von Astrid Wehling
Mitten im australischen Sommer, bei gut 35 Grad, erreicht mich der Themenschwerpunkt der nächsten Wirtschaftswetter-Ausgabe aus dem winterlichen Lübeck: Die Schweiz.
Und das mir – einer Norddeutschen in Australien. Gut, ich habe ein paar schweizer Bekannte hier. Aber das wäre wohl kein Thema für die Online-Leser, auch nicht, wenn es um einen alten Freund ginge, der schon seit 35 Jahren hier lebt und immer noch mit schweizer Akzent Deutsch spricht.
Die Schweizer Handelskammer, der Schweizer Club oder das Schweizer Restaurant zwei Suburbs weiter, ach nein, passt auch nicht so richtig. Rösti und Züricher Geschnetzeltes holen doch so recht keinen Leser mehr hinter dem Ofen hervor. Oder sollte ich endlich einmal nachforschen, warum der Vorort bei mir um die Ecke ausgerechnet „Engadine“ heißt?
Hm, an was denke ich, wenn ich ‘Schweiz’ höre? Wohl wie die meisten an Berge, Seen, Zürich, Bern, Schnee, Banken und … an Schokolade! Banken und Schokolade. Na also, da haben wir’s doch schon! Ich zeige Ihnen einmal das Lindt-Café.
Mitten in Sydneys Central Business District (CBD) befindet sich in einem ehemaligen Top-Restaurant – damals sinnigerweise mit dem Namen "Banc" versehen - seit Ende 2004 das erste Lindt-Café der Welt, ein wahrer Tempel für Schokoholics. Wer sonst nur tapfer auf ‘Café Latte with skim milk, please’ steht, der mache besser einen großen Bogen um den Martin Place No 53. Die Verführung ist schlicht zu groß, der Reiz zu süß, um seinen Prinzipien treu zu bleiben.
Lindt & Sprüngli ist wohl eine der berühmtesten Schokolademanufakturen der Welt. 1879 wurde von Rodolphe Lindt eine Schokolade entwickelt, die in ihrem Aroma und in ihrer cremigen Konsistenz einzigartig ist und weltbekannt wurde. Über ein Jahrhundert war das Rezept ein Firmengeheimnis und fest hinter den Türen des Unternehmens verborgen.
Es ist heute Marktführer in Australien im Bereich Premium-Schokolade und sitzt fest auf dem zweiten Platz des hiesigen Gesamtschokolademarktes. Die Australier lieben die Kugeln in rotem, grünem, blauem und goldenem Papier, die feinen Täfelchen und vor allem die Trüffel. Der Schokoladenhase mit dem roten Halsband und dem Glöckchen ist zu Ostern Downunder genauso beliebt wie auf der Nordhalbkugel. Er hat sogar vor einigen Jahren erfolgreich eine Revolution niedergeschlagen, als ein paar Australier versuchten, den Osterhasen gegen ein hiesiges, süßes Beuteltier, das Bilby, auszuwechseln. Hasen mag man hier nämlich und gleichzeitig überhaupt nicht. Aber das ist schon wieder eine ganz andere eigene, australische Geschichte
Australier sind nachweislich schokoladeverrückt. Nicht umsonst öffnen in jünster Zeit in den Shopping Malls immer mehr Schokoladenbars und Schokoladencafés ihre Türen. Doch so edel und exklusiv wie im CBD bei Lindt bin ich der süßen Verführung noch nirgendwo in Australien erlegen:
Dienstag Mittag, gerade richtig zum Lunchbreak. Um mich herum befinden sich jede Menge Menschen (jede Wette: sie stammen aus den umliegenden Banken) in weißen Hemden, in eleganten Kostümen inklusive High Heels, die bereit sind, ihr Handy und ihren Organizer für eine halbe Stunde gegen eine Schokoladentorte und einen Milchkaffee einzutauschen - Business Break und Ladies Lunch, wie man es in Sydney liebt.
Ich reihe mich in die Schlange ein, um meine Bestellung aufzugeben. Sandwich und Gebäck? Nein danke, heute nicht - heute bin ich wegen der Schokolade hier. Und, da es ja Sommer ist und warm, liegt doch nichts näher als eine Eisschokolade. Ich möchte draußen sitzen, unter den braunen Sonnenschirmen. Das Lindt-Café ist hier tatsächlich das einzige Unternehmen am Martin Place, das mitten auf dem Platz, zwischen Versicherungen, Banken und Krankenkassen, seine Tische und Stühle aufstellt.
Während ich warte, habe ich Gelegenheit, mir die Gäste ausführlich anzugucken, die um mich herumwuseln. Genau gegenüber des Cafés hat ein Fernsehsender sein gläsernes Studio. Die aktuellsten Nachrichten tickern in Leuchtschrift an der Hauswand entlang. Es ist sicher nett, dort zu arbeiten und dann mittags hier mal eben ein Stück Schokolade zu naschen - verführerisch.
Mein Glas Eisschokolade kommt. Groß. Und günstig für Sydneyer Verhältnisse, 5.50 Dollar zahle ich auch außerhalb der Stadt. Cremige Schokomilch, Lindt-Vanilleeis und das Ganze gekrönt von Sahne und jeder Menge geraspelter Lindtschokolade, die Farben: Dunkelbraun, Hellbraun und Weiß. Raspel? Ach was - Brocken. Yummy. Ich glaube, das Mittagessen fällt heute flach. Leider sind solche Gläser immer viel zu schnell leer gelöffelt. Aber es hat sich gelohnt, mir geht es sehr gut. Wie war das noch mit den Glückshormonen in der Schokolade?
Bevor ich gehe, muss ich doch noch einmal schnell durch die Innenräume recherchieren. Kühle Fliesen, edle Regale und Glasvitrinen. Angestellte, deren Hemden fast weißer und gestärkter sind als die der Gäste. Es riecht nach Schokolade, und es herrscht eine gesetzte Stimmung. Die Tische sind gut belegt, doch es fehlt das übliche Tohoowabohoo und der Lärmpegel, der so typisch für Sydneyer Cafés und Restaurants ist. “Very european”, flüstert da eine Dame in meiner unmittelbaren Nachbarschaft gerade ihrer Freundin ins Ohr. Und sie deckt sich mit einer Auswahl aus den mehr als vierzig Sorten handgemachter Schokolade ein.
Der Besuch macht Lust auf mehr. Wie wär’s im australischen Winter? Dann schmeckt auch eine heiße Schokolade und ein Stück Torte erst richtig. Ich sage nur: Pistazien-Himbeer-Torte mit weißer Schokolade oder Milchschokoladetorte mit Aprikosen oder Mandelkuchen mit dreierlei Schokoladeschichten. Noch Fragen?
So hat auch Sydney sein Stück Schweiz, mittendrin. Wenn Sie hier sind, gucken Sie doch einmal vorbei. Vielleicht treffen wir uns ja.
2006-02-22 by Astrid Wehling, Wirtschaftswetter
Text: ©Astrid Wehling, Sydney
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