Wenn Amerikaner ein Präsent brauchen, setzen sie gern alles auf eine Karte – eine aufladbare Geschenkkarte nämlich. Mit dem Plastikgeld können die Beschenkten dann shoppen gehen. In Deutschland gibt’s das vereinzelt auch schon.
Was schenk‘ ich bloß? Diesen Stoßseufzer dürfte man in den USA nur noch selten hören. Schließlich gibt’s dort seit einiger Zeit Geschenkkarten, im Englischen Giftcard genannt, die in vielen Geschäften praktischerweise gleich an der Kasse hängen. Die bunten Plastikkärtchen mit Magnetstreifen haben den guten alten Geschenkgutschein auf knittrigem Papier längst verdrängt, und Bargeld sieht dagegen sowieso alt aus – ein paar Scheine in einen Umschlag zu stopfen, das hat immer etwas leicht Schmuddeliges an sich. „Geld stinkt nicht“, sagte einmal ein römischer Kaiser, aber der schnupperte auch nie an einem Bündel Dollarscheine.
Eine Geschenkkarte wirkt dagegen schick und zeitgemäß – nur die Entscheidung, wie großzügig das Präsent ausfallen darf, bleibt dieselbe. Der entsprechende Geldbetrag wird dann von der Kassiererin aufgeladen, und schon ist das Päckchen gepackt. Noch handlicher ist ein speziell präparierter Kartengruß, der sich vor allem für den Valentinstag anbietet: Im Handel gibt es bereits Glückwunschkarten mit einer praktischen Lasche, in die sich Giftcards einstecken lassen. Tipp: Die Valentinskarte nicht gleich in den Papierkorb wandern lassen, sondern vorher gründlich untersuchen! Oder sag’s durch die Blume – Geschenkkarten lassen sich auch in floralen Kunstwerken geschmackvoll unterbringen. 29 Prozent aller Amerikaner planen, zu Valentinstag eine Giftcard zu verschenken, zeigt eine Studie der führenden US-Einzelhandelsunternehmen.
Verglichen mit Weihnachten ist das aber noch gar nichts. Diente die aufladbare Plastikkarte in ihrer Anfangszeit vor allem als Last-Minute-Präsent, gilt sie heute bei vielen Amerikaner als die geniale Geschenkidee. Mit der Folge, dass die Läden nach dem Fest so voll waren wie in den Tagen davor: Die Leute lösten ihre Geschenkkarten ein. Kein Wunder, dass die Kassen noch klingelten, als die Plastik-Christbäume längst schon wieder weggepackt waren. Nach Information des US-Einzelhandelsverbandes National Retail Federation wechselten über die Feiertage Geschenkkarten im Wert von mehr als 18 Milliarden Dollar den Besitzer. Sechs von zehn Amerikanern dürften die handlichen Plastikkärtchen verschenkt haben, schätzt man bei ValueLink, einem der weltweit führenden Anbietern von elektronischen Geschenkkartenprogrammen.
Auf der anderen Seite des Großen Teiches sind die Plastikkarten zum Verschenken bislang wenig populär: „Der europäische Markt steckt noch in den Kinderschuhen und ist weitgehend von Papiergutscheinen dominiert“, heißt es bei ValueLink. Einige deutsche Unternehmen haben sie aber bereits im Programm. Dazu gehört das Kaufhaus Breuninger, das die Karte in Eigenregie anbietet: „Ziel ist die Kundenbindung sowie die Neukundenakquise“, erklärt Daniel Ohr, bei Breuninger für den Karten-Service zuständig. „Wir betrachten die Giftcard als attraktive Geschenkidee, die eine Alternative zum Sortiment darstellt und damit eine Umsatzabwanderung zur Konkurrenz verhindert.“ Die Giftcard bringe Neukunden ins Haus, und wer einmal da war, kommt vielleicht wieder.
Das Stuttgarter Unternehmen führte die Karte im November 2004 in seinen Kaufhäusern ein – nicht zuletzt, um es den Kunden einfacher zu machen, wie Ohr betont, denn die Giftcard könne „im Gegensatz zu handelsüblichen Gutscheinen an allen Kassen verkauft werden“. Insgesamt sei die Erfahrung damit „sehr positiv, der Absatz von Geschenkprodukten konnte deutlich gesteigert werden“. Bei den Kunden komme die Karte ebenfalls gut an.
Auf den ersten Blick ist die Karte tatsächlich ein praktisches Präsent – jedenfalls für den, der eins braucht. Denn dank Geschenkkarte ist Geben so viel einfacher als Nehmen: Der Beschenkte muss schließlich selbst den Laden nach etwas Passendem durchwühlen. Die Leseratte kriegt dafür aber auch nicht den Bestseller des Lieblingsautors gleich doppelt zum Geburtstag, und die Braut muss sich nach der Hochzeit nicht über fünfzehn ähnliche Vasen grämen.
Nun macht es aber durchaus einen Unterschied, ob die Karte in einem Kaufhaus mit einem breiten Sortiment ausgegeben werden kann oder in einem Fachgeschäft mit relativ eingeschränktem Angebot. Die begrenzte Auswahl mag mitunter Absicht sein, nämlich wenn die Eltern der Teenager-Tochter eine Geschenkkarte für einen braven Kleiderladen spendieren – dann kann der modisch hippe Nachwuchs das Geld nicht einfach in schrillen Klamotten anlegen. Aber es ist nicht auszuschließen, dass die Geschenkkarte keine Freude macht, weil das Sortiment einfach nicht passt.
„Man ist schon eingeschränkt damit“, sagt Tina Say, die in einem Detroiter Vorort lebt. Sie habe einmal ein Giftcard über 50 Dollar für ein bestimmtes Einrichtungsgeschäft bekommen, erzählt die 32-Jährige, und wollte sich gemeinsam mit ihrem Mann etwas aussuchen. „Uns hat dann aber gar nichts gefallen.“ Inzwischen gibt es auch Geschenkkarten, die für sämtliche Läden eines Einkaufszentrums gelten – eine solche Giftcard würde Tina Say nach jenem frustrierenden Shopping-Erlebnis vorziehen. Auch einige Kreditkartenfirmen geben inzwischen solche Prepaid-Karten heraus.
In jeden Fall empfiehlt es sich, das Kartenguthaben so schnell wie möglich auszugeben. Der Empfänger, der sich damit Zeit lässt, könnte sonst eine unangenehme Überraschung erleben: Manche Geschenkkarten verlieren mit der Zeit an Wert, oder sie verfallen komplett – manchmal schon nach sechs Monaten. In einigen Bundesstaaten der USA hat das bereits den Gesetzgeber auf den Plan gerufen, und derartig kurzfristige Verfallsdaten wurden außer Kraft gesetzt. Für den Wertverlust gebe es einen guten Grund, sagt der Marketingforscher Dan Horne vom Providence College, den die Presse gelegentlich schon einmal „Giftcard-Guru“ nennt: Es rühre daher, dass die Geschenkkarten und -gutscheine erst als Einkünfte verbucht werden können, wenn sie eingelöst wurden. „Wenn sie nicht eingelöst werden, kommt man nie an das Geld, obwohl es auf der Bank liegt. Die Gebühren erlauben es, jeden Monat ein bisschen von dem Geld als Einkommen zu verbuchen.“
Der Wertverlust ist aber nicht der einzige Aspekt der Geschenkkarte, den US-Verbraucherschützer regelmäßig kritisieren. Wie man beim Anstehen an der Kasse beobachten kann, wird das prinzipiell gestückelt einlösbare Kartenguthaben nicht nur häufig auf einen Rutsch ausgegeben – viele Kunden legen sogar noch was drauf. Laut ValueLink lassen sich 55 Prozent der Geschenkkarten-Inhaber zu solchen Mehrausgaben verführen. Die Giftcard löst offenbar leicht einen Kaufrausch aus.
Aber auch wer eine Geschenkkarte kriegt, die gar nicht nach seinem Geschmack ist, muss nicht verzweifeln: Inzwischen gibt es in den USA bereits mehrere Websites, die als Tauschbörsen für Giftcards fungieren. Einfach verkaufen geht auch – mit dem verschenkbaren Plastikgeld wird längst ein schwungvoller Handel betrieben.
2006-01-13 by Cornelia Schaible, Wirtschaftswetter
Text: © Cornelia Schaible
Illus: © Angelika Petrich-Hornetz
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