von Astrid Wehling
Als Kind sortierte sie am liebsten ihre Plüschkängurus, heute kümmert sich Kim Welsh freiwillig und nicht selten rund um die Uhr um lebende Beuteltiere. Kim ist Mitglied bei "WIRES" - dem größten Wildtier-Rettungsverein Australiens.
“Ich komme ursprünglich aus Kanada, bin halb australisch und die Tiere Down Under haben mich schon immer fasziniert”, erzählt Kim, die mit einem Australier verheiratet ist und am Stadtrand von Sydney lebt.
“Eines Abends sah ich ein totes Possum am Straßenrand. Da ich gehört hatte, dass man immer nachsehen sollte, ob Babies im Beutel sind, hielt ich an und entdeckte auch tatsächlich ein Junges. Ich rief bei WIRES an, und man schickte sofort einen Mitarbeiter. Ich war so fasziniert von der Arbeit, dass ich mich sofort zu einem Trainingskurs für Neumitglieder angemeldet habe.”
Die WIRES Mitarbeiterin, die sich in jener Nacht um das Possum kümmerte, war Daphne Maidment: “Ich bin Kim dann gleich als Buddy zur Seite gestellt worden. Das ist so üblich bei WIRES, da Anfänger oft erst einmal überfordert sind”.
In der Regel gehen Anrufe von Leuten, die ein verletztes oder verwaistes Tier finden, bei der Hauptstelle von WIRES ein. Dort wird dann entschieden, welches Mitglied den "Auftrag" bekommt, sich um das Tier zu kümmern.
Mit Handtüchern, Decken und Käfig bewaffnet, macht sich der Volunteer dann auf den Weg, häufig nicht genau wissend, auf welche Situation er trifft. Ist das Tier schwer verletzt? Lässt es sich leicht einfangen? Ist es überhaupt das Tier, als welches es der Anrufer identifiziert hat? So ist es schon einmal vorgekommen, dass ein Pelikan als Albatros gemeldet wurde, oder eine gewöhnliche Ratte als Possum.
WIRES kümmert sich ausschließlich um "Native Wildlife", das besondere Pflege benötigt, wie zum Beispiel Reptilien, Vögel oder Beuteltiere. Für Katzen, Kaninchen, Füchse und anderes "importiertes" Wild ist indes der Tierschutzverein zuständig.
Schnell stellt sich heraus, welches Mitglied für welches Tier am besten geeignet ist, sei es durch ein spezielles Interesse oder bedingt durch die räumlichen Gegebenheiten zu Hause. Ein Possum braucht zum Beispiel einen besonderen Käfig. Und den Platz für eine große Papageien-Voliere hat auch nicht jeder daheim.
So gibt es ‘Spezialisten’ für Schlangen und Lizzards, für Vögel und für Beuteltiere.
Hier in Sydney sind es meist Possums und Vögel, die betreut werden. In den ländlicheren Gebieten außerhalb der großen Städte finden sich schon eher Kängurus, Wombats und Koalas in der Obhut von WIRES-Mitgliedern.
Obwohl Kim sich auch um Vögel kümmert, sind ihr die Possums am liebsten. Als ich sie besuche, hat sie gerade fünf dieser putzigen Fellknäuel zur Pflege: ein Brushtail Possum und vier kleinere Ringtail Possums - alle fünf sind als Waisen zu ihr gekommen.
Das Brushtail Possum bekam sie vor sechs Wochen. Damals ein winziges, fast nacktes etwas, hat es sich heute zu einem munteren Kerlchen entwickelt, das sofort auf Kims Arm klettert, als sie die Tür zum Käfig öffnet. “Mit 500 Gramm ist er bald soweit, wieder entlassen zu werden”, sagt Kim.” Ich bringe ihm schon immer Grünzeug aus der Gegend mit, in der er gefunden wurde, denn genau dort muss er auch wieder ausgesetzt werden. Das wird wohl so in zwei Monaten sein”.
Sentimentalitäten darf sich kein Pfleger leisten, die Tiere sind keine Kuscheltiere und oberstes Ziel von WIRES ist die gelungene Wiederaussiedelung. Genauso wenig zimperlich darf man sich anstellen, bringt man ein schwerverletztes Tier zum Tierarzt, um es einschläfern zu lassen.
“Den meisten Volunteers sterben die ersten Pflegefälle unter der Hand weg”, sagt Daphne trocken. “Das ist nichts Ungewöhnliches, damit muss man eben klarkommen”.
Doch Kims Possums sind gut drauf. Possums sind nachtaktiv, im halb dunklen Garten habe ich Schwierigkeiten, die vier Ringtails in dem komplett mit Grünzeug gefüllten, mannshohen Käfig zu erkennen. Das ändert sich schnell, als Kim das Dinner serviert: halbierte Weintrauben, Möhrenscheiben und ein paar leckere einheimische Pflanzen. Ruckzuck setzen sich die vier ‘Mädels’ um die Näpfe. Auf den Hinterbeinen hockend, wird fein säuberlich von Traube und Möhre abgebissen. Selbst wenn ich sie jetzt nicht sehen würde - zu überhören sind sie jedenfalls nicht mehr. Jeder Bissen wird von einem kräftigen Schmatzen begleitet.
“Mein Arbeitsaufwand ist zur Zeit rund eine Stunde pro Tag”, erklärt mir Kim. “Anders ist es, wenn Babypossums oder junge, aus dem Nest gefallene Vögel alle zwei Stunden mit Spritze oder Pipette gefüttert werden müssen”, ergänzt Daphne. “Dann fragt man sich schon mal, ob es noch ein anderes Leben außerhalb von WIRES gibt. Man vergisst fast, wie der eigene Ehemann aussieht”.
Doch bei genauem Hinsehen erkennt man deutlich ihr Augenzwinkern und ihre Hingabe, mit der sie an ihre Aufgabe geht. Und was den Ehemann angeht - er ist schon lange selbst infiziert. Seine Liebe gehört den Schlangen und Lizzards.
Die zwei Treffen mit den WIRES-Mitgliedern, eines auf einer Versammlung einer Ortsgruppe und dann zu Hause bei Kim haben mir gezeigt, wie enthusiastisch und motiviert diese Menschen sich dem Ziel verpflichten, die einheimische Tierwelt zu erhalten. Dank Bauboom und übervölkerten Suburbs wird der Lebensraum für Possum, Papagei, Koala und Co immer kleiner. Auch das ist ein Grund dafür, weshalb WIRES jetzt mehr und mehr mit "LandCare" zusammenarbeitet - einer Freiwilligen-Organisation, die sich für den Erhalt natürlicher Landschaften einsetzt.
Sei es der Volunteer, der Vorträge hält, der Spendenaktionen organisiert und seine Zeit und sein Geld für Futter und Pflege zur Verfügung stellt, sei es der Tierarzt, der zum Unkostenpreis oder kostenlos seine Hilfe anbietet – WIRES ist eines von vielen erfolgreichen Charity-Projekten, für die Australien so bekannt ist.
>
Weitere Informationen, Website der Organisation:
2006-04-19 by Astrid Wehling, Wirtschaftswetter
Text: © Astrid Wehling und Kim Welsh
Fotos © Astrid Wehling, Daphne Maidment, WIRES
Infos zu Datenschutz + Cookies
zurück zu: Themen
2003-2022 wirtschaftswetter.de
©Wirtschaftswetter Online-Zeitschrift