von Angelika Petrich-Hornetz
Vom 25. bis zum 29. Januar 2006 treffen sich international agierende Wirtschaftskapitäne, Politiker, Vertreter aus Kunst, Wissenschaft und Nichtregierungs-Organisationen (NGO) bereits zum 36. Mal zum World Economic Forum im schweizerischen Davos im Kanton Graubünden, um ... , ja, um was? Ottilie und Otto Normalverbraucher fragen sich nicht erst seitdem Hollywood Diva Sharon Stone 2005 ihren legendären Spendenaufruf-Auftritt hatte - sie sprang während einer Diskussionsrunde zur Armutsbekämpfung plötzlich auf und sammelte in kurzer Zeit eine Million Dollar für den Kampf gegen Malaria und Aids ein, allerdings war die Diskussion damit auch beendet - was dort eigentlich einmal im Jahr in den Alpen vor sich geht.
In diesem Jahr lässt sich die Gästeliste wieder einmal sehen. Die neue Bundeskanzlerin Angela Merkel wird der illustren Schar, die sich unter dem Motto "The Creative Imperative" trifft, die Eingangsrede servieren, um "frische Antworten auf globale Veränderungen" zu liefern - so lautet jedenfalls die Vorgabe der diesjährigen Treffens. "Wir müssen wieder das Gefühl gewinnen, dass globale Veränderungen erfolgreich bewältigt werden können", lautet ihr Credo und , Deutschland werde sich dafür mit "pragmatischen und innovativen Lösungen einsetzen“, so die Kanzlerin.
Die Arbeitsliste des diesjährigen Treffens ist lang. Das immense Wachstum von China und Indien steht ganz oben auf der Tagesordnung und bildet den Schwerpunkt. Weitere Themen: Wie man mit einer ständig veränderten Wirtschafts-Landschaft klar kommt: Wie wird man mit einem gestörten wirtschaftlichen Gleichgewicht, den hohen Ölpreisen, einem exzessiven Bedarf an natürlichen Ressourcen und der daraus resultierende Spaltung fertig? Globaler Friede und Demokratie stehen ebenfalls auf der Agenda - veränderte Denkweisen und Einstellungen unter dem Eindruck des technologischen Fortschritts, Digitalisierung, die Entstehung einer grenzüberschreitenden Gesellschaft: Wie auf Extremismus reagieren und welche Erwartungen hat die nächste Generation? Die Globalisierung verändert auch die Arbeitswelt: Welche Berufe wird es in Zukunft - unter dem Einfluss sich ändernder Wachstums- und Job-Anforderungen geben? Wie werden sie gestaltet? Wie sehen globale Arbeitsverhältnisse aus, welche neuen Ansprüche an Qualifikationen müssen formuliert werden. Freie Mobilität? Welche sozialen und wirtschaftlichen Folgen bringt diese neue Arbeitswelt mit sich? Regionale Identität und Kämpfe: die politische Krise Europas, die Instabilität im mittleren Osten, die Zukunft Latein Amerikas und Afrikas stehen unter diesem Punkt zur Diskussion. Der nächste Punkt der Liste heißt: Vertrauen aufbauen in öffentliche und private Institutionen - sich auf wesentliche Bestandteile zurück zu besinnen, Vertrauen und Legitimität aufbauen sowie Effektivität demonstrieren. Wer das geschafft hat - so scheint es - darf dann an der nächsten Runde teilnehmen: Effektive Führung im Management von globalen Risiken - adressiert an das Führungs-Defizit. Frische Leitbilder für komplizierte Fragen sollen her und kurzfristigen Ergebnissen dabei widerstanden werden. Zu guter Letzt soll sich das Jahrestreffen dann dem Thema "Innovation, Kreativität und Design-Strategie" widmen: Wirtschaft, Regierungen und soziale Innovatoren suchen kreative Kompetenzen und Innovations-Strategien, um für eine sich rapide verändernden, globalisierten Landschaft Antworten zu finden.
Sollte das Arbeitspapier geschafft werden, so mutete es an, dürften alle Probleme der Welt vom Tisch sein. Vielleicht hilft ein Blick zurück, um zu verstehen, warum während dieses Forums ausschweifend über die großen Probleme der Welt diskutiert werden soll, und das auch gern "fachübergreifend". Denn dem Treffen, das ursprünglich "European Management Forum" hieß und Ende der achtziger Jahre in „World Economic Forum“ umbenannt wurde, gab es diese Möglichkeit - zumindest in dieser Größenordnung noch nicht. Es war also ursprünglich schlicht und ergreifend eine echte Marktlücke - auch wenn - nicht unberechtigt und durchaus mit Argumenten unterfüttert - Globalisierungsgegner und andere Kritiker den Sinn und Zweck anzweifeln: Nicht nur die jeweiligen Themen-Formulierung steht häufig in der Kritik, eine wirklich lösungsorientierte Veranstaltung auszuschließen. Dem Forum, mit seinem Anspruch auf der internationalen politischen Agenda eine wichtige Rolle spielen zu wollen wird nicht selten purer Lobbyismus unterstellt. Einiges hat das Forum nachweislich erreicht - hier trafen nicht selten ehemalige Erzfeinde erstmals persönlich aufeinander und fanden einen Konsens, einen Beschluss oder ihren Frieden. Ob die bisherigen Erfolge allerdings dem Anspruch einem quasi seit Ewigkeiten stattfindenden Treffen der Welt-Elite wirklich gerecht werden kann, darüber sollte sich jeder selbst eine Meinung bilden.
Das World Economic Forum, kurz WEF genannt, ist eine private Stiftung mit Sitz in Cologny bei Genf. Ständige Mitglieder sind rund 1000 private Unternehmen, die ein Unternehmertum im globalen und öffentlichen Interesse für sich beanspruchen, die einen beachtlichen Jahresumsatz vorweisen können oder zumindest wichtig genug sind sowie die Mitgliedsgebühren von ein paar zehntausend Dollar entrichten können. Gegründet wurde das Forum von Klaus Schwab, Professor für Wirtschaft an der Universität Genf, und bis heute Präsident des WEF, der pfiffig erkannte, dass es abseits von Branchentreffs und offiziellen Konferenzen so etwas noch nicht gab. Er installierte damit die Möglichkeit sich international von Angesicht zu Angesicht auszutauschen, die Möglichkeit des direkten, informellen Dialogs - und global zu netzwerken.
Ein erstes Treffen fand 1971 statt. Seitdem sind längst nicht nur Wirtschaftsunternehmen jedes Jahr in Davos zu finden, sondern in wachsender Zahl - wie die bundesrepublikanische Kanzlerin - auch zahlreiche Politiker, Medienleute, Wissenschaftler und kulturelle Vertreter. Das schafft - beabsichtigt - ein Elite-Bewusstsein, zumal Medien nur dann zugelassen werden, wenn das WEF sie zulässt. Unbeschränkten Eintritt gibt es auch für sie nur, wenn sie Mitglied im Club sind. Man präsentiert sich als Avantgarde und die Gefahr besteht, möglicherweise avantgardistisch und damit abgehoben zu bleiben. Andererseits bietet das Treffen die Möglichkeit abseits von bürokratischen Organisationen und ohne Umschweife miteinander zu kommunizieren. Das bewirkte schon mehrfach den Anstoß für einen Dialog, der nicht selten nach den Treffen fruchtbar um- und fortgesetzt werden konnte. Langfristige Lösungen für die großen Probleme der Welt sollte man dennoch nicht unbedingt erwarten, was jedem Besuchern vielleicht auch nicht immer ganz klar ist. Der Glamour zog nämlich nicht erst mit Frau Stone in Davos ein. Der und die Nähe der Entscheidungsträger fördert zwar den Dialog - wobei das "informelle" Gespräch genauso notwendig ist wie der formelle Weg und vieles erleichtert - doch manche und manchen scheint soviel geballte Informailität und Nähe auch dahingehend zu verblenden, man könnte alles "untereinander" regeln.
Bei dem diesjährigen Motto und einer Themenliste, die eine gewisse Rat- und Hilflosigkeit nicht ganz verdecken kann und "frische" Ideen gesucht werden, sollten sich das Forum vielleicht wirklich etwas mehr abseits vom Mainstream einfallen lassen und diese frischen Ideen auch tatsächlich zulassen, ihnen Raum und Redezeit schenken - statt nur alte Seilschaften schwafeln zu lassen. Der Creative Imperative – welch ein Anspruch. Man möchte glatt den alten Kant nach Davos entsenden, damit er überprüfe, wie viel an diesem noch kategorisch oder doch nur fleißiger Lobbyismus ist.
Co-Chairs des Forums in diesem Jahr sind: Mukesh D. Ambani, Reliance Industries Limited, Peter Brabeck-Letmathe, Nestlé, Martin Sorrell - WPP Plc und Lawrence H. Summers, Präsident der Havard University, der sich übrigens in einem Vorab-Interview mit einer interessanten Begründung äußerte, warum eine der wichtigsten Investitionen in die Entwicklung der Welt die Ausbildung von Mädchen sei, Zitat: „Beyond the tangible economic benefits, it promotes smaller, healthier and happier families“ Zitatende (Quelle: www.weform.org )
Am 27. Januar soll laut Pressemeldungen Angelina Jolie als UNO-Botschafterin an einer Podiumsdiskussion zum Thema Menschenrechte teilnehmen. Bill Gates und Sir Richard Branson (von Virgin) sind auch wieder dabei sowie mehr als ein Dutzend Regierungschefs und um die 60 Kabinettmitglieder - mehr als die Hälfte der Beiwohnenden sind Vertreter der Wirtschaft, fast alles Konzern-Chefs oder Verwaltungsräte. Bis auf Merkel und dem Schweizer Bundespräsidenten, Moritz Leuenberger, fehlen in diesem Jahr jedoch die meisten Staats- und Regierungsoberhäupter der westlichen Industrienationen. Das mag auch an der Konkurrenz-Veranstaltung "Sound of Europe" in Salzburg liegen, die dort vom 26. bis 28. Januar stattfindet. Der neue EU-Ratspräsident Österreich will damit eine Debatte über Europas Identität anstoßen - mit musikalischer Untermalung der Wiener Philharmoniker, passend zum Mozart-Jahr.
Insgesamt werden in Davos etwa 2340 hochkarätige Gäste aus 89 Ländern erwartet - die einige Millionen Euro teure Veranstaltung wird damit auch jedes Jahr für die Sicherheitskräfte zu einer logistischen Herausforderung, ohne zusätzlichen Einsatz der Armee mit mehr als 5500 Soldaten geht da gar nichts. Der Luftraum wird gesperrt bzw. eingeschränkt und von der Schweizer Luftwaffe überwacht, die Bodentruppen vorwiegend für die Infrastrukturanlagen eingesetzt. Auch der Einsatz der Armee trifft nicht überall auf Verständnis, schließlich handele es sich um eine private Veranstaltung, betonen die Kritiker. Zahlreiche Organisationen sind aus dem WEF hervorgegangen, zum Beispiel eine globale Gesundheitsinitiative, eine Gruppe gegen Korruption, deren Mitglieder sich zur "Null-Toleranz" gegen Korruption verpflichten und zahlreiche regionale Treffen, die den jeweiligen Regionen "gerechter" werden sollen. Davos wird jedes Jahr immer mehr zum Medien-Großereignis - inklusive der Gegenveranstaltungen wie "Public Eye on Davos" und dem „Weltsozialforum", das in diesem Jahr dezentral und im nächsten Jahr wieder an einem Ort stattfinden soll.
2006-01-20 by Angelika Petrich-Hornetz, Wirtschaftswetter
Text: ©Angelika Petrich-Hornetz
Foto: ©Cornelia Schaible
Banner: ©Angelika Petrich-Hornetz
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