmchen des Gummibärchens, aber es will nicht loslassen. Also lasse ich es, wo es ist und wende meine Aufmerksamkeit etwas anderem zu. Der Staubsauger muss her.
Eine universell wichtige Frage mag die nach eventuellem Leben auf dem Jupitermond Titan sein, doch für mich persönlich ist es jetzt viel wichtiger zu wissen, welcher Idiot die Zubehörteile für Staubsauger erfindet und dabei die Notwendigkeit des Autoputzens großzügig ignoriert.
Wie soll man mit den viel zu wulstigen Extradüsen zwischen Sitze und Gurte dringen? Diese Stellen sind in den meisten, oft benutzten Autos Brutplätze für seltene Biotope.
Besonders wenn man Kinder hat. Wenn sich der Fruchtsirup mit dem Keksrest vermählt entsteht eine Art Kinderstube für den vom Aussterben bedrohten Grotten-Olm, und Mikroben aller Art feiern lustige kleine Mikrobenpartys. Neue tödliche Seuchen sehen hier geduldig ihrer Entstehung entgegen.
In die Seiten- oder Rücksitztaschen aus formschönem Vollplastik fasse ich nur mit Handschuhen und dem pulssteigernden Gefühl, meine Hand in eine unbekannte Höhle im südamerikanischen Dschungel zu stecken, auf der Suche nach einem archäologischen Schatz sowie in Erwartung eines giftigen Schlangenbisses.
Was ich stattdessen dort antreffe, ist ein noch fast vollständig erhaltener, angekauter Apfel mit Cola- und Vollkornkeksresten-Verzierung, der locker einer Familie hochtoxischer hinterindischer Schleim-Skorpione als Unterschlupf dienen könnte.
Mit Misstrauen betrachte ich etwas verschrumpeltes Graues, das ich im Kofferraum finde. Es könnten Sporen aus der Zeit der Pharaonen daran kleben. Nur jetzt nicht zu tief einatmen.
Nachdem ich meine archäologischen Ausgrabungen in meinem Auto beendet habe, erstrahlt es wieder in vollem Glanz. Stolz verkünde ich meinem Mann, dass er jetzt wieder ohne Latexhandschuhe und Mundschutz zur Arbeit fahren kann.
Was für ein Spaß! Vielleicht sollte man das Auto doch öfter mal putzen. Ach nein, vergessen Sie es. Das wäre ja nur halb so interessant. Ich freu mich schon auf das nächste Mal, so in zwei Jahren.
2006-01-01 by Joy Fraser, Wirtschaftswetter
Text: © Joy Fraser
Illus: © Angelika Petrich-Hornetz
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