von Cornelia Schaible
Willkommen im Land der Bären! Steht auf einer Informationstafel am Parkplatz der Porcupine Mountains, einem Naturpark im Westen von Michigans Upper Peninsula. Wer Schwarzbären sehen will, braucht aber nicht unbedingt eine Wanderung im bergigen Gelände zu unternehmen – an der Imbissbude im nahen Dorf sind die Petze Stammgäste..
Auf der Oberen Halbinsel des US-Bundesstaates Michigan gilt der Bär offenbar als Sympathieträger. Sonst würde nicht so häufig mit ihm geworben. Auch vor dem Rainbow Lodging Motel in Silver City steht einer – ein eher zahmes Exemplar aus Holz, leicht verwittert, das die Autofahrer mit der linken Tatze grüßt. Ein Schild lädt dazu ein, kurz hereinzuschauen und ein Zimmer in Augenschein zu nehmen. Das Motel wirbt zwar mit einem Privatstrand am Lake Superior, aber die meisten Gäste dürften eher Wandern als Baden im Sinn haben: Zum Porcupine Mountains Wilderness State Park ist es von hier aus nur noch ein Katzensprung.
Im Gegensatz zur Lower Peninsula, die höchstens ein paar sandige Hügel aufweisen kann, gibt es auf der Upper Peninsula schroffe Felsen und Geländerücken, die im Westen sogar an Berge erinnern – dazu gehören die Porcupine Mountains, kurz Porkies genannt. Wer in den städtischen Ballungszentren im Südosten Michigans lebt und dort wandern möchte, sollte allerdings genügend Zeit einplanen. Reine Fahrzeit von Detroit nach Ontonagon am Rand des Naturparks laut Mapquest: 9 Stunden und 35 Minuten.
Und man muss dazu über die Brücke.
Auf einem Satellitenbild ist der Bundesstaat Michigan ebenso einfach zu erkennen wie auf der USA-Karte im Weltatlas – das sind die beiden Landzungen, die von den drei größten der Großen Seen eingefasst werden. Jeder Michiganer ist mächtig stolz darauf, dass sein Heimatstaat die längste Küstenlinie nach Alaska besitzt. Weitere Folgen der kuriosen geografischen Lage: Die Upper Peninsula von Michigan grenzt an Wisconsin, die Lower Peninsula an Indiana und Ohio. Untereinander sind die Obere und Untere Halbinsel nur durch eine Brücke verbunden, die Mackinac Bridge.
Von den knapp 10 Millionen Einwohnern Michigans leben gerade einmal gut 300.000 auf der Upper Peninsula, die üblicherweise U.P. genannt wird. Bei den Bären ist das Verhältnis eher umgekehrt: Zwischen 15.000 und 19.000 Schwarzbären gibt es nach amtlichen Angaben in Michigan; die Mehrzahl davon durchstreift die dünn besiedelte Obere Halbinsel. Trotz großartiger Landschaftsbilder ist U.P. auch in den Sommermonaten keineswegs überlaufen – in vielen Gegenden riskiert der Reisende eher, einem Bären zu begegnen als einem anderen Touristen.
Der in den Waldgebieten Nordamerikas beheimatete Schwarzbär (Ursus americanus) gilt als scheu; wenn er einen Menschen sehe, ergreife der Bär üblicherweise die Flucht, steht in einem Informationsblatt der Porcupine Mountains. Möglicherweise fürchtet sich aber nicht nur das Tier. Sie müssen darauf gefasst sein, Bären zu treffen, warnt die Frau an der Rezeption des Rainbow-Motels. Auch hier im Dorf. Die Bildschirmtapete ihres Computers zeigt eine Bärenmutter mit drei Jungen. Das Foto sei nicht im Park entstanden, erklärt sie, sondern hinter dem Café gleich nebenan: Die füttern die Bären.
Das ist nun genau das, was die Ranger im nahen Naturpark unbedingt verhindern wollen. Denn: Lernen die Bären erst, Futter mit Menschen in Verbindung zu bringen, können sie gefährlich werden. Ihre natürliche Scheu gehe dann verloren. In den Porcupine Mountains wird diese Regel offenbar befolgt – Bären und die Wanderer scheinen gut miteinander auszukommen. Zumindest halten die Bären respektvollen Abstand: Sie überqueren die Straße zum Parkeingang angeblich immer einige Meter vom Kassenhäuschen entfernt. Die Verfasserin dieser Zeilen verließ den Park allerdings, ohne einen Bären gesehen zu haben. Das Panorama mit dem Lake of the Clouds, der den Titel vieler Michigan-Wanderführer schmückt, war die lange Anfahrt aber auf jeden Fall wert. Und Petze gibt’s schließlich auch anderswo: zum Beispiel im nächsten Dorf.
Wenn man einen schönen Sommerabend in Silver City verbringt und nach dem Dinner noch Lust auf etwas Süßes bekommt, wird man zwangsläufig beim End of the Rainbow Café landen. Und dort, gleich hinter der am Waldrand gelegenen Imbissbude – nein, das ist kein Hund. Das schwarze Tier, das dort sitzt und frisst, ist um einiges größer. Es ist ein ausgewachsener Bär, der an irgendetwas nagt, vermutlich an einem Hühnerbein. Nach kurzer Zeit kommt noch ein weiterer Bär aus dem Wald, offenbar ebenfalls auf der Suche nach einem Snack, den er geduldig vom Boden klaubt.
Wir füttern ihnen Reste und Sonnenblumenkerne, steht auf einem Blatt, das neben der Selbstbedienungstheke des winzigen Cafés mit der Aufschrift RESTARAUNT hängt. Die Spezialität des Hauses: fritiertes Huhn. Und zum Nachtisch gibt’s Eis. Allerdings nur für die Menschen. Das süße Kirscheis, mit dicken schwarzen Michigan-Kirschen drin, würde aber bestimmt auch bei den Bären Anklang finden. Sie mögen überhaupt so ziemlich alles, was Menschen futtern. Vor allem auf gewürzte Speisen sind die Petze ganz wild. Die Camper in den Porcupine Mountains sind daher gehalten, ihre Vorräte bärensicher unterzubringen. Kommen Bären erst einmal auf den Geschmack, kriegt man sie nicht mehr los. Wie im End of the Rainbow Café.
Damit sich menschliche und tierische Gäste nicht in die Quere kommen, hat der Besitzer zwischen dem Parkplatz und der Waldwiese hinter dem Café, wo sich die Bären tummeln, einen starken Maschendrahtzaun aufgestellt. Denn ganz Abend über kommen Eltern mit ihren Kindern, die dann eine Weile eisschleckend am Zaun stehen, bevor sie wieder davonfahren. Die Bären nehmen kaum Notiz.
Bären zu füttern mag zwar nicht im Sinne der Naturschützer sein. Aber es ist auf jeden Fall gut fürs Geschäft.
2006-08-30 by Cornelia Schaible, Wirtschaftswetter
Text: ©Cornelia Schaible
Fotos: ©Cornelia Schaible
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