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Superbowl - Motown Winter Blast

Wie sich Detroit vorbereitet und wandelt

von Cornelia Schaible

Aus der US-Autometropole Detroit kommt selten eine gute Nachricht – zuletzt sorgten geplante Massenentlassungen bei Ford und General Motors für Negativschlagzeilen. Ein sportliches Großereignis soll nun das lange angeschlagene Image wieder aufpolieren: Die Stadt rüstet sich für den Superbowl XL am 5. Februar.

Was im Sommer noch als morbider Charme durchgehen könnte, sieht im Winter einfach trostlos aus – dass die Autoshow immer Anfang Januar ihre Tore öffnet, ist der Berichterstattung über Detroit nicht gerade förderlich. Zwar hat sich in jüngster Zeit in der Innenstadt allerhand getan: Straßen wurden repariert, Alleebäume gepflanzt, und auf dem zentralen Campus Martius unweit der Messehalle gibt’s sogar eine Schlittschuhbahn. Aber viele Gebäude stehen weiterhin leer, durch Abrisslücken pfeift der Wind, und die Autojournalisten froren in diesem Jahr wie immer. Und dann gingen sie nach Hause und schrieben einmal mehr über das Elend in Detroit. Damit das beim Superbowl XL nicht genauso läuft, haben die Organisatoren vorgesorgt: Ein Heer von 10.000 Freiwilligen soll den Besuchern einen warmen Empfang bereiten. Egal, wie kalt es draußen ist.

Der Superbowl ist das Finale der nordamerikanischen Football-Profiliga NFL und das populärste US-Sportereignis überhaupt – mit höchsten Einschaltquoten im Fernsehen. Allerdings wird die Football-Riesenfete gewöhnlich an Orten mit milderem Klima ausgetragen, zuletzt in Jacksonville, Florida. Dann riskieren feiernde Zuschauer beim Rahmenprogramm keine Frostbeulen. So gesehen blieb den Detroiter Veranstaltern nur eines übrig: Sie erklärten den Winter zum Programm. Bevor am 5. Februar 2006 die Pittsburgh Steelers und die Seattle Seehawks im Ford Field um die begehrte Vince-Lombardi-Trophäe spielen, steigt in Downtown Detroit ein Fest in Eis und Schnee: „Motown Winter Blast“ nennt sich das Spektakel.

Eine erste Ausgabe des winterlichen Straßenfestes im vergangenen Jahr, quasi die Generalprobe, geriet prompt in einen Schneesturm, was den Beginn aber nur unwesentlich verzögerte. Mit 400.000 Besuchern rechnen die Veranstalter der viertägigen Sause zum Superbowl-Auftakt, die von der Autoindustrie gesponsert wird – GM präsentiert Eisskulpturen, bei Ford gibt’s Oldtimerfahrten und Schlittenhunderennen, und Chrysler unterstützt die Stände mit einem kulinarischen Angebot, das die Detroit-Besucher so richtig auf den Geschmack bringen soll. Falls denen nach der Ankündigung von GM und Ford, in Nordamerika insgesamt über 60.000 Stellen zu streichen, nicht der Appetit vergangen ist. Jedenfalls sollen fünf Schneekanonen auf dem innerstädtischen Festgelände dafür sorgen, dass sich selbst bei Tauwetter eine weiße Decke gnädig über halbfertige Bauprojekte legt. „Wenn die Leuter hierher kommen, werden sie ein neues Detroit sehen“, versprach Bürgermeister Kwame Kilpatrick bei seiner zweiten Amtseinsetzung Anfang Januar.

Kilpatrick sieht im Superbowl „eine Chance, das Image von Detroit zu ändern“. Und sein eigenes gleich mit dazu: Nach einer von Skandalen geprägten ersten Amtszeit – „Time Magazine“ hatte ihn gar zu einem der schlechtesten Bürgermeister Amerikas erklärt – gewann er die Wahlen im November überraschend erneut - und gelobte Besserung: Nun will er endlich daran gehen, die maroden Stadtfinanzen durch Einsparungen zu sanieren und Überkapazitäten in der Verwaltung abzubauen. Denn die Stadt am Detroit River schrumpft, und kein Ende ist abzusehen. Auch der Bau von schicken Eigentumswohnungen an der Woodward Avenue unweit der Sportstadien hat daran nichts geändert. Nur noch knapp 900.000 Einwohner zählt Detroit. Die Stadt ist allerdings auch namengebend für den ganzen Großraum, in dem ungefähr 5 Millionen Menschen leben – fast die Hälfte der Einwohner des Bundesstaates Michigan.

Was Berichte über die Detroiter Tristesse nur selten erwähnen: Vor allem die Vorstädte am nordwestlichen Rand des Ballungsraumes haben in den vergangenen Jahren einen riesigen Bauboom erlebt; die Suburbs fressen sich immer tiefer in die Landschaft hinein. Auch die meisten Autofabriken befinden sich heute in den Vororten. Und noch mehr: Wer die Woodward Avenue, die beim GM-Hauptsitz Renaissance Center ihren Anfang nimmt, rund 20 Kilometer in Richtung Nordwesten fährt, kommt nach Troy. Die Stadt mit 80.000 Einwohner gilt den „Detroit News“ zufolge als eines der neuen Zentren der Metropole – mit Banken, einem eleganten Einkaufszentrum und steigenden Immobilienpreisen. Troy gehört zu Oakland County, dem angeblich viertreichsten County in Amerika, das seine Wirtschaftskraft 565 Unternehmen aus 25 Ländern verdankt. Dazu gehört auch DaimlerChrysler mit der Nordamerika-Zentrale in Auburn Hills. Gerade auf deutsche Firmen übt die Region eine große Anziehungskraft aus: Nach Angaben von Ingrid Justice von der deutsch-amerikanischen Handelskammer sind inzwischen 317 deutsche Unternehmen in Michigan vertreten; die meisten – nicht nur die Autozulieferer – sitzen im Großraum Detroit.

Michigans Gouverneurin Jennifer Granholm unterstrich in ihrer Rede zur Lage des Bundesstaates ausdrücklich die Bedeutung der Investitionen aus Deutschland – Firmen wie Behr, Bosch und Eberspächer seien „Unternehmen, die mehr als 10.000 Arbeitsplätze geschaffen haben“, sagte sie am Mittwochabend. Und das in einem krisengeschüttelten Umfeld: Im Dezember 2005 betrug die Arbeitslosenquote in Michigan 6,7 Prozent; im US-Durchschnitt lag sie bei knapp 5 Prozent. Von den Entlassungen, die Ford jüngst angekündigt hat, ist zwar bislang nur ein Werk in Michigan betroffen, aber die Stimmung ist gedrückt. Die Gouverneurin gibt sich indessen kämpferisch und sagt, man werde „die Autoindustrie keinem anderen Bundesstaat und keiner anderen Nation überlassen“. Dass Granholm im Sommer sogar nach Japan reiste, um Toyota nach Michigan zu locken, gilt als Zugeständnis an eine gewandelte Realität – Toyota könnte bald GM als weltgrößten Autobauer überholen. Ob Toyota tatsächlich ein Technisches Zentrum bei Ann Arbor baut, ist allerdings noch ungewiss. Die Universitätsstadt am südwestlichen Rand der Metropole ist aber auch sonst als Standort für neue Forschungseinrichtungen im Gespräch.

Detroit Und Downtown Detroit? Dort eröffneten in den vergangenen Jahren immerhin zahlreiche neue Restaurants, wie Bürgermeister Kilpatrick gelegentlich hervorhebt. Mit seinen drei Kasinos verwandelt sich die Motor City immer mehr in eine Vergnügungsmeile – eine Art Mini-Las-Vegas für die Metro Detroiter. Allerdings fehlen die Shopping-Möglichkeiten, ohne die kein Amerikaner in seiner Freizeit auskommt. Downtown gibt es nur einen Buchladen und ein paar kleinere Geschäfte. Deswegen sind auch die freiwilligen Helfer beim Superbowl so wichtig – sie sollen den Sportfans nicht zuletzt den Weg zu den zahlreichen Einkaufsmeilen in den Vorstädten weisen. Und zu den Hotels, denn in Detroit gibt es längst nicht genügend Übernachtungsmöglichkeiten. Wichtig ist, dass die Besucher motorisiert sind, denn in der Autostadt gibt es praktisch kein öffentliches Transportwesen: Das ließen die Stadtoberen, auf entsprechenden Druck von der Autoindustrie, schon vor langer Zeit sterben. Eine der prominentesten Ruinen in Detroit ist der alte Zentralbahnhof an der Ambassador Bridge, die hinüber nach Kanada führt. Das „People Mover“ genannte Bähnchen, das in der Innenstadt seine Runden um ein paar Häuserblocks zieht, kann allenfalls den Weg ins Parkhaus verkürzen.

Immerhin sorgt der Bürgermeister nach Kräften dafür, dass genug Parkmöglichkeiten zur Verfügung stehen – Ford Field hat 65.000 Sitzplätze, da wird’s auch an einem ganz normalen Spieltag eng. Wenn in Detroit schon fast keine Autos mehr gebaut werden, sollen sie wenigstens parken können. Gern auch auf Abrissgrundstücken: Nicht einmal das Büro, in dem das berühmte Motown Label von 1968 bis 1972 residierte, blieb verschont – es wurde eben erst abgebrochen. Wieder ein paar Parkplätze mehr. Und die Musik spielt sowieso woanders.

2006-01-31 by Cornelia Schaible, Wirtschaftswetter
Text + Foto: © Cornelia Schaible

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