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Mittermeiers Paranoid Swiss Edition auf CD

Live-Mittschnitt vom 20.08.2005 aus dem Züricher Kongresshaus
Besprechung
von Angelika Petrich-Hornetz

Ja, was - der Michel in der Schweiz? Das kann eigentlich nur gut gehen, es hört sich nämlich, wie sich herausstellen soll, durchgehend wie eine alte Liebe zwischen Darsteller und Publikum an. Also eingelegt - die Scheibe, in den Sessel geflözt und zugehört. Der Live-Mitschnitt von Mittermeiers Auftritt am 20.08 im Kongresshaus in Zürich, und gleich eine Warnung: Das Tempo des seit 17 Jahren auf der Bühne stehenden ungefähr 40-Jährigen (pardon 39 – der Michel feiert nämlich erst am 3. April 2006 seinen runden Geburtstag) ist auf der Bühne ungeheuer, da muss man schon die Ohren spitzen, um alles mitzubekommen, was da geschieht, zumal er ohne Pause durch das Programm spricht.

Ein weiterer Nachteil, wenn die Scheibe auch durchaus Spaß macht, ist der, dass man den Michel nicht sehen kann und sich einiges denken muss. Es kann auch nicht schaden, um die Zuschauerreaktionen zu hören, ab- und zu lauter drehen. Und deshalb: Ohren doppelt gespitzt, weil die Mimik und Gestik unsichtbar bleiben, die den Witz von Mittermeier stets noch witziger sowie verständlicher werden lassen. So überlegt man manchmal, ob das letzte „Huih“ so oder so gemeint war, und da ist er dann schon beim nächsten Gag. In vielen Fällen reicht nämlich schon sein Gesichtsausdruck, um eine ganze Situation zu erklären. Da muss man dann wohl noch auf die entsprechende DVD warten.

Die Aufnahme bietet sonst alles, was man von Mittermeier kennt, Einstudiertes und viel Improvisation, das Publikum wird durchs ganze Programm mit einbezogen, was bei den Zürichern offensichtlich oder besser gesagt, unüberhörbar sehr gut ankam. Und das mit der Akustik von Liveaufnahmen im Allgemeinen, und Schwyzerdütsch im Besonderen - also zurückgespult, noch mal gehört: Aha, jetzt habe ich’s verstanden -, da ist jemand aus dem Kanton Aargau.
Der Michel-Schelm fragt denn auch gleich gewitzt die Schweizer, wie viele Kantone ihr schönes Land zu bieten hat, und es dauert eine ganze Weile, bis das amüsierte Publikum in der Lage ist zu antworten (26). Da hat er es schon längst gewonnen.

Neben den einzelnen Kantonen werden – während das Programm auf den Jüngsten Tag zusteuert - Promis, Kantone, schweizer Städte, Eigenschaften, Eigenheiten und die „Personenfreizügigkeit“ genüsslich auf die Schippe genommen. Die Neutralität der Schweiz liefert Mittermeier zahlreiche Steilvorlagen, „neutral bis zur Entscheidungslosigkeit“, damit lassen sich diverse Einfälle anbringen, zum Beispiel, dass trotz aller Entscheidungslosigkeit und trotz „Zeitlupen-Kantone“, das Berner Fußballstadion tatsächlich fertig wurde, wobei Vereinsnamen wie „Young Boys“ oder „Grashoppers“ einige Fragen aufwerfen, aber die Schweizer könnten die Fußballweltmeisterschaft in unbekannte Dimensionen führen. Gerechterweise sind danach Deutsche, Frauen, Amerikaner und Italiener dran, mittermeierisch analysiert, das heißt auseinander genommen zu werden, und gerade bei "den Deutschen" und "den Frauen" sind wieder einige typische Kiekser fällig. Da sehnt man sich als Zuhörer mit Ton und ohne Bild wieder einmal nach der dazu passenden Mimik.

Ein bisschen alt mutet vielleicht das mit dem Autofahren und Frauen an - wer interessiert sich denn noch dafür? Na ja, wenn man selbst weiblich ist und ganz prima rückwärts einparken und vorwärts fahren kann, muss man es wohl hinnehmen, dass der Mythos sogar bei Mittermeier noch lebt, der eigentlich ein ziemlich junges Publikum hat. Immerhin bringt er auch das witziger als andere – und quietschend - , dass man generös darüber hinwegsehen muss, dass nur ein Klischee bedient wird, unter anderem, weil man gleich darauf in den nächsten Lacher gerissen wird, Tempo, Tempo, von wegen Zeitlupentempo - wie angekündigt.

Die Neutralitätssucht der Schweizer hat nach Mittermeier längst auch auf der Computertastatur Einzug gehalten, statt „Enter“ gibt der Schweizer dort „Oderrrr?“ ein. Michel übt sich in einem interessanten Schwyzerdütsch, und das Publikum in Zürich lacht, also scheint es unterhalten und aus seinem Mund klingt’s auch tatsächlich witzig.

Er greift auf dem Weg durch die internationale Paranoia dies und das, alles und jeden auf und leitet dann das erste Mal zum Weltuntergang über, in Form der Schweizerin Uriella, die einigen vielleicht noch als Heilspredigern in abenteuerlichen Gewändern bekannt sein dürfte. Der drohende Jüngste Tag, bei dessen Herannahen alle immer verrückter und durchgeknallter agieren, zieht sich dann wie ein roter Faden durchs Programm. Im Detail ist dieser Faden im schweizer Livemitschnitt ohne die Ur-Version von "Paraonoid" zu kennen, nicht immer ganz einfach zu verfolgen. Links und rechts davon tanzen zitierte Frauen – und Männer, und Szenen aus der Ehe und Halle Berry, und immer wieder Jesus und auch das Kyoto-Protokoll herum – welches mit den Frauen nach Mittermeier wesentlich besser geklappt hätte – und infolge dessen wieder die Amerikaner und Bush, und schließlich verfallen alle langsam aber sicher ihrem eigenen und dem Irrsinn anderer.
Kanzlerin Merkel indes schlägt er einen Kuhhandel vor: Sollte sie sich bei den Irakkriegsgegnern entschuldigen, entschuldigte er sich auch bei ihr, dass er sie ungefähr so hässlich fände, wie eine bekannte schweizer Politiker-Kollegin.

Nach einer Rückblende seines Aufenthalts in New York, der Mutterstadt aller Paranoia, inklusive illegaler Kakerlaken aus Mexiko kehrt Mittermeier zurück zum Weltuntergang. Dazu wird die Bibel frei zitiert, und Michel fasst zusammen: „Gott ist ein Schweizer.“ Denn es heißt ja auch: „Im Schweizer deines Angesichts ...“. Dagegen hat das gut gelaunte Publikum hörbar nichts einzuwenden. Auch mit der Ausweitung der Genfer Konventionen auf die deutsche Unterhaltungsindustrie kann man sich anfreunden: „Es ist verboten Künstler zu foltern.“

Prompt fällt dem Michel der Bush wieder ein und er sagt: „He, George, da ist ein Land in Europa, da ist gar nicht Europa.“ Das tät dem George doch sicher gefallen, inklusive Sturmgewehr für jeden Bürger, auch wenn er Gefahr liefe, dass ihm die Schweizer die Vormachtsstellung streitig machen könnten. Und Western: Männer lieben Western, und Frauen können mit Western nichts anfangen, sagt der Mittermeier, der immer wieder genüsslich auf dem „Ch“ herumreitet, fast als täte es ihm leid, kein Schweizer zu sein, weil die könnens ja doch viel besser als er, aber sie sind großzügig, man hört die gegenseitige Sympathie und die hört auch nicht auf, wenn er richtig böse wird:

Frisch gebackene Eltern vergleicht er mit der Wiedervereinigung, denn alles ist "soooo toll", doch der aufmerksame Beobachter fände: „Irgend etwas stimmt nicht“, aber die Eltern bzw. Bürger beharren stoisch auf die Erfüllung des Glücks: „ ... wenn dich der Ostmensch (das Baby) einmaaaal anlächelt.“ Über die Taufe, den Schwiegervater, die Ehefrau und befreundete Pärchen findet Mittermeier zum Sackmesser, nur diese Geschichte, warum das Sackmesser wirklich so heißt, wie es heißt verrate ich Ihnen natürlich nicht. Nur noch soviel, gewisse Tätowierungen an gewissen Stellen werden als ein gewisses "Geweih“ entlarvt, und die weiteren Ausführungen, wie das dann aussieht sind nicht ganz jugendfrei (so wie einige andere Passagen auch nicht, also Obacht). So haben die geneigten Hörer (ab 18) noch etwas mehr selbst zu entdecken.

Zwischendurch, auch immer dann, wenn er die jammernden Deutschen karrikiert, wohl auch ein wichtiger Bestandteil des Ur-Paranoid-Programms, tut’s einem immer wieder leid, dass man ihn nicht sehen kann, alles gut und schön, das Gesicht dazu fehlt. Wer ihn kennt, muss sich die Mimik dann halt irgendwie denken, wer ihn nicht kennt, TV schauen. Dort steht er auf allen möglichen und unmöglichen Bühnen, ein zur Zeit sehr gefragter Künstler.

Im Zuge des unweigerlich drohenden Jüngsten Tages kommen dann auch Christen, Buddhisten und Muslime zu Ihrem Recht, einmal gründlich durch den Kakao gezogen zu werden. Mittermeier gelangt zu der Erkenntnis, dass Frauen die besseren Strategen seien. Auch wenn der Anlass des letzten Lobs an die Weiblichkeit zweifelhaft sein mag, niemand ist Mittermeier böse. Eigentlich müssten ihm alle böse sein, aber das ist das Gesetz von Comedy und Kabarett: Der Profi findet immer jemanden, den er abwatschen kann und über den auch der lachen kann, der kurz vorher selbst sein Fett abkriegte. Beim Tempo vom Rest des Weltuntergangs (Erbarmen, Jesus, Gott, der jüngste Tag, Nullrunde für Rentner – in einer etwas anderen Reihenfolge) musste ich irgendwann passen, was jetzt wegen wem und in welcher Reihenfolge untergeht - macht nichts, wird einfach noch mal gehört, dazu sind CDs ja da.

Jedenfalls reitet Jesus auf Jolly Jumper in den Sonneuntergang. Das ist doch versöhnlich, und wer schlechte Laune vertreiben will, der kann sich diese Dank der Technik mit Mittermeier in Konserven-Form von Film und Hör-CD auf Knopfdruck vertreiben. Mir persönlich fehlte bei dieser Live-Aufnahme schlicht der Anblick, wenn Mittermeier quietscht und kiekst und das Publikum, wie es mitgeht. Wenn Sie also so jemanden wie mich treffen, schenken Sie ihm oder ihr lieber eine Eintrittskarte. Bei all der Technik, bei Stand-up-Comedians sind die Auftritte durch nichts zu ersetzen (Liebe Technik, jetzt sind wir quitt)

Mittermeier bleibt fast ausnahmslos sympathisch, biedert nicht, doch selbst in einen Anflug von Bösartigkeit packt er ein Wohlwollen - gegenüber den Schweizern in seiner Swiss-Edition sowieso – und so verzeiht man ihm alles, was man anderen vielleicht nie verzeihen würde, obwohl er durchaus gemein und politisch werden kann, und bei gewissen Politikern oder anderen Persönlichkeiten der Zeitgeschichte sogar sehr deutlich wird. Sonst wäre er auch einfach zu nett.

Meistens relativiert er Scharfes jedoch allein schon durch seine Mimik und Gestik. Seine typischen Juchzer, Seufzer und Knarzer und wie er seine Wortkreationen ins Publikum wirft, „Atom-Sepp“ oder „Terror-Tunte" zum Beispiel, macht den meisten, jungen Zuschauern Spaß und auch manchen ausgebufften Alten und all denen, die halt gerne lachen, und die nicht gleich alles auf die Präzisions-Goldwaage legen, obwohl der Mittermeier ebenfalls die Kunst versteht, übersehene Details auszugraben, wenn er will. Der Unterschied zwischen einem Mittermeier und einem Hildebrandt besteht darin, das Michel die Haarfarbe des Ex-Kanzlers im zweiten oder dritten Jahr verulkt und Hildebrandt trocken vorschlägt, eine Arbeitsgruppe Sozialdemokraten in der SPD einzurichten. Beide finden ihr Publikum. (Beide witzeln auch über andere Parteien und deren Protagonisten) und beide begeistern ihre Zuhörer.

Spaß macht Michels Paranoid Swiss Edition auf jeden Fall, und wir werden interessiert und schmunzelnd verfolgen, was er noch alles ausheckt, wenn er erst 40 geworden ist, für einen Comedian nicht zu alt, im Gegenteil, da beginnt erfahrungsgemäß die Volljährigkeit und damit der Feinschliff. Man darf gespannt sein, was noch kommt. Manchmal flammt ein politischer Kabarettist in ihm auf, und ohne Kabarett, Comedy und Mittermeier wär’s sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz zu dieser Jahreszeit ganz schön kalt und witzlos. Also nicht vergessen, am 3. April 2006, zum 40. Geburtstag dem Michael Mittermeier gratulieren, besonders die Eidgenossen sind aufgerufen, in allen vier Sprachen.


2006-01-01 by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Banner: © Cornelia Schaible, Angelika Petrich-Hornetz
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