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König der Berge

Der Bernhardiner

von Angelika Petrich-Hornetz

Bernhardiner der Foundation Barry Der große, treue Hund als verlässlicher Begleiter und Lebensretter in der weißen Pracht der Bergwelt - eine Legende? In der Tat ranken sich einige Geschichten um den St.- Bernhard-Hund. Wer kennt nicht das Bild des sanften Riesen als Gefährten der Bergwanderer, der samt einem Fässchen Rum Menschen vor Schneelawinen warnt, aus selbigen rettet oder dem Wanderer im Nebel den Weg weist? Schon 1949 setzte Regisseur Richard Pottier "Barry", dem berühmtesten Vertreter der Menschenretter auf vier Pfoten, ein filmisches Denkmal - doch nicht alles, was über Bernhardiner geschrieben und erzählt wird, ist reine Dichtung.

Der St.-Bernhard-Hund ist wohl der bekannteste Lawinenhund der Welt. Und kaum eine andere Rasse wird so sehr mit der Schweiz verbunden, wie der große Hund, der im 17. Jahrhundert in Bildern auftaucht und Anfang des 18. Jahrhunderts erstmals in einer Aktennotiz schriftlich erwähnt wird. Später häufen sich die Berichte über den vielseitigen Einsatz der Hunde, zum Beispiel sollen sie im St.Bernhard-Kloster ein Laufrad betrieben haben, damit sich der Bratenspieß in der Hospizküche drehte. Als seine Vorfahren gelten die Hunde der Bauern um den Sankt Bernhard in der Westschweiz, große Hirten- und Kühehunde. Andere meinen, dass die schon mehrmals fast ausgestorbene Rasse, ihre Wurzeln in den Hunden der Römer hat, die sogenannten "Molosser" - verwandt mit der "Tibetdogge".

So genau lässt sich das nicht mehr feststellen, und die Experten sind sich, wie so häufig, nicht einig - außer darin, dass Bernhardiner doggenartige Hunde sind, immerhin. Zur Legendenbildung trugen indes nicht nur zahlreiche mündlich überlieferte (und häufig ausgeschmückte) Geschichten sowie Chroniken sondern auch die Truppen Napoleons bei, die um 1800 den im Mai noch schneebedeckten St.-Bernhard-Pass mit über 40.000 Personen, 5000 Pferden und um die vier Dutzend Geschütze überquerten. Sie fanden im klösterlichen Hospiz Herberge, Napoleon soll es in den höchsten Tönen gelobt haben. Da gabs für die anwesenden Bernhardiner einiges zu retten, und es sollen wieder einmal sie gewesen sein, die dafür sorgten, dass nicht ein einziger Soldat erfror.

Dort oben auf der Passhöhe des Sankt Bernhard gründeten Augustiner-Mönche im elften Jahrhundert ein Kloster sowie ein Hospiz, das bis heute Reisenden und Pilgern - die früher den Pass zu Fuß überqueren mussten - bei Bedarf Herberge und Beköstigung angedeihen lässt. Allerdings wurde die traditionell kostenlose Bewirtung und Beherbung notgedrungen eingestellt, als mit der Eröffnung der Straße zwischen Martigny nach Aosta im Jahr 1905 die Zahl der Reisenden anschwoll. Heute bekommt derjenige, der im Winter den etwa zweistündigen Aufstieg mit Skiern oder Schneeschuhen wagt, für kleines Geld immer noch Unterkunft und ein traumhaftes Winter-Panorama frei Haus, organisierte Wanderungen werden ebenfalls angeboten.

Die Mönche züchteten, der fehlenden Erwähnung der Hunde nach zu urteilen, offenbar erst weit nach der Klostergründung, etwa ab 1660 Bernhardiner. Sie dienten dort oben in den Bergen zum Schutz, zur Bewachung sowie zur Begleitung, aber auch als Arbeits- und Lawinen-Suchhunde. Inzwischen züchten die Mönche selbst nicht mehr, aber ein rühriges Museum vor Ort zeugt von der Historie. Die Arbeit, die mit der Zucht verbunden ist, wurde für die wenigen Mönche zu aufwendig, und sie gaben diese an die "Stiftung Barry vom Grossen St. Bernhard" oder kurz und international, "Foundation Barry" ab, die damit eine lange Tradition fortführt.

Regelrecht Legenden umwoben ist der im Hospiz von 1800 bis 1812 lebende Bernhardiner "Barry", der allein vierzig Menschenleben gerettet haben soll. Ob er tatsächlich je einen kleinen halberfrorenen Jungen zum Hospiz trug, den die dazugehörige Mutter ihm nach dem Abgang einer Lawine in ihrer Not auf den Rücken gebunden hatte, wird wohl nie bewiesen werden können. Doch damit man sich an den treuen "Barry" immer erinnern kann, wurde er nach seinem Tod im Jahr 1814 ausgestopft, später nachgebildet und kann im "Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde Bern" besichtigt werden.

Der Große Sankt Bernhard Pass verbindet auf einer Höhe von bis zu fast 2500 Metern und einer Länge von 81 Kilometern das Aostatal in Oberitalien mit dem Rhônetal im Kanton Wallis. Die Römer nannten ihn "Mon iovis" (Mont Joux), den Jupiterberg. Ob Hannibal ihn nutzte weiß man nicht, aber Karl der Große zog um 800 wohl genau hier entlang. Heutzutage fahren die meisten oberhalb von St. Pierre durch den ganzjährig geöffneten Tunnel. Der Reisende, der plötzlich umschlagendes Wetter auch im Sommer nicht scheut und den Ausblick genießen will, benutzt allerdings auch heute noch gern den Pass. Die Römer waren es auch, die einen ersten Pfad über den Pass gelegt haben sollen, sowie Herbergen und einen Tempel erbauten. Nach dem Niedergang der Römer verfiel der Weg - bis die Mönche kamen. Die Geschichte des Passes ist jedoch noch wesentlich älter. Man nimmt an, dass dieser seit mindestens 5000 Jahren begangen wird. Fundstücke entlang der Passroute belegen seine eindrucksvolle Geschichte.

Um 1867 legte Heinrich Schumacher, ein Metzger und Gastwirt aus dem Berner Umland die ersten Abstammungsurkunden für seine Hunde an und züchtete die Rasse - den kurzhaarigen, ursprünglichen Hospiztyp. Er gab jedoch 1890 frustriert auf, als er feststellte, dass sich die langhaargie Variante auf dem Markt durchsetzte, die Schumacher für weniger intelligent hielt und die er 1884 als "Masthunde" bezeichnete. Die beiden Varianten der Bernhardiner, Stock- und Langhaar gibt es bis heute. Das Schweizer Hundestammbuch wurde 1884 eingeführt, die erste sowie die ersten 28 weiteren Eintragungen waren alles Bernhardiner. Im gleichen Jahr gründete man in Basel den Schweizerischen St. Bernhards Club für die Rasse. 1887 wurde der Bernhardiner dann als schweizerische Hunderasse anerkannt. Er gilt seitdem als Schweizer Nationalhund, und seine Anhänger nennen ihn schlicht den "König der Berge".

Die Beliebtheit des als Begleit- Wach- und Hofhund klassifizierten Bernhardiners ist seitdem ungebrochen. Er gilt als zuverlässig, anhänglich, gutmütig und kinderfreundlich, der sich in der Familie unterordnet, die er gleichzeitig auch gern beschützt sowie als ruhiger, ausgeglichener Charakter, dem kalte Witterung - wie soll es anders sein - nichts anhaben kann. Nur in einer engen Stadtwohnung fühlt sich das bis zu 85 Kilogramm wiegende Muskelpaket nicht wohl, der Sankt-Bernhard-Hund braucht viel Freiraum.

Was ist nun aber mit dem Fässchen, dass der Lebensretter angeblich mit sich trug? Auf der Webseite des deutschen St.-Bernhard-Klubs, der sich übrigens nicht lange nach dem schweizer Club bereits im Jahr 1891 gründete, findet man ein historisches Foto von Schuhmachers Hunden, auf denen einige Hunde die Fässchen gut sichtbar um den Hals tragen. Dass der berühmteste Bernhardiner, Barry, und seine Kollegen tatsächlich je ein solches Fässlein bei sich führten, scheint dennoch eher ein Mythos zu sein.

Angeblich sollte Hochprozentiges darin gewesen sein, um die Lebensgeister kältegebeutelter Erretteter wieder zu wecken. Viele Autoren meinen, dabei handele es sich um ein reines Märchen. Andere sagen, die Hunde trugen kein Fass sondern ein Erste-Hilfe-Päckchen um den Hals. Die meisten Quellen sind der Meinung, weder das eine noch das andere sei richtig, doch immer wieder auftauchende Bilder mit Hund und Fässchen schüren die Legende weiter. So könnte es auch die Erfindung eines Malers sein und auf Festumzügen finden sich auch heute noch Bernhardiner mit dem bekannten Fässchen. Wahrscheinlicher halfen die Bernhardiner den Mönchen eher, indem sie etwas auf dem Rücken transportierten oder eine Last zogen. Beim "Spuren" im Schnee wäre so ein Fässchen vor der Brust auch sehr hinderlich gewesen. Nun, selbst wenn das Fässlein historisch nicht richtig ist - die Vorstellung, dass man kurz vor dem Tod durch Erfrieren von einem Bernhardiner wachgestubst wird, der zur Stärkung erst einmal einen Schnaps anbietet, hat etwas sehr Tröstlich-Wärmendes.

Von der Bergwacht wird der schwere und große Bernhardiner nicht mehr eingesetzt, sondern leichtere Hunde bevorzugt, die zum Beispiel im Hubschrauber transportiert werden müssen. Die Zucht immer größerer und schwerer Bernhardiner ist glücklicherweise aus der Mode, sie führte in der Vergangenheit dazu, dass die Hunde Hüftenprobleme bekamen. Die britische Königin Viktoria hatte seinerzeit ihren Anteil daran, sie löste mit dem Kauf zweier Hospiz-Hunde einen wahren Boom von großen Langhaar-Bernhardinern aus. Heute achten die Züchter darauf, dass der Hund wieder Funktionen übernehmen kann und dazu muss er gesund und beweglich sein, und kein Fleischklops. Die Aufgabe, den Weg des Wanderers freizumachen- zu "spuren" -, den die großen Barry-Hunde mit ihrer breiten Brust ebenfalls in der Vergangenheit übernahmen, braucht man heute auch nicht mehr. Dafür gibt es inzwischen genügend technisches Equipment und die Seilbahn.

Tierschützer warnen seit den neunziger Jahren Bernhardiner-Züchter vor dem Import der Rassehunde durch Hundezüchter in China, die mit Bernhardinern ihre "Fleischhunde" kreuzen, um die Nachkommen der Hundefleischindustrie zuzuführen. Hundefleisch ist in Asien nichts Ungewöhnliches - relativ neu ist nur die Industrialisierung in großem Stil. Der schnell wachsende, gebärfreudige Bernhardiner steigert die Produktivität. Die Nachteile von Tier-Massenproduktion und -tötung kennt man in Europa zu Genüge, zum Beispiel durch die Industrialisierung der Geflügelzucht. Massentierhaltung birgt immer die Gefahr von Tierquälerei, ein Gedanke der beim König der Berge doppelt schwer im Magen liegen dürfte.

Weiterführende infos:
Stiftung Barry vom Grossen St. Bernhard


2006-01-07 by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: © Angelika Petrich-Hornetz
Fotos: © Jasmine Abarca-Golay, Foundation Barry
Die Hunde: links, Verlie du Grand St. Bernard, und neben ihr, Tasso du Grand St. Bernard
Banner: ©Cornelia Schaible, Angelika Petrich-Hornetz
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